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Ausgabe:

1911 Nr. 2

Spalte:

750-751

Autor/Hrsg.:

Löhr, Joseph

Titel/Untertitel:

Methodisch-kritische Beiträge zur Geschichte der Sittlichkeit des Klerus besonders der Erzdiözese Köln am Ausgang des Mittelalters 1911

Rezensent:

Bruckner, Albert

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749

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 24.

der C. der Kategorie der erbaulichen Romane zuzuweifen
und als Gefchichtsquelle völlig auszufchalten (S. 5—12).
Sie fucht deshalb, methodologifch ganz richtig, lediglich
aus den monumentalen und liturgifchen Quellen hiftori-
fche Auffchlüffe zu gewinnen. So bietet Verf. zunächft,
auf Grund der, die Refultate de Roffis mannigfach
modifizierenden Arbeiten von Wilpert, eine eingehende
Unterfuchung der älteften Anlage der Kalixtkatakombe
(S. 15—40), deren Chronologie die einzige hiftorifche
Grundlage für die Datierung des Martyriums der C.
biete (S. 30). Seine Refultate find: Die Nifche der Cä-
cilienkrypta barg, wie die Dekorationen vom 4. Jahrh.
ab beweifen, ein vielverehrtes Märtyrergrab. Die Krypta
ift gleichzeitig mit der Papftkrypta entftanden, wahr-
fcheinlich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrh., urfprüng-
lich beftimmt für Angehörige der gens Caecilia, der die
Grabanlage gehörte. Die beiden Nifchengräber find
nicht Papftgräber, waren alfo bereits befetzt, als man
im Jahre 236 Päpfte hier zu beftatten begann. Mithin
ruhten in ihnen Angehörige (refp. irgendwie Zugehörige)
der gens Caecilia. Alfo gehört die Märtyrerin C. wahr-
fcheinlich direkt diefem edeln Gefchlechte an, und für
ihr Martyrium bleiben offen die beiden Verfolgungszeiten
c. 170—185 oder c. 202—211, fo zwar, daß der Befund
der Grabftätte eher für die ältere Zeit fpricht. Kap. II
(S. 41—57) befpricht auf Grund der neuerdings vorgenommenen
Ausgrabungen die Cäcilienkirche in Traftevere.
Sie ift ficher bezeugt für 499, entftand aber wahrfchein-
lich fchon im 4. Jahrh. an der Stelle eines vornehmen
Wohnhaufes, deffen Baderaum fichtbar blieb (woher das
Motiv des Erftickens im Baderaum in den Akten). Papft
Pafchalis I (817—24) nahm einen Neubau vor und übertrug
in ihn die Gebeine der Heiligen. Ihre Verehrung
in der alten römifchen Kirche behandelt auf Grund des
liturgifchen Materials das 3. Kap. (S. 58—74). Im 4. Jahrh.
noch wenig hervortretend, gehört C. fpäter, wie die Liturgien
und die Ausftattung ihres Feftes mit einer Vigil
beweifen, zu den berühmteften römifchen Märtyrerfiguren.
Insbefondere wird noch, in Auseinanderfetzung mit den
Löfungen anderer Forfcher, die dreimalige Aufführung der
C. im Martyrologium Hieronymianum fcharffinnig erörtert.

Die wiffenfchaftliche Sorgfalt, mit der einzelne Probleme
behandelt find, verfagt an einem, und zwar dem
Hauptpunkte völlig: Ohne jede ernftliche Erwägung des
Problems wird über die Hiftorizität des Martyriums einfach
die kategorifche Behauptung ausgefprochen: ,Daß
C. eine Martyrin der römifchen Kirche ift, fteht außer
Zweifel' (S. 73; vgl. 59 A. 1 Zweifel .völlig unberechtigt').
Außer Zweifel fteht vielmehr lediglich, daß C. vom
5. Jahrh. ab in fteigendem Maße als Blutzeugin verehrt
wurde; vielleicht auch fchon im 4. Jahrh., obwohl die Tatfache
, daß weder die Depositio martyrum von 354, noch
die Damafianifchen Infchriften, noch Prudentius C. auch
nur erwähnen, weit fchärfer zu betonen ift, als Verf. dies
S. 58 f. tut. Im übrigen Rheinen mir die Feftfetzungen
des Verf.s über die beiden Krypten, ihre Richtigkeit
vorausgefetzt, eine ganz andre Schlußfolgerung nahezulegen
. Ruhte wirklich in dem Hauptgrab der Cäcilien-
krypta, und zwar fchon feit fo früher Zeit, eine Cacilia
(es ift dies nur ein, allerdings wahrfcheinlicher, Schluß,
denn der Name hat fich als Auffchrift bisher nicht gefunden
), fo folgt aus diefem Ehrenplatze zunächft nur,
daß diefe C. irgendwie eine Angehörige der gens Caecilia
war, der das Coemeterium urfprünglich gehörte;
denn diefe Tatfache reicht an fich völlig aus, die Be-
ftattung an diefem Ehrenplatze zu erklären. Wie leicht
aber konnte die befondere Heiligkeit der daneben liegenden
Papftkrypte, wie die Tatfache, daß unter den hier
und z. Teil vielleicht auch in der Cäcilienkrypte ruhenden
Bifchöfen eine Reihe von hochverehrten Märtyrern fich
befand, Spätem den Schluß nahelegen, daß auch die
in fo erlauchter Gefellfchaft in dem vornehmften Grabe
der Krypta ruhende C. Märtyrerin fein müffe, und die

entfprechende Ausfchmückung und Verehrung des Cä-
ciliengrabes verurfachen. Jedenfalls ift die Tatfache,
daß C. vom 5., refp. 4. Jahrh. ab als Märtyrerin verehrt
wurde, längft kein Beweis für die Gefchichtlichkeit ihres
Martyriums.

