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Ausgabe:

1911

Spalte:

152-153

Autor/Hrsg.:

Loewenthal, Eduard

Titel/Untertitel:

Die menschliche Unsterblichkeit in naturalistischer Beleuchtung und Begründung, nebst Anhang: Das Cogitantentum, die Religion des Wissens und der Wissenserweiterung, als Religion der Zukunft

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 5.

152

nach dem das Werden ringt — zu beftimmen'. . . ,Die Theologie ift
nicht die Herrin der Kirche und fie ift nicht die Magd der Kirche, fie
ift ein Kind der Kirche, dem die Mutter feiner befonderen Befähigung
entfprechend eine der leitenden Stellungen in der Kirche zuweift'. Über-
rafchende Antithefen, ein gemütvolles Bild; nur kein klarer Gedanke!
Die Theologie ein Kind der Kirche: welcher? der gewordenen, von der
fie ja unabhängig ift; oder der werdenden, was ja wohl gegen die Naturordnung
ift? (Es ift eben hier nach alter lutherifcher Art zwifchen
empirifcher und idealer Kirche nicht fcharf unterfchieden.) Und wie foll
aus diefen Sätzen folgen, daß nicht die ,liberale' oder ,moderne', fondern
nur die ,modern-pofitive' Theologie wirklich kirchlich fei!

Damit fleht meine Rezenfion fchon in ihrem zweiten
Teil, der Ablehnung der Seeberg'fchen Tendenz. Seine
,modern-pofitive'Theologie ift ja bekannt genug. In
dem vorliegenden Buch offenbart fich als ihr Hauptfehler
die Täufchung, als bedürften wir bloß einer modernen
Darftellungsform für die alten Wahrheiten, als fuche die
alte Offenbarung nur ein neues ,Wort': .Probleme, Fragen,
Intereffen, Methoden machen das „Moderne" aus, und Tatfachen
, Realitäten des geiftlichen Lebens der Chriften-
heit bilden das pofitive'. Wenn wir auf den Kern im
Evangelium Jefu fehen, mag dies gelten; wenn wir aber
auf die kirchliche Frömmigkeit fehen, fiimmt es nicht.
Das wird deutlich, wenn S. von ,trinitarifchen Glaubensgedanken
' redet; unfern heutigen Gläubigen ift die Trinität
kein Glaubensgedanke mehr, gefchweige im Plural. Die
alte verhängnisvolle Vermifchung von Theologie und
Glaube ift, wie fich an diefem Punkt befonders deutlich
zeigt, leider auch von S. nicht überwunden. Deshalb müffen
wir im Intereffe der chriftlichen Frömmigkeit ablehnen.
Proteftieren müffen wir aber auch im Intereffe der theolo-
gifchen Wiffenfchaft. So kommen wir nicht vorwärts.
Wenn S. (S. 342) ganz richtig fchreibt: ,darüber wird es im
Ernfl keines Wortes bedürfen, daß diefer Fortfehritt in
wirklicher Erkenntnis beflehen foll und nicht bloß in einem
Kokettieren mit modernen Redewendungen und Zitaten',
fo wird mancher Lefer die ernflhafte Anwendung diefes
fchönen Grundfatzes fchmerzlich vermiffen.

Aber mit förmlicher Beftürzung habe ich den Abfchnitt über das
A. T. gelefen (S. 360 fr.). Jefus und feine Apoftel haben diefe Bücher
mit einem befonderen Verftändnis gelefeD. Dies Verftändnis zu finden,
ift offenbar die erfte und nächfte Aufgabe'. . . Jefu Verftändnis des
A. T. ift das Ziel der Gefchichte feit Abraham, alfo find die Elemente
diefes Verftändniffes als reale Mächte des Werdens in der Gefchichte
wirkfam gewefen. Wer nun aber in diefem Sinne die Gefchichtlichkeit
des Gefchichtsbildes Jefu erkennt, dem find auch die wefentlichen Wendepunkte
in jenem Werdegang als hiftorifch verbürgt'!! Was hilft es, wenn
S. nachher verfichert, ,daß die Leitung der Gefchichte durch die Offenbarung
die natürliche Entwickelung nicht ausfchließt' und ausruft: ,es
ift kaum ein plumperes Verkennen des Werkes Chrifti vorftellbar — nach
feiten feiner göttlichen Wirkung nicht minder als feines menfehlichen
Wefens — als wenn man ihn zum Gefchichtslehrer herabprofaniert': was
hilft es, als die Verwirrung noch fchlimmer zu machen!

Hannover. Schufter.

Rehmke, Prof. Dr. Johannes: Zur Lehre vom Gemüt. Eine
pfychologifche Unterfuchung. Zweite, umgearbeitete
Auflage. Leipzig, Dürr'fche Buchhandlung 1911.
(VIII, 115 S.) gr. 8° M. 3 —

