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Ausgabe:

1911 Nr. 22

Spalte:

677-678

Autor/Hrsg.:

Hollmann, Georg

Titel/Untertitel:

Welche Religion hatten die Juden, als Jesus auftrat? 2. Aufl 1911

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 22.

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fich eine Erinnerung an die mofaifche Periode erhalten,
denn ,das Gegenteil ift einfach unvorftellbar' (S. 13 f.). Die
farbenreiche, allzu wunderhafte Ausfchmückung der Einzelheiten
wird als fpätere, unhiftorifche Zutat preisgegeben,
aber faft überall, fbgar in der Geburtslegende Mofes, ein
hiftorifcher Kern gefunden; ,ganz ohne gefchichtlichen
Rückhalt kann Israels Erinnerung nicht fein' (S. 25). Die
Berufung Mofes war urfprünglich vielleicht eine Vifion,
aber doch objektive Wirklichkeit (S. 21). Der Horeb lag
bei Kadefch (S. 29); dort wurde die Bundfchließung mit
Jahve vollzogen, die ihren feierlichen Ausdruck ,in einer
kultifchen Tat' erhielt (S. 34). Die urfprüngliche Grundlage
bildete der Dekalog (S. 40), der erft fpäter durch
das Bundesbuch erfetzt ward. Mofe, der Israel ,ftaatlich'
organifierte, hat Jahve vor allem als den .Seienden' offenbart
; Jahve ift lebendige Perfönlichkeit, heiliges Licht-
wefen, Herr der Gefchichte und Erlöfer feines Volkes
(S. 52 fr.). Die Beftätigung dafür liefern nicht nur die
Erzählungen, fondern hauptfächlich auch der Dekalog,
der am Schluß eingehend gewürdigt wird. — Die Art,
wie R. aus den Uberlieferungen einen gefchichtlichen
Kern herauszufchälen ficht, wird fchwerlich vor der hi-
ftorifchen Kritik beliehen können. Das Bild des Mofe,
das R. entwirft, entfpricht im beften Falle den israelitifchen
Anfchauungen des 9. vorchr. Jahrhunderts. Trotz der
populären Form hätten wohl die neueren Frageftellungen
und vor allem die von Ed. Meyer aufgeworfenen Probleme
Berückfichtigung verdient. Freilich bezwecken
diefe Hefte in erfter Linie keine Förderung der Wiffen-
fchaft, fondern eine Belehrung der Laien, und diefe dürften
die Anregungen des Verf.s dankbar anerkennen.
Berlin-Wertend. Hugo Greßmann.

Holl mann, Pfr. Lic. D. G.: Welche Religion hatten die Juden,
als Jefus auftrat? 2. Aufl. 11.—20. Tauf. (Religions-
gefchichtliche Volksbücher. I. Reihe, 7. Heft.) (64 S.) 8°.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1910. M. — 50; geb. M. — 80
Da die erfte Auflage diefes Büchleins in der Theol.
Literaturzeitung keine Anzeige gefunden hat, fo foll das
Verfäumte bei Gelegenheit der vorliegenden 2. Auflage
nachgeholt werden. Es empfiehlt fich durch eine klare,
knappe Zufammenfaffung des Stoffes und eine fichere,
fcharfe Zeichnung der für die Entftehung des Chriftentums
wichtigften Hauptlinien. Es bietet aber auch Einiges, das
für die Sachkenner von Intereffe fein dürfte. Die Uber-
fchriften der 4. Kapitel lauten: 1) Kirchliche Einheit und
innerkirchliche Unterfchiede, 2) Kirchliche Lehre und
Frömmigkeit, 3) Die Volksfrömmigkeit, 4) Die jüdifche
Apokalyptik. Demnach wird das kirchlich-religiöfe Leben
des Judentums in feinen äußeren und inneren Einrichtungen
und in feinen verfchiedenen Glaubensftrömungen
gemuftert. Die Reichhaltigkeit und die Eigenart des Inhaltes
kann man aber nicht ohne weiteres aus den angegebenen
Kapitelüberfchriften herauslefen. Es wird viel mehr gebracht
als man erwartet. So werden z. B. unter dem
zufammenfaffenden Gefichtspunkt der kirchlichen Einheit
folgende Momente befprochen: die Ausdehnung des Judentums
, feine nationale Gemeinfchaft, das kirchliche Band,
das Synagogenwefen, die Bibel und die Infpirationslehre,
der Schulunterricht, das Dogma, der Einfluß auf das
Heidentum und die antifemitifche Stimmung des letzteren.
Von diefen Dingen gehören Einige nur fehr indirekt hierher
, fie find aber alle nicht ohne Gefchick innerlich zu einem
Ganzen verwoben. Hingegen wird man vielleicht die Frage
aufwerfen müffen, ob das zur Charakterifierung verwandte
Prädikat .kirchlich' von dem Laien ohne nähere Erläuterung
richtig verftanden wird. Daß es von der For-
fchung der letzten Jahre in mehrfacher Beziehung mit
Recht für das Judentum in Anfpruch genommen worden
ift, gibt noch keine Gewähr dafür, daß es von uneingeweihten
Lefern nicht in unzutreffender Weife, nämlich
nach der landläufigen, ganz äußerlichen Vorftellung von

der chriftlichen Kirche, auf die altjüdifche Religionsge-
meinichaft übertragen wird. Verdeutlichende Bemerkungen
wären wohl am Platze gewefen.

