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Ausgabe:

1911 Nr. 5

Spalte:

143-145

Autor/Hrsg.:

Holl, Karl

Titel/Untertitel:

Die handschriftliche Überlieferung des Epiphanius (Ancoratus und Panarion) 1911

Rezensent:

Koetschau, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 5.

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digen die Wirkung des Pamphlets. Jag. hätte der Frage
wohl noch weiter nachgehen follen, ob hier auch im
Sprachlichen eine andere Hand zu erkennen fei, ob an
einen — mißglückten — Nachtrag des Lactanz aus fpäterer
Zeit gedacht werden könne: einer fo liebevoll eingehenden
Betrachtung wie die berühmten dualiftifchen Zufätze in
Lactanz' Institutionen bei Brandt ift diefe nicht weniger
merkwürdige,Ergänzung'von de mort. in der vorliegenden
Abhandlung noch nicht teilhaftig geworden. Aber daß
de mort. 50,2(1?)—51,2 fpäteren Ursprungs als das übrige
Werk find, halte ich für ficher.

Marburg. Ad. Jülich er.

Holl, D. Karl: Die handfchriftliche Überlieferung des Epiphanius

(Ancoratus und Panarion). (Texte und Unterfuchungen
zur Gefchichte der altchriftlichen Literatur. III. Reihe,
6. Bd., Heft 2.) Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1910. (IV, 98 S.) gr. 8° M. 3 —

Der künftige Herausgeber der erften kritifchen Epi-
phanius-Ausgabe hat in der vorliegenden Abhandlung
die fämtlichen vorhandenen Epiphanius-Handfchriften,
in denen Ancoratus und Panarion überliefert find, be-
fchrieben und das gegenfeitige Verhältnis feftgeftellt. In
der Einleitung wird die handfchriftliche Grundlage der
bisherigen Ausgaben befprochen. Die editio princeps des
Oporinus, Bafel 1544, ruht ebenfo wie die lateinifche
Überfetzung des janus Cornarius auf der jetzt in Jena
aufbewahrten Epiphanius-Handfchrift, deren erfter Teil
(doch wohl in dem S. 4 erwähnten Brand i. J. 1636) zu
Grunde gegangen ift. Ein reicheres handfchrittliches
Material fuchte fich Dionyfius Petavius für feine, Paris 1622
erfchienene Ausgabe zu verfchaffen. Durch Andreas Schott
erhielt er Varianten des Codex Vaticanus und verglich
felbft einen Codex Parisinus (No. 833/35). Beides brachte
aber nicht viel Gewinn. Die neueften Ausgaben von
Franz Oehler 1859—61 und von Wilhelm Dindorf 1859—62
benutzten außer dem Jenensis und Parisinus und den
Varianten des Vaticanus noch den wichtigen Marcianus
125 und den Rehdigeranus. Aber weder Oehler noch
Dindorf hatten alle Hff. herangezogen, und beide hatten
über das Verhältnis der ihnen bekannten Hff. zueinander
nur Vermutungen geäußert. Erft den eindringenden und
forgfältigen Unterfuchungen Karl Holls ift es gelungen,
über das gefamte vorhandene hf. Material zu Epiphanius
volle Klarheit zu verbreiten.

Der Verf. befpricht zuerft S. 13—63 die Gruppe der
älteren Handfchriften (Vatican. 503 s. IX==V, Genuen-
sis 4 s. X=G, Marcianus 125 a. I057=M, Urbinas 17/18
s. XII/XIII==U, Vindob. fuppl. gr. 91 (127) s.XIV=W) und
ftellt folgende Tatfachen feft. W ift fo nah mit U verwandt
, daß entweder beide eine gemeinfame Quelle haben,
oder daß W von U abgefchrieben ift. Da ßeweife für
die zweite Möglichkeit fehlen, fo entfcheidet fich Verf.
(S. 63) mit Recht für eine gemeinfame Vorlage v, die
durch ein Zwifchenglied ip auf den korrigierten Codex V
(von dem G direkt abgefchrieben ift) zurückgeht. Als
unabhängig von einander, aber durch einen gemeinfamen
Stammvater verbunden, bleiben nur V und M übrig. V,
die ältefle und wichtigtte aller vorhandenen Hff, enthielt
urfprünglich Panarion I vollftändig, jetzt fehlen am Anfang
32 Blätter. Ein gleichzeitiger und ein fpäterer Korrektor
find an der Hf tätig gewefen. Der letztere ergänzt an
zahlreichen Stellen auch Lücken der Hf durch Zufätze,
die ficherlich aus einer vollftändigeren Hf flammen (S. 24).
Ferner hatte fchon der von dem Schreiber des V übernommene
Text eine durchgängige attiziftifche Bearbeitung
erfahren (S. 18—20). M reicht bis zum Schluß von Panarion
II 1, enthält alfo einen Tomos mehr als V. Der
Beweis, daß M weder von V noch von V™ abgefchrieben
ift, wird S. 34—37 überzeugend erbracht. Ferner wird
S. 38 f. die Annahme von mehreren Zwifchengliedern

