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Ausgabe: | 1911 Nr. 24 |
Spalte: | 745-747 |
Autor/Hrsg.: | Radermacher, Ludwig |
Titel/Untertitel: | Neutestamentliche Grammatik 1911 |
Rezensent: | Schmiedel, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 24.
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Das zweite Gedicht, das um 162 v. Chr. verfaßt fein foll,
7, 1. 2. 3. 4a; 7. 8. 9. 10; 11. 12. 13 ,Vertrauen trotz Verfolgung
', ift aus drei Strophen von je drei Verfen gebildet
, jede Zeile zu 3 + 3 Hebungen. Gleichfalls aus
drei Strophen befteht das dritte Gedicht 7, 14. 15; 16. 17;
18. 19. 20 um 160 v. Chr., jede Strophe aber umfaßt
zwei Verfe, deren Zeilen 3 + 2 Hebungen haben: ,Gott
will feiner Herde verzeihen und die Heiden unterwerfen'.
Das vierte Gedicht: Wiederherftellung Judas und Zions
4, 6. 7. 5. 6. 7. 9. 11. 14. 4, 1—5 um 135 v. Chr. hat zwei
Strophen, jede von drei Verfen mit je drei Doppelzeilen,
jede Zeile von 3 + 3 Hebungen. Das fünfte Gedicht,
Johann Hyrcans Zerftörung Samariens' um 107 v. Chr.
umfaßt drei vierzeilige Verfe, jede Zeile aus 3 + 3
Hebungen. Ebenfo ift es bei dem fechften Gedicht um
100 v. Chr. ,Was verlangt Gott vom Menfchen' 6, 6. 7. 8.
Die Darlegung diefer literarkritifchen Anflehten H.s
heißt fchon fie kritifieren, denn fofort wird jedem Lefer
die Schwäche derfelben klar werden: es find mehr oder
weniger geiftvolle oder fcharffinnige Einfälle, die eines
objektiven wiffenfehaftlichen Beweifes, über den fich ftrei-
ten ließe, entbehren. Es liegt durchaus kein Hindernis
vor, daß nicht irgend ein anderer Kritiker uns irgend
eine andere Kombination vorlegte, die den gleichen Grad
wiffenfehaftlicher Sicherheit für fich in Anfpruch nehmen
könnte. Daß jemals bei diefer Methode der Arbeit eine
wiffenfehaftliche Verftändigung mit andern möglich fein
follte, fcheint mir ausgefchloffen. Und wie foll man es
fich vorftellen, daß aus diefer von H. rekonftruierten Ur-
geftalt des Buches unfer kanonifches Buch geworden fein
follte? Was von den einzelnen Gedichten gilt, trifft nicht
minder die von H. unternommene zeitliche Feftlegung.
Man prüfe diefe einzelnen Lieder auf den etwa durch-
fcheinenden hiftorifchen Hintergrund und frage fich, ob
irgend welche auch für andere Sterbliche erkennbaren
Momente hervortreten, die uns zu einer derartigen Datierung
diefer makkabäifchen Lieder berechtigen. Wertvoller
fcheinen mir H,s Rekonftruktions-Verfuche des
urfprünglichen Metrums: auch hier fpielt natürlich die
Subjektivität eine ftarke Rolle, aber immerhin wird da
und dort Brauchbares für die Textkritik übrig bleiben.
Den wertvollften Teil der Arbeit bilden die fehr umfangreichen
textkritifchen Noten, die nicht weniger als 36 S.
umfaffen: wie in den früheren exegetifchen Veröffentlichungen
H.s enthalten diefe Noten in textkritifcher wie
lexikalifcher und grammatifcher Beziehung eine Fülle
wertvoller Bemerkungen von bleibendem Wert. Für den
Exegeten bieten auch die exegetifchen Anmerkungen auf
S. 18—62 vielfache Anregung und Förderung, doch fordern
fie, da fie in enger Verbindung mit H.s literarkritifchen
Anflehten flehen, häufig zum Widerfpruch heraus.
Straßburg i. E. W. Nowack.
Radermacher, Prof. Dr. Ludw.: Neuteftamentliche Grammatik
. Das Griechifch des Neuen Teftaments im Zu-
fammenhang mit der Volksfprache. (Handbuch z. N. T.
Hrsg. v. H. Lietzmann. I. Bd., 1. Tl.) (IV, 207 S.) Lex. 8°.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1911. M. 4—; geb. M. 5—
Eine Grammatik, die eine intereffante Lektüre bildet,
wäre wirklich ein Ideal; und R. hat viel getan, um fich
ihm zu nähern. Die großen Gefichtspunkte der Sprachentwicklung
treten durchaus in den Vordergrund; manche
derfelben fowie die beigebrachten Belege werfen auf
merkwürdige Erfcheinungen oft ein überrafchendes Licht.
Den vorgetragenen philologifchen Anflehten gegenüber
enthält fich Ref. als Nichtphilolog jedes Einfpruchs1, und
1) Um fo mehr bin ich verpflichtet, bei der Korrektur hiuzuzufügen,
daß inzwifchen Xachmanfon bei Befprechung der erden 80 Seiten in der
Berliner philologifchen Wochenschrift Sp. 1180—1194 vom philologifchen
Standpunkt aus fchwere Vorwürfe gegen die ,unüberfichtliche, unzuver-
läffige, unvollftändigc Grammatik' erhoben hat. Die Syntax beurteilt er
in einer vorläufigen Bemerkung im ganzen gündiger.
j die Heranziehung all des philologifchen Stoffs würde er
als Theolog mit Freuden begrüßen, wenn das N. T. dabei
nicht zu kurz käme. Das ift aber leider in einem Grade
der Fall, der zu den fchwerften Bedenken Anlaß gibt.
