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Ausgabe:

1911 Nr. 25

Spalte:

788-789

Autor/Hrsg.:

Ostertag, Heinrich

Titel/Untertitel:

Der philosophische Gehalt des Wolff-Manteuffelschen Briefwechsels 1911

Rezensent:

Hoffmann, Heinrich

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787

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 25.

78S

Presbyterianern geftiftet, der PJniverfität aufgezwungen, j
und wir hören von dem Schickfal der ftandhaften Epi- |
skopaliften, die wegen ihrer Anhänglichkeit an die Kirche ,
von ihren Ämtern an den Colleges abgefetzt wurden, von
ihrem Gehorfam gegen den Etcetera-Eid, der ihnen unter j
Laud's Einfluß 4 Jahre vorher auferlegt war und fie ver- i
pflichtete, niemals in eine Änderung des Kirchenregiments j
aus Erzbifchöfen, Bifchöfen, Dekanen und Erzdiakonen wie !
es damals beftand, zu willigen. Die Puritaner hatten
Bedrückung erlitten, ehe die Episkopaliften von Elend
heimgefucht wurden, und es wird uns von den nach Amerika
Ausgewanderten erzählt, unter denen viele Cambridge- !
Männer waren. Die Harward-Univerfltät wurde im Jahre 1
1636 geftiftet und nach John Harvard genannt, der am
Emanuel-College erzogen war. Er und die mit ihm an
der Gründung der neuen Univerfität Beteiligten fürchteten, I
daß nach dem Tode der jetzt lebenden Geiftlichkeit un-
wiffende Paftoren ihre Stelle einnehmen könnten.

In der Gefchichte englifchen religiöfen Denkens ift I
nichts bedeutfamer als die Wirkung des Weftfälifchen j
Friedens, obgleich Mullinger fagt: ,Die führenden Theo- ,
logen in Oxford und Cambridge empfingen vielleicht mit
fehr geringer Befriedigung die Nachricht, daß durch den
Frieden in Deutfchland allen Proteftanten gleiche religiöfe |
Rechte zugeftanden waren und daß es fortan dem Herrfcher j
jedes Staates verfagt war, fich in die Ausübung des tradi- ■
tionellen Glaubens feiner Untertanen oder in den religiöfen
Zuftand, einzumifchen, der bei Schluß der Verhandlungen |
an den Üniverfitäten, Colleges und Schulen feines Landes j
geltend war'. Noch vor Schluß des Jahres 1648 waren
durch Volksbefchluß der Macht des Parlaments zur Ein-
mifchung in chriftliche Gemeinfchaften — außer folchen, die j
dem Papismus und der Hierarchie anhingen — Schranken
gefetzt und nach den Worten Mullingers ,hatten die Bedingungen
, die in Münfter und Osnabrück formuliert waren,
fo ein Echo in England gefunden'. Im Jahre 1654 erließ
Cromwell eine Verordnung für die Vifitation von Oxford
und Cambridge, und im Verfolg feines Toleranzgedankens I
wünfchte er die Aufftellung einer Glaubensregel, durch !
welche die wefentlichen Lehren feftgehalten wurden, der
Staat aber die Freiheit erhielt, geringere Abweichungen
mit Bezug auf Glauben oder Ritus zu ignorieren. Die
Regel wurde nie aufgeftellt und, obgleich die Vifitation
in den Colleges Erregung verurfachte, ift Cromwell es
wert, als Vertreter der Toleranz erwähnt zu werden. In
Verbindung mit dem Fortfehreiten der Toleranz muß der
Cambridger Platoniften, unter denen Ralph Cudworth und
Henry More find, ftets ehrenvoll gedacht werden. Nach
der Reftauration waren die Platoniften einige Jahre hindurch
die Maßgebenden, aber lange vor jenem Ereignis
hatte man ihren Einfluß zu fühlen begonnen und ihr
Streben war, die Wahrheit ohne Hilfe jeder äußeren
Autorität zu erreichen. Piatos Regel wurde angenommen:
6v rlg, aXXä ri; und Duldfamkeit erfchien jenen gerechtfertigt
, welche, jener Regel anhangend, die Autorität der
Kirche als einer für die Wahrheit ungenügenden Bürgfchaft
verwarfen. Die Cambridger Platoniften find nicht überall
in den Gefchichten der Philofophie erwähnt, da fie mehr
der Religion als der Philofophie angehören, aber fie verdienen
einen ehrenvollen Platz in den Urkunden religiöfen
Denkens, und ihre Biographien find mit Recht in die
Gefchichte ihrer Univerfität eingefügt.

Der Verf. hat uns mit der Herausgabe diefes Buches
einen wertvollen Dienft geleiftet; er bietet in ihm ein
intereflantes Kapitel aus der Gefchichte der Univerfität
Cambridge und einen Beitrag zu der umfaffenderen Gefchichte
Englands.

St. Andrews, Scotland. John Herkless.