Eine Richtung der Pfychologie, die bis vor kurzem
fich ganz befonderer Verbreitung und unverdienten An-
fehens erfreute, ift die fogenannte fubjektlofe Pfychologie
oder die ,Pfychologie ohne Seele'. Sie hat fich entwickelt
als eine Reaktion gegen die Auswüchfe der metaphy-
fifchen Seelenlehre, die durch Berufung auf alle möglichen
Geifteskräfte für die pfychifchen Funktionen eine ebenfo
billige wie bedeutungslofe Erklärung gab. Aber fo richtig
die Erkenntnis war, daß das Auftreten diefes oder jenes
Gedankens zu einem beftimmten Zeitpunkt durch den
Hinweis auf eine beftändig vorhandene Denkkraft oder
das Entfliehen eines Gefühls durch eine entfprechende
Gemütskraft nicht erklärt werden könne, fo verkehrt war
die Schlußfolgerung, daß wegen diefer Unzulänglichkeit
zur Erklärung der einzelnen feelifchen Gefchehniffe die
Seelenvermögen oder Dispofitionenganz zu eliminieren
feien. Alles Gefchehen erklärt fich durch Wechfelwirkung

zwifchen Subftanzen, d. h. es befteht in Veränderungen
eines realen Wefens a, die durch Veränderungen in einem
andern b bei konftant bleibender Beziehung zwifchen a
und b oder durch Veränderung diefer Beziehung bei
unverändertem Zuftand von b hervorgerufen werden.

Zur Erklärung von Gefchehniffen gehört alfo mehr
als die Annahme von bloß Seiendem und auch mehr
als der Hinweis auf bloße Vorgänge. Sein und Gefchehen
, Dispofitionen und Funktionen zufammen kon-
ftituieren die Urfache von Ereigniffen im Gebiet des
Geiftigen ebenfo wie des Körperlichen. Diefen Grundgedanken
der modernen realiftifchen Pfychologie vertritt
Rehmke mit aller Entfchiedenheit. Dabei geht er freilich
weiter wie andere realiftifche Pfychologen. Er begnügt
fich nicht damit, ein den feelifchen Funktionen zu Grunde
liegendes Seiendes anzunehmen und die weiteren Hypo-
thefen über dies Seiende, die Beantwortung der Frage,
ob es mit dem in der Erfcheinung des Körpers oder
beftimmter körperlicher Organe der äußeren Wahrnehmung
entgegentretenden Seienden identifch oder davon ver-
fchieden, ob es einfach oder zufammengefetzt fei ufw.,
von dem Fortfehritt der pfychologifchen und der pfy-
chophyfiologifchen Forfchung abhängig zu machen. Er
nimmt vielmehr von vornherein an, daß das ,Einzelwefen',
deffen ,Beftimmtheitsbefonderheiten' die Gefühle ebenfo
wie die Wahrnehmungen und Vorftellungen, kurz die
von uns fogenannten Bewußtfeinsvorgänge oder feelifchen
Funktionen find, ein von der Subftanz des Körpers und
feiner nervöfen Organe verfchiedenes, einfaches, mit
dem Körper jnftetiger Wirkenseinheit'verbundenes
Einzelwefen fei, und er nennt diefes ,Bewußtfein'. Von
diefer Vorausfetzung aus entwickelt er die Grundgedanken
einer mit den Ergebniffen der pfychologifchen Forfchung
in guter Übereinftimmung bleibenden Gefühlslehre, indem
er das Verhältnis der Gefühle (d. h. der Zuftände der
Luft und Unluft, der .zuftändlichen Beftimmtheitsbefon-
derheit der Seele') zu den Wahrnehmungen (incl. Körperempfindungen
) und Vorftellungen (der ,gegenftändlichen
Beftimmtheitsbefonderheit der Seele') klar legt, die Einheit
und Einfachheit des jeweiligen Gefühlszuftandes der
Fülle des bedingenden ,maßgebenden' und ,begleitenden'
Gegenftändlichen gegenüberftellt, die Anficht von qualitativen
Färbungen der Luftgefühle und der Unluftgefühle
(als folcher, nach Abftraktion von begleitenden Körperempfindungen
und .maßgebenden' d. h. als die eigentliche
Gefühlsurfache vom Subjekt aufgefaßten Wahrnehmungen
und Vorftellungen) zurückweift und in logifch
anfprechender Weife auf die Definitionen der Begriffe des
Gefühls, der Stimmung und des Affekts eingeht.

Bern. E. Dürr.

Loewenthal, Dr. Eduard: Die menichliche Unlterblichkeit in
naturalilticher Beleuchtung und Begründung, nebft Anhang
: Das Cogitantentum, die Religion des Wiffens
und der Wiffenserweiterung, als Religion der Zukunft.
Berlin, H. Loewenthal 1910. (20 S.) gr. 8° M. — 50

19 Seiten voll kühner Behauptungen, in Sperrdruck
oder Fettdruck. Wir erfahren: Nach L.s Theorie von der
Fulgurogenefis entfteht ein ,Sonnenorganismus' — und mit
ihm zugleich feine, Reflexgebilde', die Einzelwefen — nicht
durch allmähliche Entwicklung, fondern durch eine, Ex-
plofion', die hervorgerufen wird durch den Eintritt eines
Fixfterns in die Peripherie eines kosmifchen Nebelkomplexes
. Auf diefen Akt der Fulgurogenefis ift im wefentlichen
auch zurückzuführen ,die im Menfchen bezw. im
ätherifchenlch fichvollziehendelndividualifierung desWelt-
äthers'; ,der fulgurogenetifche Werdeakt der einzelnen
Sonnenorganismen'findet in diefer Bildung des unfterblichen
Ich .feinen Abfchluß'. Die Ausbildung diefes .ätherifchen
Ich' vollzieht fleh übrigens im menfehlichen Organismus
,auf der Grundlage des an fleh ewigen, im Gehirn, im