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Ausgabe:

1911 Nr. 24

Spalte:

760-761

Autor/Hrsg.:

Kähler, Martin

Titel/Untertitel:

Das Kreuz Grund und Maß für die Christologie 1911

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 24.

760

aber er führt notwendig zu einer Weltanfchauung. Denn
man kann feinen Inhalt nicht in Werturteilen darlegen.
Man muß vielmehr den Inhalt des Glaubens mit den
fonftigen Weltanfchauungselementen vereinigen. Keine
exakte Wiffenfchaft führt zu einer Weltanfchauung. Jede
Weltanfchauung ift in ihren wefentlichen Elementen von
Glaubensgedanken abhängig. Die perfönliche Erfahrung,
die Offenbarung Gottes und die philofophierende Vernunft
find für Blau die Elemente, die zu einer chriftlichen Weltanfchauung
führen. Seine apologetifche Arbeit leiftet B.
dadurch, daß er diefen Grundsätzen entfprechend die
chriftliche Weltanfchauung pofitiv darftellt. Er gibt fomit
den erften Teil einer Dogmatik. Er entwickelt in 3 Teilen:

1. Die chriftliche Gotteserkenntnis. Gottes Eigenfchaften,
Gottes Perfönlichkeit werden dargelegt, die Trinität wird
als die Dreiheit der Eigenfchaften Heiligkeit, Liebe, Weisheit
, nicht als Dreiheit dreier Perfönlichkeiten betrachtet.

2. Das Wefen des Menfchen als Einheit von Natur und
Geift wird mit befonderem Eingehen auf die tierifche Abdämmung
des Menfchen behandelt. Letztere wird als
eine offene Frage angefehen. 3. Die Welt in chriftlicher
Betrachtung. Die Frage der Schöpfung, Vorfehung, des
Wunders, das Verhältnis der Regierung Gottes zur Sünde
und zum Übel werden befprochen. Ich hebe folgendes
hervor: Gott ift nach B. ,Urheber des Böfen'. ,Gott hat
auch die Sünde gewollt zu ihrer Selbftvernichtung'. Das
Wunder wird mit C. I. Nitzfeh als Erfcheinung einer höheren
Naturgesetzmäßigkeit betrachtet, die an den Knotenpunkten
der Heilsgefchichte auftrete. Die Wunder feien Zeichen
der künftigen Heilsvollendung. Auf die hiftorifche Kritik
wird hierbei nicht eingegangen.

Eine terminologifche Unklarheit finde ich darin, daß,
B. fich bei feinen Ausführungen (S. 56; vgl. S. V) ent-
fchuldigt, daß er in Gefahr flehe, ,aus dem Gebiet der
Weltanfchauungsfragen in das der Dogmatik zu geraten'.
In Wahrheit bietet fein ganzes Buch Dogmatik und muß
fie bieten, wenn der Inhalt des Glaubens nur in einer
Weltanfchauung dargelegt werden kann. Die belle
Apologetik befteht flets in dem Nachweis der Eigenart,
des Rechts und des Inhaltes des Glaubens selbft.

Die letzten Gründe für die chriftliche Weltanfchauung
liegen für B. in dem Erlöfungsglauben des Chriftentums.
Doch fcheint ihm auch hinterher möglich, vermöge eines
Schluffes von der Wirkung auf die Urfache chriftliche
Wahrheiten zu erhärten. Er behauptet eine Identität
zwifchen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten
Objekt (S. 102 vgl. S. 198) und fchließt daraus: der Gottesgedanke
, den wir haben, könne nur aus Gott flammen,
weil ,Gleiches nur von Gleichem flammen kann'. Kraft
eines Kaufalitätsfchluffes wird von dem mutmaßlich erften
Anfang der Welt auf eine ,Ururfache' (S 153) zurück-
gefchloffen. Ebenfo wird die Frage nach dem Woher
des Neuen, das im menfehlichen Bewußtfein dem Tiere
gegenüber auftritt, mit dem Schluß auf ein unmittelbares
Eingreifen' Gottes beantwortet (S. 131). Doch follen
diefe Hinweife nicht eigentlich die Wahrheit des Glaubens
begründen. Es find Verbindungslinien, die von der
Glaubenserkenntnis aus gezogen werden, um nachträglich
Beftätigungen für fie zu gewinnen.

Über manche Einzelheiten läßt fich natürlich ftreiten,
z. B. ob der Tod ein ,fremder Eindringling in die Menfch-
heit' genannt werden kann (141) oder nicht vielmehr von
vornherein von Gott gewollt ift. — Im ganzen hat der
Verf., jetzt Generalfuperintendent in Pofen, den Pfarrern
feiner Provinz ein erfreuliches Vorbild des ernften Durchdenkens
grundlegender Fragen der chriftlichen Weltanfchauung
gegeben.

Bafel. Johannes Wendland.

| Kahler, Martin: Das Kreuz Grund und Maß für die Chriftologie.

