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Ausgabe:

1911 Nr. 26

Spalte:

810-811

Autor/Hrsg.:

Walter, Johannes von

Titel/Untertitel:

Frauenlos und Frauenarbeit in der Geschichte des Christentums 1911

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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809

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 26.

810

erheblich zurücktritt, prozeffuale Eidesleiftung, Afyl-Recht,
feierliche Krönung der Könige durch ägyptifche Priefter
in Memphis — wie muten doch viele diefer Einrichtungen
und die mit ihnen zufammenhängenden Kämpfe und
Probleme modern an! — Ausführliche Nachträge und
Regifter (vgl. befonders III. Götter und Tempel im helle-
niftifchen Ägypten) erhöhen den Wert des vortrefflichen
Werks.

Göttingen. Bouffet.

Zahn, Prof. D. Theodor: Der Brief des Paulus an die Römer

ausgelegt. 1. u. 2. Aufl. (Kommentar z. N. T., hrsg.
v. Th. Zahn. Band VI.) (III, 622 S.) gr. 8°. Leipzig,
A. Deichert Nachf. 1910. M. 12.50

Zahn hat feinen Auslegungen des Matthäus- und
Johannesevangeliums fowie des Galaterbriefes nunmehr
einen Kommentar zum Römerbrief folgen laffen. Jeder
wiffenfchaftlich intereffierte Theologe wird diefes Buch
mit großen Erwartungen in die Hand nehmen. Und wer
auf anderem Standpunkt fteht als der Verf., muß es tun
in der frohen Gewißheit, daß eine fehr beträchtliche
Summe gemeinfamer Vorausfetzungen die Gefühle der
Skepfis nicht aul kommen laffen wird, deren man fleh bei der
Lektüre großer Partien der Zahnfchen Evangelienkommentare
fchwer erwehren kann. In der Tat, wer reiche
Belehrung erwartet, fleht fleh nicht getäufcht. Auf
622 Seiten fällt kein überflüffiges Wort. Dabei hat der
Verf. im Intereffe des Umfanges vieles zurückgehalten.
Die Exkurse am Schluffe des Bandes find gegen die ur-
fprüngliche Abficht reduziert. Die flog. Einleitungsfragen
werden nur mit Auswahl behandelt; im übrigen fleht fleh
der Lefer an Zahns Einleitung in das N. T. verwiefen.
Eür die Echtheit des Römerbriefes ficht Zahn nicht, und
'die Integrität fetzt er in feinem neueften Werke voraus.
Auch Kap. 16 gehört zum urfprünglichen Beftand des
Schreibens. Der Schluß 16, 25 — 27 läßt fleh halten, wenn
man ihn mit Chryfoftomus und Theodoret hinter 14,21—30
einrangiert (S. 585—91, 620 — 22). Und felbft Stückchen
wie 7, 25b, fo fchwierig fie im Zufammenhang zu ver-
ftehen find, mag er nicht miffen (S. 3696".).

Die vorausgefchickten Paragraphen enthalten einen
inftruktiven Abfchnitt ,Zur Gefchichte des Römerbriefes',
wo über feine Stellung im Kanon und feinen Einfluß im
üften und Werten gehandelt wird (S. 1—7). Es folgt
eine zufammenhängende Unterfuchung über ,Die Anfänge
der römifchen Gemeinde und ihre Befchaffenheit
zur Zeit des Römerbriefes'. Danach richtete fleh Rm
an eine Gemeinde, die der Hauptfache nach aus Juden-
chriften beftand, wie vor allem 11,13—22 und 15,1—13, dann
aber auch durch den ganzen Brief hin zerftreute Stellen
(z. B. 8, 13, 12,1) beweifen. Ereilich muß, um damit in Einklang
zu kommen, gleich 1, 5 das hv näoiv xolq i&veöiv auf
alle Völker (ftatt Heiden) bezogen werden, was zum paulini-
fchen Sprachgebrauch nicht gerade gut paßt und keineswegs
annehmbarer wird durch Deutung des „wir" in tta-
ßofiev auf alle Apoftel, von denen fleh die Zwölfe wegen
Mt 28, 19, Luc 24,47 Act I* 8 nur vorübergehend auf Israel
befchränkt haben follen (S. 46ff.). § 3 der Einleitung betrifft
,Lage und Abrichten des Apoftels zur Zeit des
Römerbriefs' (S. 20—23). § 4 gibt einen, was neuere Arbeiten
anlangt, ziemlich fummarifchen Überblick ,Zur
exegetifchen und kritifchen Literatur über den Rm'
(S. 23—26).

