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Ausgabe:

1911

Spalte:

737-739

Autor/Hrsg.:

Böhl, Franz

Titel/Untertitel:

Kanaanäer und Hebräer. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Volkstums und der Religion Israels auf dem Boden Kanaans 1911

Rezensent:

Baudissin, Wolf Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf Harnack

Fortgeführt von Professor D. Arthur TitiUS und Oberlehrer Hermann Schuster

Jahrlich 26 Nm._Verlag: J. C. Hlnrichs'fche Buchhandlung, Leipzig _Halbjahrlich 9 Mark

_^ Manufkripte und gelehrte Mitteilungen find ausfchließ 1 ich an

OD. Jahrg. IMr. 24 ProfeflbrD. Titius in Göttingen, Nikolausbcrger Weg 66, zu fenden. 25« NOVeiTlDer 191]

D Rezenfionsexemplare ausfchließlich an den Verlag.

Böhl, Kanaanäer und Hebräer (Baudifiin).
Reitzenftein, Die helleniftifchen Myfterien-

religionen (Zielinski).
Codex Zuqninensis rescriptus Veteris Testameuti,

herausg. v. Eugene Tisserant (A. Rahlfs).
Mader, Die Menfchenopfer der alten Hebräer

und der benachbarten Völker (J. Herrmann).
Haupt, The Hook of Micah (Nowack).
Radermacher, Neuteftamentliche Grammatik

(P. W. Schmiedel).
Wendt, Die Schichten im 4. Evangelium (Well-

haufen).

Dirking, S. Basilii Magni de divitiis et pauper-
tate sententiae quam habeant rationem cum
veterum phiilosophorum doctrina (Koetfchau).

Kirfch, Die heilige Cacilia in der römifchen
Kirche des Altertums (Anrieh).

Lohr, Methodifch-kritifche Beiträge zur Ge-
fchichte der Sittlichkeit des Klerus (Bruckner).

Grifar, Luther. Band II: Auf der Höhe des
Lebens (Harnack).

Braig, Der Modernismus der Wilfenfchaft (Graf
Hocnsbroech).

Pfennigsdorf, Der religiöfe Wille (E. W.
Mayer).

Wielandt, Das Programm der Religionspfycho-

logie (Wobbermin).
Blau, Geifl und Natur (Johannes Wendland).

Kahler, Das Kreuz Grund und Maß für die
Chriflologie (Lobftein),

Gjeffing, Norwegifche Kirchenkunde (Drews).
Eichner, Unfere Kirche (Kübel).

Lachmann, Lebensbilder im Lichte der Ewigkeit
(Schian).

Lefegottesdieufte für die Hand des Predigers,
herausg. von Chr. Elfenhans (Georg Hoffmann
).

Referate: Gerftung, Das Opfer. — Hilbert,
Der moderne Perfönlichkeitskultus. — Bau-
manu, Eine neue Nachfolge Jefu.

Wichtige Rezenfionen. — Neuelle Literatur.

Böhl, Lic. Dr. Frz.: Kanaanäer und Hebräer. Unter-
fuchungen zur Vorgefchichte des Volkstums und der
Religion Ifraels auf dem Boden Kanaans. (Beiträge
zur Wiff. vom A. T. Hrsg. v. Rud. Kittel. 9. Heft.)
(VIII, 118 S.) 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1911.

M. 3.20; geb. M. 4.20

In kurzer Form bietet die Schrift einen reichen Inhalt
. Der Untertitel ift allerdings im wefentlichen auf
feine erfte Hälfte einzufchränken. Zur Vorgefchichte der
Religion Ifraels bietet der Verf. direkt nichts (nur S. 29 ff.
45ff. einige Details mit Fragezeichen); ein letzter Abfchnitt
,Synkretismus und Mofaismus' S. 96—108 gibt nicht
Unterfuchungen, fondern ftellt Probleme auf für die reli-
gionsgefchichtliche Forfchung. Aber doch ift der ganze
Titel nicht unberechtigt; denn was der Verf. mitteilt zur
Vorgefchichte des Volkstums Ifraels ift von eminenter
Wichtigkeit für das Verftändnis der religionsgefchicht-
lichen Entwicklung.

Vier Völkernamen oder Völkergruppen bilden den
Gegenftand der eigentlichen Unterfuchung: Kanaanäer,
Hethiter, Amoriter, Hebräer. Bei den drei erften handelt

Urteil aus dem vom Verf. Gebotenen fich felbft bilden
kann. Das vorliegende Material gibt er in der zur Zeit
erreichbaren Vollftändigkeit und gut gruppiert, fodaß der
ihm Folgende rafch und ficher orientiert wird.