Vorlefungen. (Beiträge zur Förderung chriftl. Theologie.
15. Jahrg. 1911, 1. Heft.) (76 S.) 8°. Gütersloh, C.
Bertelsmann. M. 1.50

Chriftologie heißt die begrifflich beftimmte Ausfage
über die Einzigkeit Jefu unter uns Menfchen, näher das
Bekenntnis zu feiner Gottheit in ausdrücklicher Abgrenzung
gegen Verdunkelung oder Leugnung (7). Der Weg
zur Gewinnung und Begründung diefer Ausfage hat feinen
Ausgangspunkt im Kreuz und erhält allein von ihm feine
rechte Orientierung und Beleuchtung. — Die Tatfache des
Kreuzes betrachtet K. zunächft als ,zeitgefchichtliche'
Wirklichkeit (15—25). Ein Juftizmord in einem Winkel
des Erdkreifes ift zum Wahrzeichen einer zweitaufend-
jährigen Bewegung geworden; denn auf Grund der Ofter-
tatfache ging dem Glauben der erften Zeugen die Gewißheit
auf, daß in dem Kreuze Chrifti Gott felbft gehandelt
und fich felbft geoffenbart habe. — Hinter dem zeit-
gefchichtlichen Gefichtskreife eröffnet fich der Gang der
bekennenden Gemeinde Chrifti durch die Jahrtaufende,
auf den der Herr felbft ihren Blick gerichtet hat. .Miffions-
gefchichte', — fo ift das 2. Kapitel der Schrift Kählers
überfchrieben (26—46). Schon der äußeren Erfcheinung
nach ift das Chriftentum unleugbar die Religion des
Kreuzes geblieben; was aber an innerem Leben in ihm
wirkfam ift, fließt aus der unter dem Kreuze gelernten
Liebe. Hier ift vor allem der Miffionsmut der Kirche
erwachfen; von Gottes wegen befteht eine Beziehung
zwifchen dem Gekreuzigten und zwifchen allem, was
Menfch heißt. Wo immer in dem Wort vom Kreuz
ja in der fchlichten Erzählung der Paffionsgefchichte
das untrügliche Bild der Gefinnung Gottes erkannt wird,
da betätigt fich die werbende Kraft des Kreuzes Jefu
Chrifti. Das Bekenntnis der Kirche fchreibt neben den
Kreuzestitel die Deutung: ,fehet da euern Gott'. Deshalb
fordert das Kreuz mit feinem univerfalen Anfpruch, mit
feinem univerfalen Anklang und mit feiner univerfalen
Wirkung die Anbetung des Unvergleichlichen, es fordert
die Chriftologie. — Aber ganz verftändlich wird das erft,
wenn fich die .Heilsgefchichte' (47—52) in der .Herzens-
gefchichte' (53—56) fpiegelt. Beide in ihrer Wechfel-
wirkung überführen davon, daß in der heiligen Liebe des
Gekreuzigten Gottes heilige Liebe will. Die Heilsgefchichte
erzählt, daß und wie fie wirklich war, die Herzensgefchichte
legt das Zeugnis von ihrer umwandelnden Wirkfamkeit
ab. — Hier liegt die Wurzel aller .Chriftologie' (57—76).
.Gerade unter dem Kreuze drängt es fich auf, daß der
Gegenftand unferes rettenden Glaubens nicht eine übernatürliche
Natur, ein Riefe aus zwei Naturen zufammen-
gewachfen, bilde, wohl aber eine übergefchichtliche Gefchichte
, wie fie im Taufbekenntnis umriffen ift und unfere
Bibel fie uns entgegenträgt' (72). — Dies die Grundgedanken
der K.fchen Schrift über das Kreuz als Grund
und Maß für die Chriftologie. Diefer .Beitrag zur Förderung
chriftlicher Theologie' (XV. Jahrgang, I. Heft) enthält die
Ausführung und Anwendung von Auslagen, die K. zu
wiederholten Malen dargeftellt und begründet hat. Er
felbft weift auf die Schriften hin, die fich in ähnlichen
Gedankengängen bewegen (S. 48). Der befonders durch
den Paulinismus beherrfchte, aber auch an andere alt-
und neuteftamentliche Schriften anknüpfende Biblizismus
K.s tritt hier in oft beredter Weife zutage. Der Verf.
ift der Überzeugung, daß der von ihm eingefchlagene
Weg von der Metaphyfik ab und in die Gefchichte hineinruft
(10). Diefe Gefchichte felbft findet aber ihren feilen
Halt und ihre tieffte Erklärung in dem, was K. ,das Übergefchichtliche
' nennt (72). — Die religiöfe Kraft und Wärme,
mit welcher K. den Eindruck des Kreuzes Chrifti auf das
empfängliche Gemüt zu bezeugen weiß, wird auch denjenigen
ergreifen und erbauen, der die dogmatifche Deutung
und Formulierung ablehnt, die der Verf. dem Glaubenserlebnis
zuteil werden läßt, und die ihn veranlaßt, feine