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Ausgabe:

1911 Nr. 3

Spalte:

71-74

Autor/Hrsg.:

Simon, Gottfried

Titel/Untertitel:

Islam und Christentum im Kampf um die Eroberung der animistischen Heidenwelt 1911

Rezensent:

Vorbrodt, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 3.

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dingtheit ein wahrhaft allgemeingültiger und fich ftets
gleichbleibender Faktor auswirkt, wird nicht anerkannt.
Ebenfo nimmt W. zum religiöfen Glauben eine minde-
ftens fKeptifche Stellung ein. Er läßt die ethifche Kultur
auf eine dauernde Trennung von der Religion hinauslaufen
.

Indes möchte ich nochmals betonen, daß trotz der
angedeuteten Mängel fich aus Ws. Werk fehr viel lernen
läßt. Sachregifter und ein ausgedehntes Quellenverzeichnis
vermehren die Brauchbarkeit. Die Überfetzung lieft
fich, abgefehen von fchwierigeren prinzipiellen Ausführungen
(wie beim Pflichtbegriff), gut.

Druckfehler wie „Raffen" für „Preußen" (I 383) finden fich feiten.
Ebedschefu für Ebed Jefu, Kato für Cato, namentlich ,das Ordalium'
(I 419) und ähnliches hätte vermieden werden füllen. Auch den ,Haupt-
mann von Köpenick' hätte uns der Überfetzer erlaffen können (II 45).

Göttingen. Titius.

Simon, Miff. Pafl. Gottfried: Islam und Chriltentum im Kampf
um die Eroberung der animiltifchen Heidenwelt. Beobachtungen
aus der Mohammedanermiffion in Nieder-
ländifch-Indien. Berlin, M. Warneck 1910. (XII, 475 S.)
gr. 8° M. 6—; geb. M. 7 —

Auf der Miffionskonferenz in Halle a. S. Sexages.
v. J. war Autor der gediegenen Arbeit Hauptredner fo-
wohl durch feinen in der Univerfität gehaltenen miffions-
ärztlichen Vortrag: ,Krankheitsnöte derBatak auf Sumatra
im Zufammenhang mit ihren religiöfen Vorftellungen',
abgedr.in: Tole (deutfch: Vorwärts), Nachrichten, herausgegeben
von Pafl. Johannfen, Elfen-Ruhr 1910, Nr. I, als
auch befonders in der Generalverfammlung der Miffionskonferenz
: ,üie durch die gegenwärtige Lage dem Mohammedanismus
gegenüber der Chnftenheit geftellten
Aufgaben' abgedr. in ,Allgem. Miffions-Zeitfchr.' April-
u. Maiheft v. J. Im erfteren Vortrag verweift S. auf
religionspfychologifche Hinderniffe des Animismus gegen
phyfiologifche Diagnofe und Therapie, im anderen ift
der gefamte moderne Kampf von Islam und Chriftentum
Gegenfland feiner Darlegungen, der noch viel mehr von
religionspfychologifcher Bafis aus als der allein zutreffenden
und umfaffenden behandelt werden muß (vergl.
Amer. Joum. of relig. psychology and educat. I, S. 113
ff.: Lombard, Notes upon a study in the pedagogy of
Missions).

Was S. fonft nach feiner 11jährigen Miffionstätigkeit
von 1896—1907 auf Sumatra während feines Urlaubs veröffentlicht
hat, faßt er im vorliegendem Hauptwerk zulammen
, das der religionsgefchichtskomparativen wie
völkerpfychologifchen Betrachtung infofern intereffant
ift, als hier nicht nur reiches Tatfachenmaterial aus drei
Religionsgruppen aufgefpeichert ift, fondern auch deren
geiftiger Zufammenftoß in fachkundigen Urteilen um-
fchrieben wird.

Wenn S. ausgefprochenermaßen eine Analyfe der
Pfyche des fynkretiftifchen Pleidenmohammedaners bietet,
fo lernt man hier an den Quellen mehr als an
manchen abgeleiteten Pfycho-Theoremen etwa über Bekehrung
und Fanatismus (S. 7 u. 224 f.). Man möchte
jedoch manchmal bei S. tieferen Einblick in Religions-
pfychologie ftatt Gefchichte oder Dogmatik vvünfchen,
z. B. bei Betrachtung der islamitifchen Myftik, (S. 204
bis 220), die Ed. Lehmann (Myftik in Heidentum und
Chriftentum, Leipzig, 1908), freilich faft ausfchheßlich von
religionsgefchichtlichem ftatt gefchichtspfychologifchem
Standpunkt, etwa als Anfangs-wie Endzuftand klaffifcher
Religiofität darlegt. Myftik ift demnach eine undifferenzierte
Form, die fich entfalten kann, aber auch als
Schwund interpretieren läßt.

