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Ausgabe:

1911 Nr. 24

Spalte:

758-759

Autor/Hrsg.:

Blau, Paul

Titel/Untertitel:

Geist und Natur. Versuch einer Darstellung der Grundlinien der christlichen Weltanschauung 1911

Rezensent:

Wendland, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 24.

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liehen Gnadenwirkfamkeit wohl vereinen läßt, fobald man I Wielandt, Pfr. Lic. R.: Das Programm der Religionspfycho-

fich nur die Bekehrung als einen Akt des .normativen
Geifteslebens' denkt. Endlich fpielt der Wille auch eine
Rolle in der Heiligung, die am bellen gedeutet wird als
,das durch Gottes Liebeswillen ermöglichte fortgehende
Eingehen des menfehlichen Willens auf den als normativ
erkannten göttlichen Willen'. Folgt noch ein kurzer Ab-
fchnitt über Jefus Chriftus und das normative Seelenleben,
worin darauf hingewiefen wird, daß Jefus ftets diereligiöfen
Willensnormen ftark betont habe und felbft von dem
Bewußtfein der Normalität feines Lebens erfüllt gewefen
fei. Daraus wird der Schluß abgeleitet, daß .durch Chriftus
vermitteltes religiöfes Leben', .höher zu halten' fei ,als alles
andere religiöfe Leben'.

Der letzte Teil befchäftigt fich mit den .Folgerungen
für die religiöfe Praxis'. Er will zeigen, wie auf dem
Gebiet der Predigt und des Unterrichts der Grundfatz
durchzuführen fei: ,die religiöfe Praxis muß in allen Fällen
darauf ausgehen, Akte des normativen religiöfen Vorziehens
hervorzurufen'. Der Autor knüpft an Niebergalls
Schrift ,Wie predigen wir dem modernen Menfchen?' an,
zu der er fich allerdings in einen gewiffen Gegenfatz
Baut

Das Buch, deffen Verfaffer über eine gute pfycho-

logie. (Vortrag, geh. vor dem bad. wiff. Predigerverein
zu Karlsruhe am 5. Juli 1910.) (Sammlung gemeinver-
ftändl. Vorträge u. Schriften a. d. Gebiet d. Theologie
u. Religionsgefch. 62.) (II, 40 S.) gr. 8°. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1910. M. — 80

Die kleine flott und anregend gefchriebene Schrift ift
ein bemerkenswertes Anzeichen, daß das Verftändnis für
die Bedeutung und Notwendigkeit religionspfychologifcher
Arbeit im Wachfen begriffen ift. Mit lebhaftem Enthu-
fiasmus erhebt der Verfaffer die Forderung religions-
pfychologifchen Arbeitsbetriebes für alle Gebiete der
theologifchen Wiffenfchaft, und er erhofft von der Durchführung
diefer Forderung eine gegenfeitige Annäherung
der verfchiedenen theologifchen und kirchlichen Richtungen
. Doch warnt er dabei zugleich vor einer un-
kritifchen Überfchätzung der Religionspfychologie und
ift fich ihres Unvermögens, Wahrheitsfragen zu löfen, klar
und ficher bewußt.

Daß ich foweit dem .Programm' freudig zuftimme,
brauche ich kaum erft auszufprechen. Und diefer allgemeinen
Zuftimmung könnte ich diejenige in bezug auf

Das Buch, dellen Vertaner uoer eine gute piycno- dne e Anzahl von trefTlichen Einzelausführungen und
logifche Schulung verfügt, enthalt wertvolleP ingerzeige I Einzelproblemftellungen hinzufügen. Indes erledigt ift
für die Praxis und ift überhaupt reich an ferneren Beob- doch m £ mit alledem die Frage nach

dem Programm

achtungen und geiftreichen Reflexionen, deren Genulä , der Religionspfychologie nicht. Indem Wielandt die drei
freilich ftark beeinträchtigt wird durch den Schematismus
des Ganzen. Namentlich der dritte und vierte Teil gewährt
mancherlei Anregung. Am wenigften aber kann
fich der Unterzeichnete befreunden mit dem zweiten Teil,

