Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1911

Spalte:

673-675

Autor/Hrsg.:

Marett, R. R.

Titel/Untertitel:

The Threshold of religion 1911

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schiirer und Adolf Harnack

Fortgeführt von Professor D. Arthur TitiUS und Oberlehrer Hermann Schuster

Jährlich 26 Nrn._Verlag: J. C. mnrichs'fche Buchhandlung, Leipzig Halbjährlich 9 Mark

Manufkripte und gelehrte Mitteilungen find ausfchließlich an /-»«-> /-vi . i 1Al _

2fi TahTtT Nr 22 ProteuorD. Titius in Güttingen, Nikolausberger Weg 66, zu fenden. ÄO. OKlODer lyll

uia.iia.j-j. "ai ~~ Rezenfionsexemplare ausfchließlich an den Verlag.

Marett, TheThresholdof religion (E. W. Mayer).
Frank, Studien zur babylonifchen Religion
(Meißner).

Rothllein, Mofes und das Gefetz. I. u. II.
Hälfte (Greßmann).

Hollmann, Welche Religion hatten die Juden,
als Jefus auftrat? (Baldenfperger).

Duukmann, Der Kampf um die Chriftusmythe
(M. Dibelius).

Lamprecht, Zur univerfalgefchichtlichen Methodenbildung
(Rachfahl).

Corpus Script. Christianorum Orientalium, Script,
aethiopici, ser. altera, tom. VIII (Duenfing).

Constant, Rapport sur une mission scientifique
aux archives d'Autriche et d'Espagne (Benrath).

Schleiermacher, Werke, herausg. von O.

Braun u. J. Bauer. I. u. III. Bd. (Kirn).
Jedele, Die kirchenpolitifchen Anfchauungen

des Ernft Ludwig von Gerlach (Stephan).
Weidemann, Die reügiöfe Lyrik des deutfehen

Katholizismus (Nippold).
W e i n e 1, Ibfen. Björnfon. Nietzfche (Schwartz-

kopff).

Fifcher, Nietzfche-Zarathuftra u. Jefus Chriftus
(Dorf.).

Arnold, Urchriflliches im Werdegang Friedrich

Nietzfches (Derf.).
Friedlaender, Friedrich Nietzfche (Derf.).
Tfchackert, Kurzgefaßter Studiengang für

Theologen (Lobfteiu).

Stingeder, Wo fleht unfere heutige Predigt?
(E. Chr. Achelis).

Balles, Das Recht der Schulaufficht in den
wichtigeren deutfehen Staaten (Knoke).

Oftermai, Tögel u. Neuberg, Biblifches
Lefebuch (Bornemann).

Referate: Rdvay, Minucius Felix. — Gwatkin,
Early Church History to a. d. 313. — Mitteilungen
zur Jüdifchen Volkskunde. — Grütz-
macher, Die Jungfraueugeburt.

Mitteilungen : (63) Alexanders Zug nach demPara-
diefe. (64) Mofaikfunde in Aquileja. (65) Epi-
phanius und der „vorchriftliche Jefuskult".
(66) Mouatfchrift für Paftoraltheologie.

Neuelle Literatur.

Marett, R. R.: The Threshold of religion. London, Methuen
& Co. (XIX, 173 S.) gr. 8»

Ein intereffantes und auf alle Fälle beachtenswertes
Buch, veranlaßt durch die Aufnahme, die des Autors
Vortrag über die Vorftellung des ,Mana' auf dem Oxforder
Kongreß für Religionsgefchichte gefunden hat.

Marett, der ein reiches Wiffen mit kritifcher Vorficht
verknüpft, verwahrt fich von vorn herein gegen die ihm
durch Wundt imputierte Rolle eines Vertreters der ,prä-
animiftifchen Hypothefe' über die Entftehung der Religion.
Nach feiner Überzeugung bleibt ,das erfte Kapitel der
Religionsgefchichte' noch immer größtenteils unentzifferbar
'. Ihm komme vorwiegend nur darauf an, zur Geltung
zu bringen, ,daß die primitive oder rudimentäre Religion,
wie wir fie augenblicklich bei den wilden Völkern finden,
etwas Weiteres, aber auch in gewiffem Sinne Unbeftimm-
teres fei als „Glaube an geiftige Wefen", wie die berühmte
Tylorfche „Minimum-Definition" der Religion lautete'.

