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Ausgabe: | 1911 Nr. 26 |
Spalte: | 826 |
Autor/Hrsg.: | Kieser, Hermann |
Titel/Untertitel: | Die christliche Studentenbewegung 1911 |
Rezensent: | Debrunner, Albert |
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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 26.
826
dung der Gemeinden durch das Kirchenregiment angeführt
, das derfelben vis inertiae unterlegen fei wie die
Innere Miffion, die ein Hemmfchuh der fozialen Organi-
fation der Gemeinden zu werden drohe. Von folchen
und anderen Abwegen hinweg ruft das Wort, das faft am
Schluß in Sperrdruck fteht, das als einer der Schlußakkorde
des ganzen Werkes hineinklingen möge in den heutigen
kirchenpolitifchen Streit, die einen ermutigend und warnend
die anderen: ,Der Schwerpunkt der evange-
lifchen Kirche ruht nicht in den Synoden, auch
nicht im landesherrlichen Kirchenregiment, er
ruht in den Einzelgemeinden und nur hier'.
Marburg. Ed. Simons.
Schoen, Prof. Dr. Paul: Das evangelifche Kirchenrecht in
Preußen. II. Bd., 2. Abteiig. (VIII u. S. 315—698). Lex. 8°.
Berlin, C. Heymann 1910. M. 8.50;
II. Bd. vollftändig M. 16—; geb. M. 18.50;
I/II M. 26—; geb. M. 31 —
Mit großem Intereffe und großen Erwartungen hat
man in Wiffenfchaft und Praxis dem Abfchluffe des
Schönfchen Kirchenrechts entgegengefehen. — Gerade in
dem vorliegenden Schlußteile waren noch die größten
Schwierigkeiten des Werkes zu überwinden, insbefondere
boten der häufige Mangel an Vorarbeiten und ficheren
gefetzlichen Grundlagen, die partikuläre Zerfplitterung,
die Weitfchweifigkeit und vielfache Unzulänglichkeit des
Materials fchwer überfteigbare Hinderniffe.
Schoen zeigt in der Überwindung diefer Schwierigkeilen
feine Meifterfchaft in glänzendem Lichte; es ift
ihm trefflich gelungen, die faft unüberfehbare Fülle von
Material juriftifch zu durchdringen und in fein gegliedertem
Baue aufzuführen. Juriftifcher Scharffinn und feines
hiftorifches Verftändnis haben hier gepaart mit bewundernswertem
Fleiße ein hervorragendes und dringend
notwendiges Werk gefchaffen.
Inhaltlich geht die vorliegende Abteilung auf die
Funktionen der Kirche, deren Darfteilung das neunte
Buch des Werkes ausmacht. Der erfte Abichnitt diefes
Buches, die regimentlichen Funktionen, ift bereits in der
erften Abteilung des zweiten Bandes erfchienen; daran
fchließen fich nun vier weitere Abfchnitte: Die geift-
lichen Funktionen (der Gottesdienft, die Feiertage
und Feftgottesdienfte, die Taufe, die Konfirmation, das
Abendmahl, die Trauung, die kirchliche Beftattung, Segnungen
und Weihungen, die Einzelfeelforge, die Beurkundung
geiftlicher Handlungen), die fozialen Punktionen
(die kirchliche Armenpflege), die wirtfchaft-
lichen Funktionen (die Rechtslage des Kirchengutes
und feine Beftandteile im allgemeinen, die Verwaltung
des Kirchenguts im allgemeinen, die kirchlichen Gebäude,
die Begräbnisplätze, das werbende Vermögen und die
Schulden, Schenkungen, letztwillige Zuwendungen, kirchliche
Stiftungen, die kirchlichen Sammlungen, die Gebühren
und die Opfer, die wiederkehrenden Hebungen
des alten Rechtes, die Kirchfteuern), Betätigung der
Kirche außerhalb des eigenen Verwaltungsgebietes
(die Kirche und das Unterrichtswefen, die äußere
und die innere Miffion).
In einem Anhang hat Schoen in dankenswerter Weife
durch Berichtigungen und Nachträge zu den früher er-
fchienenen Teilen des Werks der jüngften Rechtsentwick-
lung Rechnung getragen, und fchließlich folgt ein eingehendes
, forgfältig gearbeitetes Inhaltsverzeichnis zum
zweiten Band.
Bei dem Stande der Literatur hat das Werk in
manchen Partien mehr den Charakter des Bahnbrechenden
als des Abfchließenden, über manche Probleme läßt
fich in guten Treuen Breiten. — Hier find nur einige
Andeutungen möglich: Ob die Privatandacht fchon dadurch
kirchenordnungswidrig ift und von der Kirche verboten
werden kann, wenn in ihr die Liturgie der Kirche
im wefentlichen zelebriert wird? (S. 323). Ob man im
Blick auf die Kindertaufe bei der Definition der Sakramente
auf gläubige Empfänger abftellen darf? (S. 345).
Ob bei richterlicher Scheidung wegen böslicher Verladung
nicht auch ftets bösliche Verlaffung im Sinn der
Kirche vorliegt? (S. 381). Ob nicht der Tauffchein wegen
feiner weltlichen Bedeutung für die Feftftellung der Kon-
feffion als öffentliche Urkunde zu charakterifieren ift?
