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Ausgabe:

1911 Nr. 4

Spalte:

104-105

Autor/Hrsg.:

Peake, A. S. (Ed.)

Titel/Untertitel:

Jeremiah and Lamentations. Vol. I. Jeremiah I to XXIV 1911

Rezensent:

Löhr, Max

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103 Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 4. 104

ken. Natur, Gott, Beftimmung des Menfchen, Ge-
fellfchaft, Kunft, Griechifche und chriflliche Weltanfchau-
ung find die Titel der Kapitel. Die Darftellung ift ge-
fchtnackvoll und leiftet, was man von einer knappen und
populären Behandlung, die zu ftarken perfpektivifchen
Verkürzungen zwingt, fordern darf. Das war auch vom
Verf. der Gefchichte der griechifchen Ethik, der erften
wirklichen Gefchichte, nicht anders zu erwarten.

Auf das letzte Kapitel gehe ich genauer ein. W.
fcheidet drei Epochen der Entwickelung: I. Die mytho-
logifche naive Weltanficht, in der alle Probleme, die fich
fpäter das Denken ftellt, fchon gelöft find. Gott, Natur,
Menfch, bilden eine Einheit, die Perfönlichkeit ift noch
nicht differenziert, alle Wirkungsäußerungen werden auf
dämonifche Mächte zurückgeführt. 2. Ausbildung der
Individualität, die als das einzige urfprünglich Reale an-
gefchaut wird. Die Natur wird entgeiftet und entgöttert,
die Götter löfen fich in Abftraktionen auf. Staat und
Gefellfchaft werden rationalifiert. Unbefchränkter Genuß
ift der Inhalt des Lebens. Aber als Reaktion zu diefem
fchon mit Homer beginnenden, im Hellenismus fich ganz
entfaltenden Individualismus erhebt fich feit Sokrates
die idealiftifche Philofophie. 3. Mit ihr beginnt eine neue,
die Philofophie des fpäteren Griechentums beherrfchende
Entwickelung. In ihr findet das Chriftentum, das nur die
zweite Entwickelung bekämpft und verneint, eine Fülle
verwandter Stimmungen und feelifcher Bedürfniffe.

,Die chriftliche Weltanfchauung, fo gewiß ihre Wurzeln
bei andern Völkern und Kulturkreifen liegen, er-
fcheint in ihrer Ausbildung nur wie die organifche Fortentwicklung
und die höchfte Blüte der Triebe, die fchon
längft im Griechentum angefetzt hatten'. Die Tatfache,
daß mit der Verkündigung Jefu ein ganz neuer, unabhängiger
Faktor in die Entwicklung der helleniftifch-
römifchen Kulturwelt eintritt, müßte m. E. ftärker betont
werden. In der gedankenreichen Parallele zwifchen grie-
chifcher und chriftlicher Weltanfchauung kommt gar nicht
zum klaren Ausdruck, in welchem Stadium der chrift-
lichen Entwickelung W. feinen Standpunkt nimmt. Sein
Chriftentum ift ein fiktiver Durchfchnittstypus, der fich
zumeift mit der Lehre der Apologeten oder der Alexandriner
deckt. Sätze, wie S. 125, ,An die Philofophie
knüpft es', ,So ift das Chriftentum in Wahrheit die letzte
und höchfte Schöpfung des antiken Geiftes', ,Vielmehr ift
es felbft in den wichtigften feiner Erfcheinungsformen
aus den Bedürfniflen einer fehr hohen Kultur geboren'
treffen auf das Evangelium Jefu gar nicht zu. Eine Ver-
gleichung muß m. E. von dem urfprünglichen Chriftentum
ausgehen und wird dann, wie v. Dobfchütz' Ver-
fuch (Wiffenfchaft und Bildung, Nr. 50) zeigt, viel mehr
Unterfchiede finden. Eine Parallelifierung fpäterer chriftlicher
Lehre mit dem Griechentum ift zum Teil Ver-
gleichung des Identifchen, des griechifchen Idealismus
und feiner von der Kirche rezipieiten Anfchauungen.

S. 131 gibt W. eine wohl erwogene Auswahl der Literatur. Zu
IV ift jetzt vor allem auf Wilamowitz, Staat und Gefellfchaft der Griechen
, Kultur der Gegenwart, II, 4, 1 zu verweifen. Zu V bitte ich, in
der 2. Auflage vor allem Finslers, auch dem Laien verftändliches fchönes
Buch, Piaton und die ariftotelifche Poetik, zu III Mifch, Autobiographie,
zu nennen. Wie S. 109 Piatons Verhältnis zur Kunft, fo war vorher
auch das zur Volksreligion und Mythologie zu charakterifieren. Daß im
Chorgefang die Schickfale des Dionyfos dargeftellt wurden (S. 102),
halte ich für unrichtig, f. Wilamowitz, Herakles I1, S. 59, 60.

Auf Einzelheiten einzugehen, wird mir Wundts 2. Bd.
der Gefchichte der griechifchen Ethik eine paffendere
Gelegenheit geben.