So kurz die einleitenden Abfchnitte gehalten find, fo
eingehend geftaltet fleh die Einzelexegefe. Mit ftaunens-
werter Unermüdlichkeit werden alle Möglichkeiten des
Verftändniffes erwogen, die Probleme hin und her gewendet
, um fchließlich freilich faft durchweg eine Ent-
fcheidung zu finden, die Zweifel nicht mehr duldet.
Namen neuerer Forfcher werden kaum genannt, und das
Prinzip ihrer Auswahl bleibt mitunter dunkel. Jedenfalls
wird in keiner Weite parteiifch verfahren: es regnet auf

Gerechte und Ungerechte. Im Texte erfcheint öfters
eigentlich nur Hofmann und erntet in der Regel Beifall.
Überhaupt verleugnet fich die Erlanger Schule nicht,
weder in der Gefamtanlage, noch in Einzelheiten wie dem
heilsgefchichtlichen Verftändnis von Rm 9—11, das den
fchroffen Prädeftinationsgedanken eliminiert.

Es kann nicht anders fein, als daß ein fo umfangreiches
Werk über einen derartig fchwierigen Gegenftand
an vielen Punkten Widerfpruch herausfordert. Zahns
Darlegungen z. B., daß Paulus Rm i3 an eine natürliche
Erzeugung Jefu nicht gedacht haben könne (S. 36ff.),
vermag ich fo wenig zu folgen, als mir feine Behauptung
anzueignen, das iavroö bei vlöv 83 erwiefe den Apoftel
als Anhänger der Idee der Jungfrauengeburt (S. 38of).
Doch das nur nebenbei. Die gewichtigfte Ausftellung,
zu der Zahns Buch herausfordert, die große Lücke, die
es zeigt, ift die Folge feines negativen Verhältniffes zur
fpezififch religionsgefchichtlichen Auslegung der neutefta-
mentlichen Schriften. Er äußert fich fo wenig über den
Zufammenhang der paulinifchen Polemik gegen die
Sittenlofigkeit Rm 1 mit der Predigt der ftoifchen Dia-
tribe, wie über die religionsgefchichtliche Bedeutung der
Vorftellung von der Taufe in den Tod Jefu. Daß auch
die antike Ethik das Schema der Tugend- und Lafter-
kataloge handhabt, erfährt der Lefer nicht, und über
den Begriff Xoyixog in der Philofophie wird er nicht
unterrichtet. Epictet und Mufonius werden eigentlich
nur zitiert zwecks Gewinnung fprachlicher Belege. Ganz
vereinzelt wird die Möglichkeit fachlicher Parallelen erörtert
, jedoch abgelehnt und betont, daß, falls Abhängigkeit
vorhanden fei, der jüngere Epictet unter dem Einfluß
des älteren Paulus geftanden haben müffe (S. 351, Anm.
100). Zahn bekämpft die Bemühungen der ,Religionsge-
fchichtler', den Sinn des Römerbriefes durch Berück-
fichtigung außerchriftlichen, helleniftifchen Denkens und
Glaubens aufzuhellen, nicht, er lehnt fie auch nicht ab,
er ignoriert fie einfach. Daher ift es auch ohne Belang,
daß Reitzenfteins jüngfte Beiträge zum Verftändnis
des Rm (Die helleniftifchen Myfterienreligionen 1910)
wohl zu fpät erfchienen find, um berückfichtigt zu werden.

Muftergültig vollftändig dagegen ift Verf. in der
Mitteilung des textkritifchen Materials und äußerft
dankenswert feine eingehende Berückfichtigung der
älteften Auslegung. Hier liegt auch diesmal wieder der
Schwerpunkt der Zahnfchen Exegefe. Auch für gediegene
fprachliche Belehrung fchulden wir ihm Dank
(z. B. S. 113, Anm. 21 über tQi&ela, S. 276 über 6ixaico[ia.).
Ohne Zweifel wird fein Buch treffliche Dienfte leiften, vor
allem wenn andere Kommentare es ergänzen und die
Sicherheit feines Auftretens etwas mäßigen.

Marburg/Heffen. Walter Bauer.

Walter, Prof. Lic. Johannes von: Frauenlos und Frauenarbeit
in der Gefchichte des Chriftentums. Vorträge, geh. auf
dem ,4. apologet. Inftruktionskurfus' zu Berlin am 17.
—21. Okt. 1910 u. auf dem ,Inftruktionskurfus f. chriftl.
weibl. Liebestätigkeit' zu Breslau am 24.—28. Okt. 1910.
(VII, 112 S.) 8°. Berlin, Trowitzfch & Sohn 1911. M.2 —

Diefe Vorträge geben unter forgfältiger Benutzung
der neueren Arbeiten einen Überblick über die Gefchichte
der Frau im Chriftentum. Wie der Titel andeutet find
die beiden Fragen, wie weit das Chriftentum die Stellung
der Frau in Familienleben, Ehe und Gefellfchaft günftig
beeinflußt hat, und die andere, welche Tätigkeiten und
Amter der Frau in der Kirche zugewiefen worden find,
gleichzeitig in den Kreis der Betrachtung gezogen. Ift
nun auch zuzugeben, daß Frauenlos und Frauendienft
von einander abhängen, fo häufen fich doch für eine kurze
Darftellung die Gefichtspunkte unter wiffenfehaftlicher,
fozialer und kirchlich-organifatorifcher Beleuchtung fo, daß
die einzelnen Probleme, wenn man zu gleicher Zeit beiden

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