Was dargeboten wird, find im ganzen fünf Kapitel
oder Einzelabhandlungen. Sieht man von der letzten
ab, die für die vergleichende Religionswiffenfchaft die
.fozial-pfychologifche Methode', jedoch unter Ergänzung
durch die ,individual-pfychologifche' und die ,fozial-mor-
phologifche' fordert, fo laffen fich die Grundgedanken j
der übrigen etwa folgendermaßen kurz zufammenfaffen.

Der Autor ftellt die Frage: zugeftanden, daß in einem
beftimmten Moment der Entwicklung der Menfchheit der j
Animismus die vorherrfchende Religionsform war, läßt
fich fchon vor dem Animismus oder, beffer, auch ab-
gefehen vom Animismus eine Erfahrung der Menfchheit,
fei es in der Form des Gefühls, fei es in der Form des
Gedanklichen nachweifen, die bereits als religiös zu bezeichnen
ift? Diefelbe Frage kehrt, in anderem Zufammen-
hang und unter etwas anderem Gefichtspunkt betrachtet
und formuliert, in nachftehender Geftalt wieder: welches
ift wirklich die religiöfe Minimal vorftellung? welche Vorftellung
ift mindeftens von jeder religiöfen Erfahrung
vorausgefetzt oder, richtiger, in jeder religiöfen Erfahrung
involviert, mit ihr gegeben? ift es tatfächlich die ani-
miftifche Vorftellung von Geiftern und Seelen der ver-
fchiedenften Art? oder ift es noch eine andere, fozufagen
einfachere, primitivere, von der dann die animiftifche Vorftellung
nur eine beftimmte Spezies ift?

Bei der Beantwortung diefer Frage geht der Verfaffer
von der Vorausfetzung aus, daß das Charakteriftifche

673

für die Religion das Gefühl der Ehrfurcht (awe) ift, ein
Gefühl, das keineswegs nur Furcht, fondern zugleich
Staunen, Bewunderung, Intereffe, Achtung, ja, vielleicht
fogar Liebe in fich fchließt. Ein folches Gefühl ift nun
auch vor dem Animismus oder doch wenigftens abgefehen
und unabhängig von dem Animismus bei den Primitiven
nachweisbar; und die entfprechende Vorftellung, die Vorftellung
, auf die es fich richtet und an die es fich an-
fchließt, ift nicht notwendig und immer die von Geiftern,
fondern unter Umftänden lediglich die des .Übernatürlichen
', die des ,Mana', d. h., die Vorftellung einer übernatürlichen
Kraft, die noch keineswegs als im eigentlichen
Sinne des Wortes perfönlich gedacht ift. Der Animismus
ift nur eine beftimmte, unter beftimmten Umftänden auftretende
Interpretationsweife diefes Gefühls, wie er eben
auch nur eine beftimmte einzelne Form der Religion ift.
Was aber das Verhältnis der Religion zur qualifizierten
Magie betrifft, fo haben beide von Haus aus etwas gemein
: beide haben es mit dem Übernatürlichen, dem
Mana, zu tun; nur daß fie ein verfchiedenes Verhalten
diefem gegenüber bedeuten; deshalb ift es nicht zuläffig,
fie fo fcharf auseinander zu halten, wie Frazer es tut;
fie greifen unter Umftänden ineinander über, arbeiten fich
gegenfeitig vor, wie der nachweisbare allmähliche Übergang
von der Zauberformel zum Gebet und umgekehrt
zeigt. Das Tabu endlich ift wiederum nicht, wie Frazer
meint, etwas wie .negative Magie'. Eher könnte man es
als .negatives Mana' charakterisieren; denn es fpielt auch
beim Tabu die Vorftellung des Übernatürlichen herein:
Tabu ift .etwas Myftifches'; ,Tabu brechen heißt gegen
fich felbft eine myftifche wunderwirkende Kraft in der
einen oder anderen Form in Bewegung fetzen'.

Das find in mehr als einer Hinficht lehrreiche oder
doch wenigftens anregende Ausführungen. Wollten fie
eine auf die Beobachtung der Naturvölker geftützte
Theorie von der Entftehung der Religion entwickeln, fo
wäre ihr Ergebnis, daß dem Geifterglauben zeitlich ein
Glaube an eine übernatürliche, noch nicht wirklich perfönlich
gedachte Macht vorausgegangen fei. Eine derartige
Theorie wollen fie aber kluger- und erfreulicherweife
nicht darbieten. Dann ift aber doch mindeftens dies das
Refultat: daß alle Religion ein Gefühl ehrfürchtiger Abhängigkeit
von einer Macht, die als übernatürlich gedacht
wird, (logifch) vorausfetze, und daß ein fo befchaffenes
Gefühl mitfamt den entfprechenden Vorftellungen wahr-

674