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Ausgabe: | 1911 Nr. 24 |
Spalte: | 739-741 |
Autor/Hrsg.: | Reitzenstein, Richard |
Titel/Untertitel: | Die hellenistischen Mysterienreligionen, ihre Grundgedanken und Wirkungen. Vortrag 1911 |
Rezensent: | Zieliński, Tadeusz |
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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 24.
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gefchichte, auch die des Alten Teftaments. Die Einflüffe, [
die von der vorifraelitifchen Bewohn er fchaft Kanaans auf
die Entwicklung der altteftamentlichen Religion ausgegangen
find, dürfen wir uns nicht mehr, wie es noch
vor einigen Dezennien möglich fchien, als reinfemitifchen
Urfprungs vorftellen. Die Probleme, die fich daraus für
die Religionsgefchichte ergeben, find m. E. noch viel
komplizierter als der Verf. es annimmt. Ich halte es
nicht für erwiefen, was ihm feftfteht, daß bei der Einwanderung
der Ifraeliten in Kanaan unter babylonifchem
Einfluß eine einheitliche Weltanfchauung und damit ein
einheitlicher Gottesglaube (der Verf. will für beides die
beftimmte Bezeichnung ,babylonifch' als Hinweifung auf
den Urfprung nicht anwenden) in den Ländern Vorder-
afiens verbreitet waren. Ich bezweifle überhaupt, daß die
Weltanfchauung, die der Verf. meint und S. 99 fkizziert
(die ,Entfprechungstheorie' S. 100), in alten Zeiten be-
ftand; jedenfalls läßt fle fich im älteften Kanaan nicht
nachweifen. Ich halte es ferner für unrichtig, aus dem Gebrauch
babylonifcher Schrift und im fchriftlichen Verkehr
auch babylonifcher Sprache im Kanaan der ,Amarna'-
Periode auf einen parallelen Einfluß babylonifcher Religion
direkte Folgerungen zu ziehen. Die Verbreitung ara-
mäifcher Sprache und Schrift in fpätern Jahrhunderten,
der nicht überall eine Verbreitung aramäifcher Religion
entfprach, erfolgte freilich unter wefentlich andern Zeit-
verhältniffen, darf aber doch immerhin angefehen werden
als eine analoge Erfcheinung, welche vor den vom Verf.
mit vielen andern vorgetragenen Folgerungen warnt.
Aber von jener allerdings einfchneidenden Differenz ab-
gefehen, finde ich die Formulierung der für die Religionsgefchichte
beftehenden Probleme bei dem Verf. im allgemeinen
gut. Ein gelegentlicher prophetifcher Ausblick
in die Löfung wäre beffer unterblieben. Gerne dagegen
fchließe ich mich dem an, was der Verf. S. 101 f. über
die Begründung der altteftamentlichen Religion durch
eine fchöpferifche religiöfe Perfönlichkeit ausspricht; nur
ift doch wohl zu fagen, daß wir an diefem Punkt auf
gefchichtliche Ermittelung verzichten müffen.
Berlin. Wolf Baudiffin.
Reitzenftein, R.: Die helleniitilchen Myfterienreligionen, ihre
Grundgedanken und Wirkungen. Vortrag, geh. in dem
wiffenfchaftl. Predigerverein für Elfaß-Lothringen, den
11. IX. 1909. (222 S.) 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1910.
M. 4—; geb. M. 4.80
Die Rezenfion erfcheint gar fehr verfpätet — durch
die Schuld des Rezenfenten, wie offen bekannt werden
muß, die indeffen auf eine Schuld des Verfaffers zurückzuführen
ift. Reitzenfteins Schriften enthalten einerfeits
eine folche Fülle gediegener, aus dem innerften Schoß
der Wiffenfchaft gefchöpfter Erudition, find aber andrer-
feits fo unüberfichtlich disponiert und überhaupt fo fchwer
zu lefen, daß ihre Bewältigung unmöglich den Amts-
gefchäften parallel laufen kann, fondern eine Reihe freier
Tage erfordert, wie fie unfereinem nur die Ferienzeit
bietet. Da habe ich denn fein Buch vorgenommen und
den eigentlichen Vortrag (S. 1—60) dreimal gelefen —
einmal im Zufammenhange, das andre mal mit den gelehrten
Anmerkungen und Exkurfen (S. 63—222), das
dritte mal wieder im Zufammenhange. Dennoch muß
ich darauf verzichten, eine klare Inhaltsüberficht zu geben;
dazu ift der Faden der Darftellung zu verworren. Einem
geringeren gegenüber wäre das ,si non vis intellegi, non
debes legi' am Platze; Reitzenftein gegenüber darf man
fich fchon die Mühe nicht verdrießen laffen — der Lohn
ift auch fo groß genug.
