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Ausgabe:

1911 Nr. 22

Spalte:

684-685

Autor/Hrsg.:

Rossini, Karolus Conti (Ed.)

Titel/Untertitel:

Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium. Scriptores aethiopici. Series altera. Tomus VIII 1911

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 22.

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fikanten Teil' beftimmter Kulturftufen und univerfaler
Entwicklung, genügend zur Rekonftruktion des gefamten
,Organismus', oder wenigftens von ,Skelett und Struktur'
der einzelnen Kulturabfolgen erklärt, fo weiß ich nicht,
ob er damit auf allfeitige Zuftimmung rechnen kann.
Zum Schluffe feiner Abhandlung fieht er fich genötigt,
zuzugeben, daß es fich bei diefen feinen nächften
Problemen handelt ,nur um ein im Verhältnis zum Ganzen
der kulturgefchichtlichen Forfchung doch recht kleines
Gebiet, nur um die Probleme primitiver Entwicklung der
bildenden Phantafietätigkeit'. Selber ruft er aus: ,Wie
viele andere Entwicklungszweige mit teilweis gewiß verwickeiteren
und reicheren Problemen wären da nicht noch
neben diefen foeben behandelten anzuführen'. Das ift fo
richtig, daß dem nichts weiter hinzugefügt zu werden
braucht. Und es wird geftattet fein, eine leife Skepfis
zu hegen, ob nicht für die ,ftudierenden Hiftoriker' (um von
den erfahrenen Pädagogen' abzufehen) behufs ihrer Erziehung
zu .Forfchern' vielleicht andere Probleme nützlicher
wären, als diejenigen, welche ihnen im Leipziger Inftitute
für Kultur- und Univerfalgefchichte vorgelegt werden.
Aber das ift vielleicht der Standpunkt eines rückftändigen
Hiftorikers der alten Schule, dem der Sinn für den richtigen
Fortfehritt in der Wiffenfchaft abgeht, und fo wollen wir
denn noch vorderhand abwarten, welche Förderung der
univerfalgefchichtlichen Erkenntnis von Leipzig aus zu
Teil werden wird. Auch hier gilt das Wort: ,An ihren
Früchten werdet ihr fie erkennen!'.

Noch ein Wort zum Schluffe. Lamprecht beklagt
fich in der vorliegenden Schrift (S. 42), man habe an feine
deutfehe Gefchichte einen falfchen und ungerechtfertigten
Maßftab angelegt, nämlich unbedingten Zurückgehens
auf die erften Quellen'. Das ift nicht richtig. Was man
ihm vorgeworfen hat, das gipfelt darin, daß die Auswahl
feiner Vorlagen eine allzubefchränkte war, daß er fie
flüchtig und entftellt wiedergegeben, und daß er fie oft
fo fklavifch benutzt hat, daß die literarifche Selbftändig-
keit des Buches darunter leidet, und daß fich daher große
Partien einzelner Bände als fchlechte und falfche Exzerpte
darftellen. Diefer Vorwurf des Mangels an Akribie ift
nur allzuberechtigt, und er hat fich davon nicht zu reinigen
vermocht. Niemand wird fo töricht fein, von einer umfallenden
deutfehen Gefchichte in allen Punkten ,ein
Zurückgehen auf die erften Quellen' zu verlangen; eine
Anlehung auch an größere und zufammenfaffende Darftellungen
einzelner Perioden und Entwicklungszweige ift
bei der Befchränktheit menfehlicher Arbeitskraft da nicht
zu umgehen; aber das Gefamtbild der literarifchen und
wiffenfehaftlichen Selbftändigkeit darf nicht dadurch getrübt
werden, und find auch Fehler unvermeidlich, fo
dürfen fie nicht für die ganze Arbeitsweife des Autors
charakteriftifch werden. Daß die .Lärmtrompete', mit der
feine erften Bände begrüßt wurden, fchließlich .verftummte',
hat feine guten Gründe, die ich hier nicht zu erörtern
brauche; follte fie nach der Vollendung des Werkes, wie
Lamprecht vorausfagt, nochmals erfchallen, und zwar
jetzt ,von denjenigen Mitbewerbern und Anhängern, denen
ich meine Sache nicht gut genug . . . oder, für ihre
eigenen Beftrebungen, zu gut gemacht habe', — fo werden
die .Gegner' feiner Anfchauung fchwerlich ein fonderlich.es
Intereffe an diefer Auseinanderfetzung im .univerfalgefchichtlichen
' Lager nehmen. Was er befürchtete, ift
bislang noch nicht eingetroffen; der Abfchluß feiner
.deutfehen Gefchichte' hat fich nach jeder Richtung hin ganz
fanglos und klanglos vollzogen.

Kiel. Felix Rachfahl.

Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium, curantibus
J.-B. Chabot, I. Guidi, H. Hyvernat. Scriptores aethio-
pici. Series altera. — Tomus VIII. Documenta ad illu-
strandam historiam. I. Lib er Axumae. Edidit et inter-
pretatus est K. Conti Rossini. (104 et 86 p.) gr. 8°.
Parisiis 1909/1910. Lipsiae, O. Harrassowitz. M. 8.40

Am Schluß des von den Abeffiniern fo hoch ge-
fchätzten Kebra Nagaft find in Handfchriften desfelben
Dokumente verfchiedenartigen Inhalts hinzugefügt: Legenden
und Notizen über Akfum und feine Kathedrale,
Schenkungen der Könige und anderer Perfonen an Kirchen,
Klöfter und einzelne Perfonen, endlich gefchichtliche und
juriftifche Dokumente, von denen erftere teils aus ge-
fchichtlichen Tabellen, teils aus Einzeldokumenten be-
ftehen, letztere Anordnungen von Herrfchern enthalten.
Eben diefe verfchiedenen Dokumente, die auch in Sonder-
kodizes verbreitet worden find und dann in Abeffinien
felbft, wie der Herausgeber gehört hat, wieder mit dem
Namen Kebra Nagaft bezeichnet werden, legt der verdienft-
volle Gelehrte in Text und Überfetzung unter dem einft
von Bruce und Dillmann für das ganze Werk gewählten
Titel Liber (Chronicon) Aksumae vor. Die Legenden
über Akfum und feine Kirche haben ja nur indirekt ge-
fchichtlichen Wert. Anders fchon die Schenkungen.
Zwar reichen die älteften in die Zeit der Könige Abreha
und Asbeha d. h. in das Jahrhundert Konftantins zurück
und werden wohl nicht viel anders zu beurteilen fein wie
die Donatio Constantini. Selbft von manchen fpäteren
wird man das fagen müffen, vgl. die intereffante Anmerkung
des Herausgebers zum Dokument Nr. XVII
Vers. p. (29). Wieviel von diefen Donationes aber nach
jenem Paradigma zu beurteilen ift, entzieht fich vorläufig
gänzlich der Kritik. Es ift jedoch mit aller Ent-
fchiedenheit hervorzuheben, daß wir bei den Schenkungen
nach dem 13. Jahrhundert durchaus auf hiftorifchem Boden
flehen. Daß diefe Dokumente wirklich der Zeit entflammen
, in der fie gefchrieben fein wollen, und nicht
etwa einer fpäteren, ergibt fich daraus, daß in diefen
Schenkungen Ämter und Inftitutionen vorkommen, die
fchon im Anfang des 17. Jahrhunderts nicht mehr be-
ftanden, fowie daraus, daß zur Feftfetzung der Zeit
im einzelnen Dokumente Synchronismen derart angegeben
werden: als der und der das und das Amt inne hatte und
jener das und das Amt, und diefe Synchronismen, foweit
wir fie nachprüfen können, in der Regel richtig find.
Nebenbei fei bemerkt, daß diefe Dokumente eine Fülle
von Material zur hiftorifchen Geographie von Abeffinien
bieten. — Nicht fo umfangreich, aber wohl noch wichtiger
wie jene Schenkungsurkunden find die am Ende flehenden
gefchichtlichen. Als für die Kirchengefchichte inter-
effant will ich daraus Folgendes hervorheben. Nr. III berichtet
vom König Claudius (1540 —1559), unter welchem
die Miffion der Jefuiten einfetzte, daß der König den
Glauben der Franken geliebt hätte, und ,er fetzte (d. h.
er wollte einfetzen) Andreas (Andrea d'Oviedo) zum
Patriarchen ein, aber er fürchtete, daß die Leute Äthiopiens
Unruhen gegen feine Regierung hervorrufen würden'.
Das wird wirklich wohl der Grund der ablehnenden Haltung
des Königs gewefen fein. Aus den neuerdings er-
fchloffenen abendländifchen Quellen über diefe Periode
erfahren wir, daß der Patriarch Josab, den der König
fich aus Alexandrien kommen ließ, vergeblich Reformen
in's Werk zu fetzen fuchte. Immerhin könnte eine Wirkung
folcher Beftrebungen das Dokument Nr. V fein. —
Ein ausgezeichnetes Stück ift Nr. VI, eine Feftfetzung
des Königs Sarsa Dengel (1563—1597). Das Datum ift
nicht, wie der Herausgeber meint Vers. p. (89) not. 3, irrtümlich
, fondern es liegt hier eine feltene Zeitrechnung
vor, die auch im N. T. des Tesfa Zion und fonft fich
findet. Man muß 5037 Jahre abziehen und kommt auf
1578 als Jahr der Urkunde. — Nr. VIII endlich beweift,