Straßburg i. E. Anrieh.

Lohr, Dr. theol. et phil. Jofeph: Methodifch-kritifche Beiträge
zur Geichichte der Sittlichkeit des Klerus befbnders
der Erzdiözefe Köln am Ausgang des Mittelalters.
(Reformationsgefchichtliche Studien und Texte. Hefti7.)
(VIII, 120 S.) gr.8°. Münfter i. W., Afchendorff 1910.

M. 3.20

Das jedes Ergebnis der hiftorifchen Wiffenfchaft, auch
wenn es noch fo gekichert erfcheint, wieder zum um-
ftrittenen Problem werden kann, dafür ift die vorliegende
Schrift ein beredtes und beachtenswertes Zeugnis. Ver-
fucht fie doch nichts geringeres als die Ehrenrettung des
fpätmittelalterlichen Klerus, deffen bedenklicher fittlicher
Tiefftand nach proteftantifchem wie katholifchem Urteil
einen wefentlichen Beitrag zu dem Entftehen und rafchen
Wachfen der Reformation in Deutfchland geleiftet hat.
Zwar ift das pofitive Material, das Lohr neu herzubringt
(einige kirchliche Jurisdiktionsrechnungen aus dem Archi-
diakonat Xanten u. ä.) außerordentlich dürftig; um fo
höher aber wertet der jugendliche Verfaffer feine metho-
difchen Darlegungen, die dahin ausmünden, daß die erzählenden
Quellen, zu denen er fchließlich auch die Vifi-
tationsberichte zählt, weil meift ftark fubjektiv gefärbt,
durchaus minderwertig feien gegenüber den fogenannten
objektiven Quellen, zu denen er vor allem die Offizialats-
protokolle und allfällige Rechnungen über eingenommene
kirchliche Strafgelder rechnet.

Man wird Lohr nun zwar gerne zugeben, daß die
von ihm genannten Quellen im allgemeinen zuverläffiger
und unparteilicher find, als die ,fogenannten erzählenden'
Quellen. Aber man wird doch beifügen müffen, daß fo
lange jene Quellen noch fo überaus dürftig find, man
gut tun wird, keine allzuweitreichenden Schlüffe daraus
zu ziehen. Denn die Sittenfchilderungen, Predigten, Vifi-
tationsberichte, Synodalbefchlüffe ufw. würden doch wohl
nicht fo übereinftimmend den Klerus jener Zeit belaften,
wenn nicht fchwere und fchwerfte Mißftände in dem fitt-
lichen Leben desfelben vorhanden gewefen wären. Und
ferner muß m. E. noch bewiefen werden, daß jene Rechnungen
vollftändig find. Die hier aufgeführten Verfehlungen
find nämlich fo auffallend niedrig, daß fie faft
unmöglich alle fittlichen Vergehungen des Klerus (ein-
fchließlich des Konkubinates) des betreffenden Sprengeis
in fich faffen können, fondern nur die fchweren, d. h. diejenigen
, die, wie wir zu lagen pflegen, eigentlich fkanda-
lös waren und gebieterifch eine Beftrafung verlangten.
Denn daß bis zum Ende des 15. Jahrhunderts im Erz-
ftift Xanten von durchfehnittlich 100 Prieftern höchftens
einer fich im Laufe eines Jahres eine einzige fittliche Verfehlung
habe zufchuklen kommen laffen (S. 59), ift ein fo
verblüffend günftiges Refultat, daß es unmöglich zutreffend
fein kann. Denn fonft hätte der Priefterftand von Xanten
in der bewußten Zeit eine folche fittliche Höhe erklommen
gehabt, wie fie in der ganzen Gefchichte des Chriften-
tums und vorab des zöhbatären Klerus fonft völlig unbekannt
ift. Und es ließe fich kaum begreifen, daß nicht
immer wieder von Predigern und Sittenreformern anderer
Gegenden darauf hingewiefen worden ift, daß wenigftens
in diefem einen Sprengel des Landes ein ftrenger, fittenreiner
Klerus vorhanden fei, wie ähnlich 1—2 Jahrhunderte
fpäter immer wieder auf die Sittenftrenge der kleinen
Genfer Republik ift hingewiefen worden. Sind aber nur
beftimmte, jener Zeit für befonders gravierend geltende
Fälle mit diefen Strafen belegt worden, oder kam nur
fonft eine befchränkte Auswahl von Fällen zur Anzeige