Als Teil des .Handbuchs zum N. TV ift das Werk für die
Hand des Studenten beftimmt. Nehmen wir nun, um in
ganz ftatiftifcher und kontrolierbarer Weife vorgehen zu
können, den Abfchnitt über die Deklinationen. Hier fleht
es für R. wohl am günftigflen, da er zuerft auf 10 Seiten
die gefamte Entwickelung der Koine fkizziert und davon
getrennt auf 2 Seiten (S2f.) die entfprechenden Erfcheinungen
des N. T. vorführt. Zerlegt man den Stoff, den er
und Blaß hier bringen, in kleinfte Einheiten (Gruppen
bezw. einzelne Wörter), fo hat er deren etwa 40 mit Blaß
gemein, während er etwa 19 und außerdem alles über
die Eigennamen mit keinem Worte berührt. Warum?
Für fünf folche Wörter reicht bei ihm eine Zeile, um fie
j als Subftantiva bald des einen, bald des andern Gefchlechts
aufzuzählen; warum erfährt man nichts über die 9 andern,
gerade wenn fie weniger ficher flehen? Daß mehrere von
| den 19 Fällen auf den erwähnten 10 Seiten erfcheinen,
darf nicht geltend gemacht werden; denn es gefchieht
meift ohne Erwähnung ihres Vorkommens im N. T., und
auf den 2 Seiten verspricht R. alles Neuteftamentliche
J zu bringen. Und wie werden die 40 Erfcheinungen be-
I fprochen? Für drei von ihnen find Bibelftellen genannt,
! für die übrigen keine. Wer diefen alfo nachgehen will,
muß ein Lexikon oder eine Konkordanz nehmen, darin
j Wort für Wort auffchlagen und mühfam die Bibelftellen
I fuchen, in denen die befprochenen Abweichungen fich
zeigen. Noch nie hat eine neuteftamentliche Grammatik
; das von ihren Benutzern verlangt. Und wo in Lexikon
j oder Konkordanz finden fie ,die Subftantiva auf -pa und
i -vla'f Durch das ganze Buch hindurch gehen die Ver-
weifungen: ,bei Paulus', ,bei Lukas', ,im N. TV Da ift es
nicht merkwürdig, daß das Stellenregifter zum N. T., das
offenbar auf Vollftändigkeit angelegt ift, nur 2 Seiten umfaßt
und das zu andern Autoren 10 Seiten.
Während aber in der Formenlehre Einzelheiten wenig-
ftens berührt werden, fleht es damit noch viel ungünftiger
in der Syntax. Auf der erften der zwei Seiten über den
| Dativ werden deffen verfchiedene Abarten je mit einem
I Satze charakterifiert, auf der zweiten werden drei im N.T.
auffallende befprochen. Man will aber nicht bloß hören,
daß es einen Dativ des Inftruments und einen des Orts
gibt, fondern man will wiffen, ob man Act. 2, 33 überfetzen
muß: ,durch die rechte Hand Gottes erhöht', oder
ob man überfetzen darf: ,zur rechten Hand Gottes erhöht
', was feine Bedenken hat; man will wiffen, was
Rom. 12, 12 t(] Qllipsi vjtouivovxeq heißt, woran fich auch
ein Gelehrter den Kopf ein wenig zerbrechen kann, ufw.
Gern beachten wir, daß R.s Buch laut Vorwort ,keine
Materialfammlung' fein foll, fowie die Erklärung: ,Daß
Beifpiele aus dem N. T. nur mit Auswahl herangezogen
wurden, entfpringt beftimmtem Vorfatz: einesteils find
die Sammlungen andrer bequem zugänglich, andernteils
fchien es richtig, die, welche es angeht, an den Gedanken
zu gewöhnen, daß im N. T. Koine vorliegt und daß diefe
Koine fich ebenfo geartet auch anderswo findet'. Aber
was wir meinten, find nicht Beifpiele, durch die eine Regel
bloß belegt würde, fondern grammatifch fchwierige Fälle,
über die der Benutzer in einer Grammatik nun einmal
Auffchluß fuchen darf; und daß man zu einer folchen für
4 M. noch eine für 6 M. brauche, wird einem Studenten
wohl wenig einleuchten. Das ganze Kapitel vom Satzgefüge
(S. 172 ff.) befteht aus außerbiblifchen Beobachtungen
(acht Seiten) und dem Abfchluß: ,Man wird in
den vorftehenden Ausführungen fo ziemlich alles belegt
finden, was Blaß als Eigentümlichkeiten der neuteftament-
lichen Syntax hervorgehoben hat'. Aber wer findet es
ohne Blaß aus dem N. T. heraus, abgefehen von den
wenigen Beifpielen, die R. noch anfügt? Begreiflich wird
der zitierte Satz ja vielleicht, wenn wir mitteilen, daß diefes
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