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Ausgabe:

1911

Spalte:

705-707

Autor/Hrsg.:

King, Irving

Titel/Untertitel:

The development of religion. A study in Anthropology and social Psychology 1911

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf Harnack
Fortgeführt von Professor D. Arthur Titius und Oberlehrer Hermann Schuster

Jährlich 26 Nm.__Verlag: J. C. Hmrichs'fche Buchhandlung, Leipzig Halbjährlich 9 Mark

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Kiug, The development of religion (Ii. W. , Heiners, Der Nominalismus in der Frühfcho- I Encyclopaedia of Religion and Elhics. Vol. III.

Mayer). laftik (Heim). Buriai — Confessions (Lobfteiu).

Eaotfe, Tao te kiug. Das Buch des Alten vom ' Archiv für Reformationsgefchichte, herausg. von 1 Muszynski, Der Charakter (Steinmann)

Sinn und Lehen (Haas). W. Friedenshurg (Bollert).

Hänel, Die audermaforetifchen Übereinftim- j Müller, Die Wittenherger Bewegung 1521—

mungeu zwifchen der Septuaginta und der i 1522 (Oerf.).

Pefchittha in der Genefis (Diettrich). j KiPP> Silvefter von Schaumberg, der Freund

Codex Sinaiticus Petropolitanus, herausg. von j Bi^J^3S!iäMSi^ (ILnn^

K.rsopp Lake (Gregory). . j Jentfchi chriftentum u. Kirche in Vergangen-

Philo von Alexandna, Werke, herausg. von L. he;ti Gegenwart u. Zukunft (v. d. Goltz).

Cohn (Heinrici). | Reinke, DieKunft derWeltanfchauung(Dorner).

Pinski, Der höchfte Standpunkt der Transzen

Kirch, Enchiridion fontium historiae ecclesia
sticae antiquae (Koch).

R i 11 e 1 m e y e r, Was will Johannes Müller ? (Korue-
mann).

Meier, Jefu frohe Botfchaft im Unterricht (Nie-
bergall).

Lahufen, Er wohnte unter uns. Predigten. (E.

Chr. Achelis).
Referat: Kleine Texte für theologifche und
philologifche Vorlefungen und Übungen, —
Mitteilungen: (67) Oriens christianus.
Berichtigung von Dr. A. Marmorftein.

dentalphilofophie (Jordan). Wichtige Rezeufionen. — Neuefte Literatur.

King, Irving, Ph. D.: The development of religion. A study
in Anthropology and social Psychology. New York,
Macmillan, 1910. (XXII, 371 S.) gr. 8U.

Das Buch erftrebt auf dem Wege der Religions-
pfychologie, insbefondere auf dem Wege einer pfycho-
logifchen Analyfe der bei den Naturvölkern fich findenden
Religionen Auskunft über das Welen der Religion,
deren Entftehung und Entwicklung. Und zwar erinnert
es einigermaßen an die alte Affoziationspfychologie, wenn
fich in der Schrift eine ftarke Tendenz bemerkbar macht,
aus möglichft einfachen, möglichft primären Elementen die
Religion aufzubauen.

Der Autor, der fich vielfach auf Höffding beruft,
geht von der Voraussetzung aus, daß die Religion ein
.wertendes Verhalten' (,a valuating attitude toward some-
thing real oder imagined') fei, und fragt nun zunächft,
wie wertendes Verhalten überhaupt entliehe. Ganz im
allgemeinen Hellt er feil, daß Wertbewußtfein durch Tätigkeiten
gefteigert und erzeugt werden könne. So wird
beifpielsweife dadurch, daß gewiffe einfache und primitive,
der Befriedigung der Lebensbedürfniffe dienende Tätigkeiten
zufällig, oder weil bewußte Überlegung hinzutritt,
oder weil die Erreichung des Ziels irgend wie erfchwert
ift, oder weil der Spieltrieb mit hereinwirkt, komplizierter
werden, ein Gefühl des höheren Wertes des Objektes,
auf das fich die betreffenden Tätigkeiten beziehen, und
damit auch diefer Tätigkeiten felbft hervorgerufen. In
ftarkem Maße wird fpeziell durch foziale Tätigkeiten, das
heißt, durch folche Tätigkeiten, die auf die Befriedigung
der Lebensbedürfniffe der Gefamtheit gerichtet find, Wert-
bewußtfein entwickelt oder geweckt; und das religiöfe
.wertende Verhalten', wie übrigens auch das verwandte
äfthetifche, ift ein Erzeugnis folcher fozialer Tätigkeiten.
,Die religiöfen Vorftellungen und Ideen find felbft ein
organifcher Teil der Tätigkeiten des fozialen Körpers'.
.Religiöfe Handlungen find foziale Verhaltungsweifen, die
in einer beftimmten Richtung fpezialifiert find'. Nicht
etwa angeborene oder intuitiv oder fonftwie gegebene religiöfe
Vorftellungen haben die religiöfen Handlungen ins
Däfern gerufen; fondern Handlungen, die urfprünglich
rein natürliche, biologifch notwendige Vorgänge oder
Produkte des Spieltriebs waren, haben allmählich religiöfen
Charakter angenommen und die religiöfen Vorftellungen
gefchaffen. Der Autor bemüht fich das an einer
Pulk von Beifpielen zu veranfehaulichen, von denen zur