Göttingen. Paul Wendland.

Geden, Alfred S., M. A., D.D.: Outlines of Introduction
to the Hebrew Bible. Edinburgh, T. & T. Clark 1909.
(XV, 367 P-) gr- 8° s- 8- 6

Das Buch verdankt feinen Urfprung Vorlefungen,

die der Verf. am Wesleyan College, Richmond, gehalten

hat und die in das Studium des A.T. einführen follten.
Man wird daher in ihm weder Vollftändigkeit des Materials,
noch ausführliche Erörterung aller Detailfragen fuchen
dürfen. Dem Verf. kam es darauf an, feine Hörer im
allgemeinen zu orientieren und fie auf den Standpunkt
zu führen, von dem aus fie das A.T. wiffenfchaftlich
korrekt ftudieren könnten. Daß der Verf. aus praktifchen
Gründen auch Stoffe in den Bereich feiner Vorlefungen
hineingezogen hat, die durch den Titel des Buches nicht
mit gedeckt werden (Überficht über die midrafchifche
und talmudifche Literatur), wird nicht getadelt werden
können. Im großen und ganzen hat der Verf. feine Aufgabe
gefchickt und gut gelöft, indem er vor allen Dingen
über Text- und Kanongefchichte orientiert (dazu 14 gute
Abbildungen von Handfchriften und Drucken), die Probleme
und Methoden der fpeziellen Einleitung aber nur
an einem Beifpiel (Pentateuch) erläutert hat. Sein Standpunkt
ift ein wiffenfchaftlich freier. In der Pentateuch-
kritik vertritt er die neuere Urkundenhypothefe, ausgenommen
die Datierung der Quellen: D flammt nach itim
aus der Zeit Davids oder den erften Jahren Salomos;
JE find älter, find alfo in der Richterperiode gefchrieben
und enthalten vielleicht noch manches von der Hand
Mofes; P ift jünger als D, doch äußert fich der Verf.
über feine Urfprungszeit nicht genauer.

Im einzelnen läßt der Verf. mehrfach die nötige
Korrektheit feiner Angaben vermiffen, befonders in dem,
was die Maffora betrifft. Daß alle Handfchriften des A.T.
auf einen Archetypus zurückgehen und daher keine
irgendwie nennenswerten Varianten aufweifen, follte heute
doch niemand mehr behaupten oder gar als ficher hin-
ftellen. Die Differenzen von Ben Afcher und Ben Naph-
tali fetzt der Verf. noch denen der Okzidentalen und
Orientalen gleich (S. 52 f.). Die Tätigkeit der Mafforethen
(nicht etwa hloß ihre Anfänge) verlegt er in die letzten
Jahrhunderte vor und die erften 6—7 nach Chr.; da fie
die Punktation fchon vorausfetzt, wird deren Einführung
in eine fehr frühe Zeit verlegt (S. 85. 88. 105ff.). Sehr
zweifelhafte Urteile find z. B. die, daß Sam. keinen fonder-
lichen textkritifchen Wert habe, und daß das jetzt allgemein
zugegeben fei (S. 63), fowie daß die Stellung der
Tora vor den Propheten das höhere Alter der erfteren
vorausfetze (S. 122 f.). Daß der Verf. manches nicht
erwähnt, was dem Referenten bedeutfam erfcheint, mag
fubjektive Gründe haben, z. B. die Vorarbeiten v. Galls
zu einer neuen Ausgabe des Sam., die LXX-Arbeiten der
Göttinger Gefellfchaft der Wiffenfchaften, die erften
ficheren Nachweife der orientalifchen Maffora durch Kahle
etc. Daß aber bei der Befprechung der Anordnung der
Bücher von dem Zeugnis des Talmud (Baba bathra 14b.
15a) kein Wort gefagt wird, ift doch kaum zu rechtfertigen.
Obwohl im einzelnen noch recht verbefferungsbedürftig,
dürfte das Buch doch in weiten Kreifen guten Nutzen
ftiften.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Jeremiah and Lamentations. Vol. I. Jeremiah I—XXIV.
Introduction, revised version, with notes, (col.) map
and index, edited by A. S. Peake, D. D. (The Century
Bible.) Edinburgh, T. C. & E. C. Jack (1910).
(VII, 280 p.) sm. 8° s. 2.6

Der Verf. hat für feine Arbeit die einfchlägige deutfche
und englifche Literatur eingehend durchgearbeitet und
verrät in dem diesbezüglichen Abfchnitt feiner introduction
, betitelt selected literature, ein überrafchend
treffendes Urteil über Duhms, Giefebrechts und Cornills
Jeremias-Erklärungen. Er wundert fich nicht mit Unrecht
, daß ein Buch wie das unfers Propheten fo lange
von der neueren Wiffenfchaft des AT. unbeachtet ge-
laffen ift und hat fich felbft aus Begeifterung für die
rehgiöfe Größe des Jeremias an fein VVerk gemacht. In