Das reichfle Material liegt vor für die Amoriter, denen denn auch
der umfangreichfte Abfchnitt gewidmet ift (S. 31—63). Darüber kann
kein Zweifel mehr beliehen, daß wir es bei ihnen, den Amurru der Keil-
infehriften, mit einer auch auf dem Boden Kanaans weit ausgedehnten
femitifchen Völkerfchicht zu tun haben. Ob fie wirklich, wie der Verf.
meint, die einzigen femitifchen Bewohner Kanaans vor den Hebräern
d. h. den Hebräern im weitern Sinne, wrren, möchte ich noch daliin-
fjeftellt fein laden. Ich vermag noch nicht einzuteilen, weshalb die
Kanaanäer, wenn fie überhaupt als eine beftimmte Bevölkerungsfchicht
aufzufalten find, Nichtfemiten gewefen fein müßten. — Deutlich liehen
neben den Amoritern die Hethiter (S. 12-31). Der Verf. unterfcheidet
eine ,hethitifche' Gruppe (dahin die Mitanni) von .Hittitern' im engem
Sinne, den Leuten der Arzawa-Spraehe. Jene will er in Kanaan benimmt
nachweifen können und meint, daß die andern fchwerlich gefehlt
haben. An die einen oder die andern alfo ließe fich denken bei den
Chittim des Alten Teftaments. Es ift deutlich, daß wir es hier mit Nichtfemiten
zu tun haben; aber welcher Nationalität die Chittim in Kanaan
find, läßt fich zur Zeit allgemein noch nicht beftimmen. Daß darunter
teilweife arifche Elemente vertreten waren, hält der Verf. für zweifellos
(S. I7ff). — Am undeutlichften bleibt m. E. Herkunft und Verbreitung
der Kanaanäer (S. I—Ii). Ich bin nicht von der Annahme des Verf.s
überzeugt worden, daß fie von Norden oder Nordollen gekommene
Nichtfemiten waren (vielleicht ftammverwandt mit den .Hittitern' S. 57).

r u j u Cf tj „ j„„ A„r,lakiiiinir iMciiuemiten waren vieneicni ltammvcrwanut mit den .Hittitern' S. r,7 .

es fich dem Verf. um die Begrenzung der Ausdehnung Sie roUeQ nach den/Verf nur einen kleinen Teil der Gefamtbevölkerung

diefer Völkergruppen auf dem Boden Kanaans und die I Kanaans gebildet und für die Folgezeit nicht viel mehr als den Namen
Beftimmung ihrer Nationalität, bei den Hebräern haupt- j für das Land hinterlaffen haben. Die allgemein beibehaltene altteftament-
fächlich um den Anfangspunkt oder die Anfangspunkte liehe Bezeichnung der vorifraelitifchen Gefamtbevölkerung Paläftinas als

Kanaanäer' wäre alfo als nur aus dem Landesnamen gefchöpft anzufehen.
Amoriter waren wie der Verf. meint, die Vorfahren der Phönizier, obgleich
auch diefe ihr Land bis in fpäte Zeit Kanaan nannten. Daß aber
— um nur eines zu erwähneu — Rib-addi von Byblos fein Land zu Amurru
rechnet (S. 40), ift bei der bekannten Sonderftellung von Byblos unter
den phönizifchen Städten keinesfalls entfeheidend.

So viel fieht feft: als die im engern Sinne fo genannten
Hebräer (der Verf. identifiziert diefe einfach mit
den Ifraeliten und geht auf eine etwaige Unterfcheidung
zwifchen Ifrael undjuda nicht ein) in Kanaan einwanderten,
fanden fie keine reine Autochthonenbevölkerung vor fondern
eine bunte Mifchung verfchiedener Nationalitäten.

Für arifche Beftandteile in diefer Mifchbevölkerung läßt fich auch
nach den* Ausführungen des Verfs., wie mir fcheint, aus dem bis jetzt
vorliegenden Material (von den Philiftern abgefehen) mit einiger Sicherheit
nur das eine geltend machen, daß in den Amarnabriefen für palä-
ftinifche Dynaften Namen vorkommen, die anfeheinend arifch find (S. 17).

Auf der feit dem Amarna-Fund ermöglichten Erkenntnis
von dem gemifchten Charakter der vorifraelitifchen
Bevölkerung Kanaans beruht die Wichtigkeit der vom
Verf. behandelten ethnologifchen Fragen für die Religions-

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ihres Wohnens in Kanaan. Für derartige Unterfuchungen
ift der Verf. vor andern ausgerüftet durch die in feiner
Schrift: ,Die Sprache der Amarnabriefe mit befonderer Be-
rückfichtigung der Kanaanismen' (1909) niedergelegten Studien
. Daß die Verfuche, den einzelnen Völkern die ihnen
zukommende Stelle anzuweifen, problematifch ausfallen
müffen, ift dem Verfaffer felbftverftändlich bewußt. Er
fetzt zu feinen Unterfcheidungen und Kombinationen
viele Fragezeichen, und auch wo er fie nicht ausdrücklich
fetzt, dürfen fie doch in feinem Sinne vielfach hinzugedacht
werden. Ich würde auch noch manche zuver-
verfichtliche Behauptungen des Verfs. damit verfehen.
Aber ohne ein beftimmtes Maß von Kühnheit ift hier
überhaupt zur Zeit nichts zu erreichen. Verfchiedenes
könnte vielleicht überzeugender fein, wenn der Scharffinn
und die Kombinationsgabe des Verfs. fich mit Wenigerem
begnügt hätte. Er ift zuweilen etwas fehr fubtil, will
leicht zu viel fehen und unterfcheiden. Aber er tut das
alles im hellen Lichte, fodaß ein anderer ein anderes