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j Verdeutlichung feiner Betrachtungsweife wenigftens eins
j angeführt fei: er weift darauf hin, daß bei den Todas,
I die für ihre Ernährung auf die Milch der Büflelherden
; angewiefen find, die auf die Pflege diefer Büflelherden
| gerichteten Tätigkeiten unwillkürlich mit der Zeit komplizierter
, in mancher Beziehung umftändlicher geworden
find, bis fie endlich von einem befonders Harken Gefühl
ihres Wertes begleitet waren und fo, zugleich mit den
| Objekten, denen fie galten, quafi-religiöfe Bedeutung er-
I hielten.

Mit alledem ift freilich das religiöfe Bewußtfein in
j feiner ganzen Fülle und ift namentlich der Gottesbegriff
i in feiner Genefis noch nicht erklärt. Es muß da noch
ein anderer Faktor in Anfchlag gebracht werden, die bei
zahlreichen primitiven Völkern nachweisbare, an fich prä-
religiöfe und prämagifche Vorftellung des Mana oder
Manitu oder Wakonda, das heißt, die Vorftellung einer
ziemlich unbeftimmten, nur mehr oder weniger perfön-
| liehen, ja nahezu unperfönlichen Kraft in der Welt und
I in den Dingen. Wo nämlich gewiffe Gegenftände infolge
der auf fie bezüglichen Tätigkeiten ftarken Wertcharakter
| erhalten, werden fie als mit ,Mana' erfüllt gedacht und
I dann weiterhin, wenn ihnen auf Grund fozialer Tätigkeiten
I foziale Bedeutung zugemeffen wird, wegen der Bedeutung
des Perfönlichen für das foziale Leben perfonifiziert: womit
der Gottesbegriff gegeben ift. Eine .Gottheit' ift ,ein
Symbol eines Wertes'. Es liegt kein Grund vor, für den
.ethifchen Monotheismus' einen prinzipiell verfchiedenen
Urfprung als den für das religiöfe Bewußtfein überhaupt
nachgewiefenen zu ftatuieren. Magie aber und Religion
verhalten fich nicht etwa, wie Frazer meint, fo, daß die
eine der andern voraufgegangen wäre. Vielmehr unter-
fcheiden fie fich infofern, als die erftere mehr individuellen,
die andere mehr fozialen Zwecken dienen will. Beide
jedoch find fie hervorgegangen aus Handlungen, die urfprünglich
rein natürlich, fozufagen, triebartig waren und
die fich, je nachdem fie dem Individuum oder der Gattung
galten, allmählich zu magifchen einerfeits, zu religiöfen
anderfeits differenziert haben. Was weiterhin den Zu-
fammenhang der Religion und der Moral betrifft, fo ift
angefichts der aufgezeigten engen Beziehungen jener zum
fozialen Leben klar, daß fie mit diefer aufs eno-fte ver-
! knüpft ift: eine Tatfache, die durch die Beobachtung der
j Naturvölker, fpeziell der Auftralier, beftätigt wird. In-
bezug auf die Frage nach der Geltung der Religion endlich
ift einzuräumen, daß der letzteren, wenn man von

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