Dem Zweck der religiöfen Volksbücher entfprechend
gibt der Verf. keine gelehrten Erörterungen über die einzelnen
gefchichtlichen Erfcheinungen, fondern begnügt
fich damit, ihre Bedeutung, ihre Entwickelung und ihren
Zufammenhang in großen Zügen darzulegen. Daß er aber
für feine Perfon den wiffenfchaftlichen Problemen der
neueren Theologie nachgegangen ift und fich auch eigene
Anflehten darüber gebildet hat, tritt mancherorts zu Tage:
unter anderem in feinen Ausführungen über die Apokalyptik
, in der vorfichtigen, wohl erwogenen Art, wie er
diele abzuftufen fucht gegen die Volksfrömmigkeit, die
pharifäifche und die gefetzliche Richtung oder in der
maßvollen Zurückhaltung, mit welcher der Einfluß der
fremden Religionen auf die Apokalyptik den innerjüdifchen
Faktoren hinzugefellt wird. Vor allem begrüßen wir als
ein erfreuliches Zeichen eines tiefer gründenden hiftorifchen
Sinnes die pofitive Würdigung, welche die jüdifche
Apokalyptik erfährt, ohne daß ihre rückftändigen Elemente
darum in den Schatten geftellt würden. Man bekommt jetzt
z. B. mit Bezug auf ihren religiöfen Individualismus einen
Satz zu lefen, wie der folgende: ,Das ift die unermeßliche
Bedeutung diefer Anfchauungsweife trotz aller Phantaftik
der Vorftellungen im Einzelnen. Hier gab es eine Vorbereitung
für das Wort Jefu: ,Was hülfe es dem Menfchen,
fo er die ganze Welt gewönne. . . . '.

Den hergebrachten Darftellungen entgegen, welche
das Judentum als einen unteilbaren Block zu zeichnen
belieben, kommt diefem kleinen Büchlein das Verdienft
zu, die Bedeutung der Volksfrömmigkeit in ihrer Eigenart
und in ihrem Unterfchied von den offiziellen Strömungen
erkannt zu haben. Es zeigt fich darin manchen
mit wiffenfchaftlichem Anfpruch auftretenden Leiftungen
überlegen, daß es der Darlegung diefes Volksglaubens
einen befonderen Platz einräumt neben dem Kapitel, das
der kirchlichen Lehre und Frömmigkeit gewidmet ift.
(Warum ift diefes Kapitel mit einer arabifchen Ziffer [2]
bezeichnet, abweichend von allen anderen, die römifche
Ziffern führen?) Mit diefer hier und nun auch in anderen
neueren Arbeiten immer mehr bemerkbaren Differenzierung
innerhalb desJudentums wird einem vomReferenten fchon vor
längerenJahrenhervorgehobenenGefichtspunktentfprochen.
Damit wird auch erft die Bedeutung, welche dem Spätjudentum
für die weitere religiöfe Entwickelung und für
die Entftehung der chriftlichen Verkündigung zukommt,
nach Gebühr gewürdigt werden können.

Gießen. Baldenfperger.

Dunkmann, Lic. K.: Der Kampf um die Chriftusmythe. (Beiträge
zu konfervativer Politik u. Weltanfchauung. 13. u.
14. Heft.) (56 S.) 8°. Berlin, R.Hobbing(i9io). M. — 80

In dem erften der drei Kapitel diefer Schrift gibt der
Verfaffer einen Überblick über den Kampf um die Chriftusmythe
etwa unter den gleichen Gefichtspunkten, wie er
fie bereits in feiner Schrift ,Der hiftorifche Jefus, der
mythologifche Chriftus und Jefus der Chrift' angewendet
hat (vgl. meine Anzeige im vorigen Jahrgang diefer Zeit-
fchrift Sp. 548). Das zweite Kapitel bringt die Kritik der
gegnerifchen Pofitionen. ,Der Liberalismus' hat feinen
Kampf gegen Drews auf die Diskuffion der .hiftorifchen
Einzelfrage' konzentriert: hat Jefus gelebt? In diefer Beziehung
ift Drews' Pofition in der Tat höchft dürftig
fundiert. Aber ,der Liberalismus' .begibt fich der fchnei-
dendften Waffe wider Drews', da die bejahende Beantwortung
jener Einzelfrage nichts helfen kann. Denn es
geht gar nicht um Jefus allein, es geht um das Urchriften-
tum; das ift ,die Schale, die uns diefen Jefus darbietet'.
Dem Urchriftentum aber kann der Liberalismus mit feiner
Verkürzung des Chriftentums nicht gerecht werden, denn
fchon ,die paulinifche Gedankenführung bedeutet ihm eine

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