Das Thema, wie der Verfaffer es fich geftellt hat,
würde eine klare Gliederung ohne weiteres an die Hand
geben: es waren — meinetwegen nach einer kurzen Einleitung
über die religiöfe Kultur des Plellenismus — erftens
die einfchlägigen Myfterienreligionen in ihren charakterifti-
fchen Zügen darzuftellen, zweitens ihre gemeinfamen
Grundgedanken zu entwickeln, endlich ihre Wirkungen
zu verfolgen. Der erfte Teil — es handelt fich vorab
um die Myfterien der Ifis, die phrygifche Bluttaufe, den
Mithraismus und die Hermetik — würde nach den
Schriften Cumonts, Revilles u. a. nebft des Verfaffers
eigenem Poimandres nicht viel Neues bieten, dürfte aber
trotzdem als Grundlage des Weiteren nicht fehlen; wir finden
ihn mit reichem affoziativem Rankwerk verflochten S.25—35.
Den zweiten Teil anlangend konnte dem gemeinfamen
Grundgedanken gegenüber, der xaZiyysveöla, kein Zweifel
obwalten; das Wie ift indeffen in den mannigfachen
Brechungen und Ausftrahlungen fo reich, daß hier viel
Eigenes gegeben werden konnte und tatfächlich gegeben
worden ift — nur ift es über das ganze Werk zerftreut
und muß mühfam zufammengefucht werden. Den Wirkungen
endlich geht der Verfaffer natürlich im Chriften-
tum nach, und zwar nicht nur in der halbchriftlichen
Gnofis (hier ift bei der Fülle des Materials die Darlegung
etwas paradigmatifch), fondern auch bei Paulus. Das ift
das eigentliche Widerftandftück: nicht nur aus feinem
Geilte, aus der keimenden chriftlichen Tradition, aus der
Bibel, aus der Lehre der Pharif äer, ift Paulus zu erklären —
als neue Quelle find die helleniftifchen Myfterienreligionen
heranzuziehen: Paulus als öiöfiiog Xqigtov, als Gerechtfertigter
, als Inhaber der Gnofis und des Pneuma (cf. die
langen Exkurfe S. 112—159 und S. 160—204), ift nur auf
Grund ihrer voll zu verftehen. Wie fich darnach die
Entwicklungsgefchichte des Apoftels darftellt, fucht der
kurze Exkurs S. 2O9 ff. zu zeigen.
Reitzenfteins Methode ift hierbei die fprachlich-
philologifche: er nimmt die einzelnen Ausdrücke her
(ötöfiiog = xatoyog, ötxaiovv, yvmGig, dogct, jcvsvfia ufw.)
und verfolgt fie in ihrer Verwendung innerhalb der
griechifchen Myfterienliteratur. Kein Zweifel, daß fich
hier fchlagende Parallelen darbieten; mag auch die Kritik
manche Auswüchfe befchneiden, vielleicht auch prinzipiell
die Beweiskraft der nachpaulinifchen Literatur beftreiten —
es bleibt des Plaufiblen genug da. Aber was wäre damit
erwiefen? Die ,akute Hellenifierung des Chriftentums'
fchon bei Paulus? Nein; der helleniftifche Einfchlag bei
Paulus ift erft die eine Hälfte der Thefe; die andere ift
der orientalifche Einfchlag in den ,helleniftifchen Religionen
'. Den wird jeder prinzipiell zugeben; das Maß
ift es, um das es fich handelt. Wir verlangen, daß für
jedes Element diefer Religionen die Frage nach feinem
griechifchen oder orientalifchen Urfprung geftellt und
nach Maßgabe des vorhandenen Materials beantwortet
oder offen gelaffen werde. Wie verfährt nun der Verfaffer
? ,1m Leben ift Prophet der ehrenvolle, Goet der
verächtliche Titel für fie [die Seher]. Die Erklärung
bietet offenbar der Charakter orientalifcher Religionen'
(S. 13). Stand es zu Ariftophanes Zeiten damit anders? —
In der Hermetik wird der Wiedergeborene felber Gott oder
Menfch Gottes; ,die mehrfach in der theologifchen wie
der Zauberliteratur wiederkehrende, offenbar aus dem
Semitifchen überfetzte Formel' ... (S. 35). Und die
,femitifchen' Belege? — ,Daß das Wort yvmGig dabei
technifchen Sinn hat, einen Sinn, den es in einer originell
griechifchen Entwicklung gar nicht haben konnte.. .' (S. 39).
Warum? — Der Gegenfatz tpvytxog und xvev/ictTixog
foll gleichfalls aus der griechifchen Entwicklung unerklärbar
fein: ,1m Gegensatz zu jcveiuarixog, „wer xvtvfia ift
oder jcvevfia hat", kann xpvyixog nur heißen, „wer tpvyq
ift oder tyvyr) hat", nimmermehr aber, „wer außer feiner
tyvyrj nicht noch ein jcvevfta hat"; dann hätte man bei
diefen fcharfen Gegenfätzen dem jivtv/iazixoq ein anviv-
/larog entgegengeftellt' (S. 43). Aber das ift doch eine
geläufige Semantik; xpvyixög ift der ,Nurpfychiker', ganz
ebenfo wie proletarius im Gegenfatz zu assiduus der
,Nurkinderbegabte' ift, der außer feinen Kindern nicht
noch Haus und Hof hat. Und gerade ajtvevfiatog war