Der eigentliche Inhalt gruppiert fich um drei Gefichts-
punkte, I. Übergang des Heiden zum Islam, S. 7—220,
II. Sittlich-religiöfer Zuftand des Heidenmohammedaners
S. 221—286, III. Übertritt des Mohammedaners zum

Chriftentum, S. 287—470; die einzelnen Unterteile find
in dankenswerter Inhaltsüberficht genau angegeben.

Teil I behandelt zuerft ,Mitwirkende Faktoren und
religiöfes Motiv'. Unter den erfteren behandelt S. die
islamifche Propaganda und zwar die Mohammedanifierung
von Indonefien, die ftaunenswert fich vollzogen hat an-
gefichts der Schwierigkeiten, die dem Vordringen in die
oftafiatifche Geifteswelt des Animismus entgegenftehen.
Die urfprüngliche Abneigung diefes Heidentums infolge
der Volksfitten (Ehefchließung, Speife- und Reinigungs-
gefetze, Totenwafchungen) wird überwunden durch imponierendes
Auftreten des Mohammedaners (vergl.
auch die Ausführungen über Mohammed als Halbgott
S. IOI f.). Ohne Miffionare treibt der Islam feine Bekehrungsarbeit
durch Gefchäftsleute, die nebenbei, im
eigenen Intereffe den Islam ausbreiten, jedoch auch ein
Verdienft vor Gott durch Bekehrungstätigkeit fich erwerben
. Das öfter betonte Imponieren wird vom Islam
auch bei feiner Verkündigung verwertet, ungeniert wird
die dem Animiften fremde Sprache gebraucht; und der
unverftändliche Inhalt dargeboten, aber grade das Geheimnisvolle
reizt in der Religion.

Wenn die chriftliche Kolonialherrfchaft von ca. 250
Millionen Mohammedanern etwa 161 Millionen unter fich
hat, fo follte man meinen, daß die Ausbreitung der
chriftlichen Mächte die mohammedanifche Propaganda aufgehalten
hätte; aber wenn chriftliche Regierung heid-
nifche Graufamkeiten abfchafft, fo erfcheint das in den
Augen der Heiden als Schutz des Islam, bei dem derartige
religiöfe Perverfitäten nicht begegnen. Wo aber
der Islam die pofitive Macht in Händen hat, ift die Ausbreitung
von felbft gegeben. Auf jeden Fall ift Bildung,
Polizeigewalt, Sprache, Handel, Glück, wie fie grade
Mohammedaner üben und genießen, für den Animiften
maßgebend. Man weiß nichts von den Europäern, durch
deren Vermittlung erft der Islam geworden; für den
Heiden ift der nationale Niedergang Erweis der Schwäche
ihrer religiöfen Mächte, auf die der Animismus vertraut
hal te. Bei der rel giöfen Müdigkeit desfelben finds nun als
religiöfe Motive befonders der Gottes- und Jenfeits-
gedanke, die auf das Heidentum Eindruck machen, zwei
Grundgedanken, durch die auch das pfychologifche
Wefen des Islam umfchrieben wird (S. 224 f.).

Bei der praktifchen Bedeutung von Allah für den
Heiden, bei feiner Stärke, Willkür, Vergeltung geht leicht
die Gottesidee des Heiden in die des Islam über. Der
höchfte Gott der Batak ift gutmütig, darum verläßt man
ihn, wie immer der Gutmütige bei niederen Menfchen
verachtet wird. Die FTrcht vor Geiftern des Animismus
wandelt fich in die vor dem Allmächtigen des Islam.
In den Sitten der Mohammedaner find obendrein foviel
Nachklänge von Animismus, daß es dem letzteren leicht
wird, z. B. das Verbot des Schweinefleifcheffens zu
halten, da ja der .Seelenftoff' des im Schmutz wühlenden
Schweines in den dasfelbe effenden Menfchen übergehen
würde (vergl. auch das Beifpiel S. 77, daß der
Mohammedaner das Wafchwaffer der Mekkapilger trinkt,
weil darin der Schweiß, der Seelenftoff des Heiligen, fitzt).

Bei dem Egoismus des Heiden kommts weniger
auf die Wahrheit der Gotteserkenntnis an, als zunächft
auf den praktifchen Vorteil, das .Paradies zu erhalten',
das ihm vorläufig etwas abfolut Neues ift, aber bald feine
ganze Seele erfüllt. In 7 Phafen verfolgt S. das jen-
feitige Leben des Mohammedaners: Tod, Begräbnis,
Zwifchenzuftand, Auferftehung, Gericht, Hölle und Paradies
. Überall bemüht fich Simon dabei, jene ani-
miftifchen Überrefte im Llam darzulegen, wie fie fonft
bei der Nachweifung jüdifcher, perfifcher, egyptifcher
Elemente in der /Theologie des Islam' vielleicht nicht zu
ihrem Rechte kommen (vergl. die Darftellung des Islam
in ,Kultur der Gegenwart': Orientalifche Religionen,
Leipzig 1906, S. 87fr.); der Islam ift auch nach S.
in der Praxis Oftafiens ein anderer als der des Korans,