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Ausgabe:

1911 Nr. 23

Spalte:

713-715

Autor/Hrsg.:

Cohn, Leopold (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Philo von Alexandria: Werke, in deutscher Übersetzung. 2. Teil 1911

Rezensent:

Heinrici, Carl Friedrich Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 23.

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intereffante Darftellung der früheren Gefchichte der
Handfchrift, und S. XVI—XXIV eine Befchreibung der
Handfchrift, worin er die einfchlagenden Fragen von
allen Seiten beleuchtet. Er nutzt die Literatur aus und
dann gibt er die Ergebniffe feiner eigenen Unterfuchungen
über die Handfchrift. Diefe unterftützt er durch drei
Seiten von Nachbildungen, die etwa hundertfiebenund-
fechzig Beifpiele aus dem Codex Sinaiticus, zwei aus
dem Codex Vaticanus, und eine aus dem Papyrus 28
der berühmten John Rylands Bibliothek in Manchefter
enthalten.

Zu diefem Teil will ich nur ein paar Bemerkungen
machen. Lake kommt mehr als einmal auf Rahlfs Anficht
, daß der Codex Vaticanus aus Alexandrien flammt
und wenigftens nicht vor dem Jahr 367 entftanden ift. Ich
kann nicht finden, daß Rahlfs Abhandlung auch nur eine
Spur von einem Beweis für diefe Anficht bringt. Sodann
kommt Lake immer wieder darauf zurück, daß die Handfchrift
zur Zeit des einen Korrektors der C-Gruppe in
Cäfarea angehörte. Das ift nicht fchlechthin ausgefchloffen,
doch ift nicht zu vergeffen, daß die betreffende Handfchrift
, die mit Pamphilus verbunden war, auch nach
einem anderen Ort, nach Alexandrien, nach Antiochien,
oder fonft wohin hat gelangen können. Und fchließlich
finde ich nicht, daß Lake, S. XVb, Z. 6—8, Alexandrien
oder Ägypten wahrfcheinlicher als Cäfarea als Entftehungs-
ort des Codex Sinaiticus gemacht hat. Doch mag das
meiner Trägheit in der Annahme neuer Anflehten zuzu-
fchreiben fein.

Soweit habe ich nur von der mir im Augenblick vor
Augen liegenden Einleitung gefprochen. Aber die Ankündigung
der Handfchrift vor Jahren bot eine vorzügliche
Wiedergabe einer Seite der Handfchrift und das
mit den oben erwähnten drei Seiten von Nachbildungen
bietet die Gewähr dafür, daß Frau und Herr Lake eine
vollkommene photographifche Wiedergabe hergeftellt
haben. Ich freue mich, daß hier wieder eine Frau im
Dienft der Wiffenfchaft aufgetreten ift, eine rechte Gehilfin
für ihren Mann. Die biblifche Wiffenfchaft ift den
Beiden verpflichtet.

Leipzig (Philadelphia: den 9. Auguft 1911).

Caspar Rene Gregory.

Philo von Alexandria, Werke. In deutfeher Überfetzg. hrsg.
v. Prof. Dr. Leopold Cohn. 2. Teil. (Schriften der
jüdifch-hellenift. Literatur. 2. Bd.) (V, 426 S.) gr. 8°.
Breslau, M. & H. Marcus 1910. M. 6.40

In dem erften Teile der Philoüberfetzung (vgl. Theol.
Litztg. 1910 Nr. 7 Sp. 105 - 107) find die Hauptftücke
feines groß angelegten Pentateuchkommentars ins Deutfche
übertragen. Als Gegenftück bringt der zweite Teil die
im fünften Bande der großenPhiloausgabe herausgegebenen
Schriften, die vier Bücher über die Einzelgefetze (überfetzt
von Heinemann), das Buch über die Tugenden und
das Buch über Belohnungen und Strafen (überfetzt von
Cohn). Diefe Schriften gehören eng zufammen, denn die
letzten beiden Stücke enthalten Ergänzungen zu dem
Hauptwerk. Daß fie aber den Schriften aus dem großen
Pentateuchkommentare folgen, ift fachgemäß, nicht nur,
weil fie an die Schrift über den Dekalog (I S. 369—409)
fich anfchließen, fondern auch weil fie den Bibeltext nicht
zum Ausgangspunkte für allegorifche und philofophifche
Betrachtungen nehmen. Sie haben vielmehr ihren Schwerpunkt
in der Abficht, durch forgfältige Erwägung und
Auslegung des Wortlauts die Vernünftigkeit der Mofai-
fchen Gefetzgebung zu erweifen. Die Bürgfchaft ihres
unvergleichlichen, ewigen Werts liege eben in ihrem re-
ligiöfen und fittlichen Gehalt und in ihrer zweckmäßigen
Weisheit. Dies foll erwiefen werden. Nirgends beruft
fich daher Philo, um die Trefflichkeit der Gefetze darzutun
, auf die Autorität der Gottesoffenbarung, wie dies
die Rabbinen tun; die Gefetze fprechen für fich felbft.