Hauptdisziplinen - Gruppen der theologifchen Arbeit
hiftorifche, fyftematifche, praktifche Theologie — nacheinander
durchgeht, läßt er wohl hinreichend deutlich
werden, daß für jede derfelben religionspfychologifche
fo viel Fleiß gerade auf diefen verwendet worden ift. Es j Afbeit irgenciwelcher Art möglich und nötig ift, aber die
ift doch an fich und erft recht angefichts der jungften , ;n diefer Hinficht beftehenden prinzifDiellen Ver-
Ergebniffe der religonspfychologiichen P orlcnung trag- j fchiedenheiten werden nicht mit ge nügender Klarheit
hch, ob fich die dalelbft ftatuierte Unterfcheidung zum Bewußtfein gebracht. Da für die fyftematifche Theo-
yon religiöfen und fitthehen Normen konfequent durch- j , • das Wahrheitsintereffe eine ganz andere Bedeutung
führen läßt. Bedenklicher wird man noch, wenn man ha1 als für die Disziplinen der hiftorifchen Theologie einer-

feits, der praktifchen Theologie andererfeits, nämlich eine
durchaus fundamentale und prinzipiell entfeheidende Bedeutung
, fo wird für die fyftematifche Theologie, auf
derem Gebiet die ganze Frage nach der Religionspfychologie
allein zum vollen Austrag kommen kann, folgende
Alternative nicht zu umgehen fein. Entweder man muß
nach dem Vorfchlag von Tröltfch verfuchen, von der rein
empirifch-pfychologifchen Analyfe aus zu einem das
religiöfe apriori erfaffenden immanenten Rationalismus
fortzugehen, oder aber man muß ein Verfahren der Art
einfchlagen, wie ich es früher (Grundprobleme der fyfte-
matifchen Theologie, 1899) als hiftorifch-pfychologifches
geltend gemacht habe, während ich es neuerdings unter
dem Begriff des tranfzendental-pfychologifchen Verfahrens
methodifch fchärfer zu beftimmen und für die gefamte fyftematifche
Theologie, d. h. ebenfo für die eigentliche Dog-
matik wie für die Religionsphilofophie durchzuführen fache.

Aber wenn auch Wielandt diefe Kernfrage des
ganzen Problems noch unberührt läßt, hat er doch durch
feine Darlegungen, deren warme Begeifterung durch ihre
kritifche Befonnenheit zu voller Wirkungskraft kommt,
der Sache der Religionspfychologie einen bedeutfamen
Dienft erwiefen.

fich die aufgeftellten fpezififch religiöfen Normen
einmal vergegenwärtigt. Sie lauten: ,1. Religiöfer Wert
ift religiöfem Unwert vorzuziehen. 2. Mehr religiöfer Wert
ift weniger religiöfem Wert vorzuziehen. 3. Das Sein von
religiöfem Wert ift dem Nichtfein desfelben vorzuziehen.
4. Religiöfer Perfonwert ift religiöfem Zuftandswert vorzuziehen
. 5. Religiöfer Fremdwert ift religiöfem Perfonwert
vorzuziehen. 6. Das Wollen von religiöfem Wert
ift dem Wollen von jedem anderen Wert vorzuziehen'
Es bedarf keines langen Zufehens, um zu gewahren, daß
die meiften diefer .Normen' zu religiöfen lediglich durch
die jedesmalige Einflechtung des Wörtchens .religiös' ge-
ftempelt werden. Und nahezu peinlich wirkt es, wenn dann
die betreffenden inhaltsarmen Normen kurzweg als das
.religiöfe Apriori' ausgegeben, wenn ein .Normbegriff der
Religion' daraus künftlich abgeleitet und fie als ,ein kritifcher
Maßftab zur Beurteilung der Gefamterfcheinung der verfchiedenen
Religionen' zuverfichtlich gehandhabt werden.
Mit derartigen formaliftifchen Operationen kommen wir
religionsphilofophifch oder apologetifch wahrlich nicht
vorwärts. Ift da nicht fchließlich die Auffaffung, nach
welcher der Glaube an die abfolute Geltung aller Normen
im religiöfen Glauben feinen letzten Halt hat, doch noch
die tiefere, die zugleich den abfolutiftifchen Anfprüchen
allen religiöfen Glaubens beffer gerecht wird? Es ift fehr
fchade, daß Verf. die rein pfychologifchen Fragen und
deren Unterfuchung, worin er wirklich etwas zu leiften
vermag, verquickt hat mit Problemen oder, richtiger,
Problemftellungen, die, an fich unklar, ein unvorteilhaft
wirkendes Ferment in feinem Buche bilden.
Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Breslau. G. Wobbermin.

Blau, Gen-Superint. Paul: Geilt und Natur. Verfuch e.
Darftellg. der Grundlinien chriftl. Weltanfchaug. (VII,
200 S.) gr. 8°. Berlin, Trowitzfch & Sohn 1910'.

M. 3.20; geb. M. 4 —
Das Buch von Blau ift aus Vorlefungen hervorgegangen
, die der Verf. in dem apologetifchen Seminar in
Wernigerode gehalten hat. Die Einleitung behandelt das
Verhältnis von Glauben und Weltanfchauung: der religiöfe
Glaube ift etwas anderes als eine Weltanfchauung;