Ostertag, Dr. Heinrich: Der philofophifche Gehalt des Wolff-
Manteuffellchen Briefwechfels. (Abhandlungen zur Philofophie
u. ihrer Gefchichte. Heft 13.) (190 S.) gr. 8°.
Leipzig, Quelle & Meyer 1910. M. 5.80

Es ift erfreulich, daß Oftertag den auf der Leipziger
Univerfitätsbibliothek handfehriftlich vorhandenen, ab und
zu einmal (z. B. von Wuttke) benutzten, aber noch nicht
genügend ausgebeuteten Briefwechfel Wolfis mit feinem
Gönner und Anhänger Manteuffel, dem Gründer der Ge-
fellfchaft der Alethophilen, der Forfchung erfchloffen hat.
Die Auswahl der Auszüge erweckt den Eindruck ver-
ftändnisvoller Erfaffung des Wichtigen, und foweit fie erläutert
werden (größere Partien des Buches führen nur
den Inhalt des Briefwechfels vor), ift die Darfteilung von
einer guten Kenntnis Wolfis und feiner Zeit getragen.
Die Arbeit ift in 6 Kapitel geteilt: 1. Über das Wefen
der Philofophie, 2. Die Philofophie der Damen, d. h. philofophifche
Beziehungen Wolfis zu Frauen, 3. Naturphilo-
fophie 4. Pfychologie 5. Religionsphilofophie 6. Praktifche
Philofophie. Innerhalb der Kapitel find die verfchiedenen
Gedankengruppen, wie das bei einem derartigen Stoffe
nicht anders fein kann, lofe aneinander gereiht. Der
Hauptertrag des Briefwechfels liegt auf dem Gebiete der
Naturphilofophie. Das 3. Kapitel nimmt deshalb an Raum
mehr als die Hälfte des ganzen Buches ein. Es enthält
wertvolles Material zu Wolfis Gegenfatz gegen Newton
und zu dem von Euler entfachten Monadenftreit (i746ff).
Mancherlei Neues enthält auch das 2. Kapitel, befonders
über den nach kurzen Anfätzen fallen geladenen Plan
Wolfis, feine Philofophie in populärer Form für Damen
darzuftellen, und über feine Beziehungen zu Madame
de Chätelet, in der er eine Zeitlang einen Apoftel feiner
Philofophie bei den vom englifchen Empirismus hingenommenen
Franzofen zu finden hoffte.

Uns intereffiert natürlich am meiften der Abfchnitt über
Religionsphilofophie. Wir erhalten hier Belege über
Wolfis auch fonft bekannte Abneigung gegen ,Profanität',
Deismus und Freidenkertum, deren Echtheit und Unmittelbarkeit
gerade durch einen intimen Briefwechfel befonders
deutlich wird. Anderfeits erklärt er mit großer Offenherzigkeit
den Spinoza für fittlich höher ftehend als alle
Heiligen feiner Zeit und die meiften Orthodoxen. Einige
Notizen zeigen, daß die Angriffe der Deiften bei Wolff
doch manchen Zweifel erweckt haben. Ja er faßt die
Möglichkeit ins Auge, daß ein neues fyftema theologiae
revelatae zu machen fei, in dem die Lehre von Perfon
und Werk Chrifti vielleicht focinianifch angehaucht und
mit Spinoza Akkomodationen Gottes zuzugeben feien.
Das ift von befonderem Intereffe, weil fich Wolff m. W.
öffentlich nie fo fkeptifch gegenüber dem herrfchenden
theologifchen Syftem ausgefprochen hat. Leider bietet
Oftertag über Wolfis Anschauung von der Offenbarung
fehr wenig. Das erfcheint ihm zu theologifch, als daß es
in den Bereich feines Themas fiele. Ich möchte diefe Auf-
faffung beftreiten. Für die Gefamtauffaffung eines Philo-
fophen, der neben der Weltweisheit auch die Offenbarung
für eine Erkenntnisquelle hält, ift es doch von Wichtigkeit
, wie er fich zu diefer Offenbarung ftellt. Die in philo-
fophifchen Arbeiten nicht feltene Nichtbeachtung diefer
Seite Lockes, Leibnizens, Wolfis u. f. w. führt oft dazu,
daß das Bild ihrer Gefamtanfchauung nicht gefchichtlich
treu genug wird. Jedenfalls ift es fchade, daß der Briefwechfel
, der gerade für die Stellung Wolfis zur Offenbarung
viel enthält, nach diefer Seite hin durch Oftertag nicht
genügend ausgebeutet ift.

Doch von diefem unerfüllten Defiderat des Kirchen-
hiftorikers noch einmal zum Ganzen der Arbeit. Grundlegend
Neues bietet, wie der Verfaffer es felbft weiß, der
Briefwechfel nicht; aber man wird ihm zugeben, daß er
fich zur Nachlefe lohnte. Zumal tun wir manchen intimen
Blick in die Art Wolfis. Wie bezeichnend kommt feine
naive hochgefpannte Überzeugung vom Werte feiner