Auch vor ihren fprödeften Forderungen, den Reinheits-
vorfchriften, den Anforderungen an Opfer und Opfernde,
den Vorfchriften für die Befreiung vom Kriegsdienfte,
fchreckt der vielgewandte Alexandriner nicht zurück; auch
in dem Abfonderlichften und Speziellften findet er reine
Vernunft und vorforgliche Weisheit (vgl. z. B. leg. spec.
I § 162 f. 257 f. 267k De virtut. § 23 k). Das Verhältnis
der in den beiden Bänden überfetzten Schriftengruppen
läßt fich demnach mit dem von Piatos Politeia, dem Ideal-
ftaate, und Piatos Gefetzen vergleichen. Dabei ift allerdings
nicht zu überfehen, daß Plato in den ,Gefetzen'
weniger darauf ausgeht, die Vernünftigkeit einer beftimmten
kodifizierten Gefetzgebung zu erweifen, die ihm als Autorität
gilt, als zu zeigen, wie die widerfpruchsvolle, von
fo verfchiedenen Trieben und Leidenfchaften bewegte und
gebundene Menfchennatur durch die Gefetze gezügelt wird.

Die Anlage der Überfetzung ift fich gleich geblieben.
Den fachkundigen Einleitungen folgt eine genaue Inhaltsangabe
. Der Text fodann ift durch Anmerkungen erläutert
, die das Schrifttum Philos allfeitig beleuchten und
feine fchriftftellerifche Individualität in fcharfen Konturen
herausarbeiten. Dadurch wird die Überfetzung zugleich

i der befte Kommentar zu Philos Schriften, den wir befitzen
. Indem die Beziehungen zur griechifch-römifchen
Philofophie und zu den rabbinifchen Schriften feftgeftellt
werden, auch die parallelen Ausfagen in Philos Schriften
und feine Textbenutzung im Auge behalten werden,

; tritt die Eigenart und Elaftizität des jüdifchen Alexan-
drinismus in einer bedeutfamen Reihe von beftimmten

I Tatfachen ins Licht, feine relative Unabhängigkeit von
der rabbinifchen Schultradition, die durchgehende Ab-

; hängigkeit von der Septuaginta, die univerfaliftifchen

j Neigungen, die aus der Popularphilofophie gefchöpften

: Begründungen, die Freiheit in der Auswahl und Behandlung
der Stoffe. Sehr beftimmt macht fich die apolo-

j getifche Rückficht auf nichtjüdifche Lefer geltend, wenn

; /.. B. die Vernünftigkeit der Befchneidung durch fanitäre
und fymbolifche Gründe nachgewiefen wird, ohne daß
ihre Bedeutung als Bundeszeichen Erwähnung findet
(S. 144). In der Anthropologie und Metaphyfik folgt
Philo auch hier überwiegend dem Plato, in der Ethik den
Stoikern; auch Theophraft hat kräftig auf ihn eingewirkt,
von anderen zu fchweigen. Für die Erkenntnis der
Wichtigkeit diefes Philofophen als Schilderer der alt-
teftamentlichen Religion ift die ausgezeichnete Arbeit von
Jacob Bernays über Theophrafts Buch von der Frömmig-

[ keit ausgiebig benutzt. Am fpärlichften find die zahl-

; reichen Analogien aus dem Neuen Teftamente berück-
fichtigt. Einiges dafür habe ich in meiner Rezenfion des

j fünften Bandes der Philoausgabe (Theol. Litztg. 1909, Sp.

; 41—42) beigefteuert.

Die Überfetzung folgt dem Texte der großen kri-
tifchen Ausgabe, die zum erften Male auch die ()rdnung

! und das innere Verhältnis des Buches zuverläffig feftgeftellt
hat (vgl. Theol. Litztg. 1909 Nr. 2, Sp. 39k). Auch
darin wird ihr Herausgeber wohl recht behalten, daß die
Abhandlung über die Frömmigkeit, welche einen Teil der
Schrift von den Tugenden bildete, verloren gegangen ift.

Zugleich bezeugen die Anmerkungen die (letige Fortarbeit für die
Beflerung des Textes (z. B. S. 14 5) nöo&rjg für das korrupte noo&hrjq).
liingreifender find die Hinweife auf irreführende Überfchriften der Traktate
(/.. B. S. 892, S. 90J), auf fpätere Zutaten (z. B. Spec. leg. I S. 58).
1 >b De virt. § 78 ein chriftlicher Zufatz ift, möchte ich allerdings bezweifeln
. Der Satz: .Befreiung der Seele von der Feffel des Fleifches'
j ift doch wohl platonifch-philonifch, wie z. B. Spec. leg. IV § 188 belegt.
Wie populär übrigens der Gedanke war, daß der Leib der Kerker oder
auch der Sarg der Seele fei, beleuchtet das chriftliche Rätfei: xiq vexguq
ßaOxü'Qei xbv t,wvxa ; xb aöjfta rijv rpvx>)v (Ileinrici, Griechifch-byzan-
tiuifche Gefprächsbücher 1911 S. 58 Z. I).

Die Überfetzer zeigen fich auch in diefem Bande ihrer
, fchwierigen Aufgabe gewachfen. Die Wiedergabe fchmiegt
fich dem Grundtexte an, ohne undeutfeh zu werden. Und
es hat einen eigenen Reiz, die fo zu fagen leuchtenden
Worte und Wendungen Philos im deutfehen Gewände
aufzufuchen. Das Original gewinnt dadurch ein reicheres,