zwifchen M und dem Archetypus von VM(=r/)) zur Wahr-
fcheinlichkeit erhoben. Nicht fo leicht läßt fich aber das
Verhältnis des zweiten Korrektors von V zu M beftimmen.
Die S. 39—41 abgedruckte Lifte beweift die Überein-
ftimmung von Vcorr und M in falfchen Lesarten. Da aber
M nicht von Vcorr abgefchrieben ift, fo muß Vcorr einen
mit M verwandten Codex benutzt haben. Soweit halte
ich die Aufteilungen des Verf. für ficher. Doch fcheint
mir, foviel ich ohne Kenntnis des gefamten hf. Materials
urteilen kann, die Sache nicht fo kompliziert zu fein,
wie das Stemma S. 45 fie darftellt, fondern ich möchte
der S. 44 geäußerten Vermutung, daß in dem von Vcorr
benutzten M-Codex die Vergleichung mit einer andern
Hf eingetragen war, den Vorzug geben. Diefer M-Codex
aber kann der Archetypus der Vorlage von M felbft
gewefen fein, in welchem nach der Abfchrift diefer
Vorlage die von Vcorr benutzten Varianten einer älteren
vor <p liegenden Hf von einem gelehrten Lefer beigefügt
worden waren. Daß diefe von Vcorr benutzte ältere Hf
dem Hauptftamm der durch VM bezeichneten Hff-Gruppe
angehört, aber älter als r/> ift, hat Verf. S. 44 unten richtig
nachgewiefen.

Auf S. 63—87 wird die Gruppe der jüngeren
Handfchriften, Rehdigeranus 240 s. XV, Angelicus 94
s. XVI, Parifini 833/35 s. XVI, befchrieben und geprüft
und die Abhängigkeit der Parifini von dem Angelicus,
und die Abhängigkeit diefer Handfchrift von dem Rehdigeranus
evident nachgewiefen. Ein weiteres fchönes Ergebnis
der überall auf den Grund gehenden Nachforfchung
des Verfaffers ift der S. 67 erbrachte Beweis, daß der
Rehdigeranus identifch ift mit der einen der beiden Epiphanius
-Handfchriften, welche Beffarion in feinem Verzeichnis
vom 14. Mai 1468 erwähnt (S. 32. 66). Rehdiger
hat die Hf wohl 1569 in Venedig erworben (S. 68).
Nun ift aber, wie S. 78 t. bewiefen wird, der Rehdigeranus
lediglich eine Abfchrift des Jenenfis a. 1304, der feinerfeits
U als Vorlage gehabt hat (S. 88). Endlich ift auch der
Laurentianus VI 12 s.XlV=L mit U verwandt: beide gehen
auf denfelben Archetypus t/r, der aus Vcorr gefloffen ift,
zurück. Durch diefe Feftftellungen wird zugleich volle
Klarheit über den Zufammenhang zwifchen der
älteren und der jüngeren Gruppe der Hff gewonnen.
Für die Textkritik kommen als felbftändig nur V(Vcorr)
und M, dagegen G und rp (Archetypus von U und L) nur
da in Betracht, wo VM fehlen oder lückenhaft find. Von
Wichtigkeit ift U auch deshalb, weil diefer Codex offenbar
Teil einer Gefamtausgabe war (S. 89), in der die
Schriften des Epiphanius fo aufeinander folgten: Panarion
Ancoratus, Anakephalaiosis, de mensuris ac ponderibus.
Wie weit diefe Gefamtausgabe hinaufreicht, läßt fich nicht
lagen, da die älteften Hff unvollftändig find. Auch Photius
hat in feiner Bibliothek Cod. 122/4 diefelbe Reihenfolge
der Epiphaniusfchriften. Der Verf. meint nun, daß durch
diefe die urfprüngliche chronologifche Aufeinanderfolge:
Ancoratus, Panarion u. f. w. verdrängt worden fei, und
fieht einen Beweis hierfür darin, daß in den älteften Hff
des Panarion der Titel fehlt (S. 93). Ref. kann diefer
Schlußfolgerung nicht zuftimmen. Denn es ift nicht recht
klar, wie die Umftellung vorgenommen fein foll. Urfprünglich
waren doch (wie auch der Verf. S. 93 unten
annimmt) Panarion und Ancoratus nicht in einem Bande
vereinigt (vgl. Photius p. 94b Bekker: ra xavagia, kv
Tsvx£ßl ftsv 7)1 vielmehr bildete m. E. jedes ein felbftän-
diges Werk von einem Band oder mehreren Bänden,
ohne daß das eine oder das andere die erfte Stelle und
den Haupttitel hatte. Erft fpäter, als man die Werke
des Epiphanius zu einer Gefamtausgabe, wie fie Photius
kennt, vereinte, war eine Reihenfolge nötig. Daß man
damals das wichtigere und ausführlichere Panarion an
die Spitze ftellte, wie dies in den Hff: UW deutlich zu
Tage tritt, erfcheint ganz natürlich. Ferner erklärt fich
das Fehlen des Titels am Anfang des Panarion in den
älteren Hff wohl auch daraus, daß das Panarion mit