(S. 413). Ob nicht für das allgemeine Landrecht und
die rheinifch-weftfälifche Kirchenordnung eine Präfumtion
zugunften des Gemeindeeigentums am lokalen Kirchengut
anzunehmen ift? (S. 437ff.) Ob nicht doch die Kirchen
zu den vom Staate mit Herrfchaft betrauten Verbänden
gehören ? (S. 446). Ob nicht im Zweifel die Pflicht
zur Unterhaltung der Kirchenftühle dem Stuhl ei gen-
tümer zu überbinden ift? (S. 490). Ob die Stuhlrechte
als radizierte Rechte bei einer Verlegung des Kirchengebäudes
untergehen (S. 491, 492), oder ob fie nicht vielmehr
fortbeftehen als Rechte auf Überladung von Vor-
zugsfitzen in dem für den Gottesdienft diefer Konfeffion
und Parochie gewidmeten Kirchengebäude? (Vgl. Fritz
Fleiner, Inftitutionen des deutfchen Verwaltungsrechts,
1911, S. 294). Ob nicht die Stuhlrechte als öffentlichrechtliche
Befugniffe zu charakterifieren find, es fei denn,
daß fie fich aus früherer Zeit als ,wohlerworbene Privatrechte
' erhalten haben? (S. 494). Ob nicht die Schließung
des Friedhofs durch die Landespolizeibehörde einen Ent-
fchädigungsanfpruch des Friedhofeigentümers gegen den
Fiskus begründet? (S. 533). Ob nicht das Kriterium der
milden Stiftung allgemein in dem Zweck der Wohltätigkeit
zu fehen ift? (S. 550). Ob in der Tat Luther den
Gedanken an eine allgemeine Volksfchule überhaupt noch
nicht erfaßt hatte? (S. 600). Ob fich die Auffaffung des
Volksunterrichts als einer Staatsaufgabe nicht fchon längft
vor dem weftfälifchen Frieden ausgebildet hat? (S. 603,604).
Tübingen. Ruck.
Referate.
Keyferling, Herrn. Graf: UnfterbÜChkeit. Eine Kritik der Beziehen,
zwifchen Naturgefchehen u. menfchl. Vorftellungswelt. 2. Aufl. (VII,
285 S.) 8°. München, J. F. Lehmanns Verl. 1911.
M. 5 —; geb. M. 6 —
Die zweite Aufl. (vgl. über die erde Lülmann ThLZ 1908, Sp. 119 f.)
bietet kaum Änderungen, foviel auch dem Verf. felbft änderungsbedürftig
erfchien. ,Die Stimmung, aus der diefes Werk entftand, ift mir
trotz der kurzen Zeit, die feither verfloffen ift' (die Vorrede war vom
Frühjahr 1907 datiert) ,fo fremd geworden, daß ich ein perfönliches
Verhältnis zu ihm nicht mehr gewinnen kann'. Doch hat K. das Schluß-
Kapitel geflrichen, weil er die hier kurz berührten Gedanken z. T. in
feinen ,Prolegomena zur Naturphilofophie' weiter ausgeführt hat, z. T.
folche Ausführung in einer künftigen Religionsphilofophie beabfichtigt.
Göttingen. Titius.
Kiefer, Pfr. Hermann: Die chriltiiche Studentenbewegung. Referat,
geh. an der 53. Verfammlg. der liadener Konferenz, 16. 17. Mai 1911.
(72 S.) 8». Bafel, Kober C. F. Spittler Nachf. 1911. M. —60
Obfchon der Vortrag an einer Gemeinfchaftskonferenz gehalten
wurde, mit der ausgefprochenen fpeziellen Tendenz, die Gemeinfchafts-
kreife für die chriftliche Studentenbewegung zu gewinnen, verdient er doch
auch in einer wiffenfchaftlichen Zeitfchrift ein Wort der Anzeige. Denn
da er größtenteils ein Überblick über die Entftehung und Entwicklung
und den gegenwärtigen Stand der Sache ift, kann er vorzügliche
Dienfte leiften zur Einführung in das Studium diefer Bewegung, die im
religiöfen Leben unferer Zeit eine gar nicht verächtliche Stellung einnimmt
. Die reichlichen Literaturangaben können weiter leiten. Erfreulicherweife
fehlt der Tendenz das Abflößende: nicht blinde Verherrlichung
fondern nüchterne Beurteilung herrfcht in dem Schriftchen; man beachte
z. B. die Vorficht gegenüber amerikanifchen Zahlen (S. 47) oder die
Freude über das zunehmende Zurücktreten der impofanten Aufmachungen
an den Studentenwellkonferenzen (S. 50f.). Das Büchlein dürfte auch
zur Orientierung in der Hand von Abiturienten nützlich fein, gerade weil
es die deutfchen und fchweizerifchen Verhältniffe in den Vordergrund ftellt.
Schiers (Graubünden). A. Debrunner.
Karlftadt, Andreas: Von Abtuhung der Bilder und das keyn Bedtler
vntber den Chriften feyn (ollen. 1522, u. die wittenberger Beutel-
ordng., hrsg. v. H. Lietzmann. (Kleine Texte f. theolog. u. phi-
lolog. Vorlefgn. u. Übgu. 74). (32 S.) 8". Bonn, A. Marcus & E.
Webers Verl. 1911. M. —80
Durch den Neudruck der Karlftadtfchen Schrift ,Von Abtuhung der
Bilder', die er mit fachkundigen Anmerkungen verfehen hat, erwirbt fleh