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Ausgabe:

1911 Nr. 21

Spalte:

668

Autor/Hrsg.:

Soden, Hermann Freiherr von

Titel/Untertitel:

Palästina und seine Geschichte. Sechs volkstümliche Vorträge. 3. Aufl 1911

Rezensent:

Köhler, Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 21.

668

Ausfprüchen der Römer, z. B. dem Satze des Tiberius:
Deorum iniuriae Diis curae ift fein hauptfächliches Gegenargument
die dehnbare Faffung des Majeftätsgefetzes.
Er überfetzt zu diefem Zwecke die L 6 D. 48, 4: ,Qui
statuas aut imagines imperatoris jam consecratas confla-
verint (einfchmelzen) aliudve simile admiserint' unter
Weglaffung des lateinifchen Textes: ,Wer fich an den
Kaiferbildern vergeht oder wer fich etwas Ähnliches
zu fchulden kommen läßt'. Gefetzt, nach moderner Interpretation
müßte man wirklich zu dem fehr kühnen Satze
gelangen, daß das Läftern etwas dem Einfchmelzen ,ähn-
üches' ift, fo fehlt noch jeder Anhalt, daß die Römer
felbft bereits diefe Konfequenz gezogen hätten. Bei
anderen Zitaten läßt der Verfafler die lateinifchen Texte
nicht weg! —

Während Kahl der Meinung ift, die von Oftrom noch
unberührte, chriftianifierte germanifche Welt habe zögerlich
und zunächft in freierer Weife die Religionsdelikte
ins Strafrecht aufgenommen, gibt Mofer diefem Satze die
Einkleidung: Nur mit Widerwillen und nach langem
Sträuben habe das germanifche Empfinden die Religionsdelikte
aufgenommen. Er benützt den fo zugefchnittenen
Satz dann, um ihn zu widerlegen (S. 30). Aber er hat
auch hier kein Glück; er verweift nämlich auf die lex Romana
Visigothorum, in der das germanifche Wefen ,noch
verhältnismäßig ftark' zum Ausdruck gekommen fei. Er
nennt die lex dabei wohlweislich unter Weglaffung des
,Romana' nur lex Visigothorum, verrät aber ebendadurch,
daß eine den Rechtshiftorikern bekannte Tatfache ihm
wohl auch zu Ohren gekommen ift: In der lex Romana
Visigothorum kommt nämlich im Vergleich zu anderen
Volksrechten das germanifche Wefen ganz unverhältnismäßig
fchwach zum Ausdruck. Jedes Lehrbuch der
deutfchen Rechtsgefchichte klärt ihn darüber auf. Der
Beweis ift alfo mißlungen. —

Bei der vergleichenden Heranziehung einiger neuerer
Strafrechte des Auslandes, die mit der etwas ganz anderes
bedeutenden Überfchrift internationales Strafrecht' ver-
fehen wird (§ 12), findet Mofer, daß das deutfche Recht
in der Behandlung des Religionsftrafrechts rückftändig
fei. Angenommen, aber nicht zugegeben, daß Ver-
befferungsbedürftigkeit und eine vergleichsweife Rück-
ftändigkeit identifche Begriffe wären, fo müßte ihm bei-
geftimmt werden. Die Rückftändigkeit kommt bei ihm
nur dadurch zuftande, daß er das englifche Recht ungenügend
, das portugiefifche Recht flüchtig und das öfter-
reichifche gar nicht berückfichtigt, und feine Vergleichung
im Wefentlichen auf die Gottesläfterung befchränkt.

Im dogmatifchen Teil polemifiert Mofer gegen die
Auffaffung Bindings, daß die Gottesläfterung ein Delikt
gegen das religiöfe Gefühl fei, de lege ferenda beachtlich,
für das geltende Recht, welches ja Ärgerniserregung verlangt
, bedenklich.

Dagegen bekämpft er mit erfreulicher Entfchiedenheit
dieAnficht, daß die Gottesläfterung aus dem Strafgefetzbuch
zu ftreichen fei. Der Gottesgedanke fei ein Kulturgut (S. 79).
DiefesWort flammt von Kahl, der aber hierfür nicht zitiert
wird, fondern nur zur Belegung, daß die Gottesläfterung
unter den Delikten wider die öffentliche Ordnung einzureihen
ift. Die weitere Ausführung, daß die Gottesläfterung
ein Staatsintereffe gefährde (S. 81), hat ebenfalls Kahl
vorher gebracht, ohne daß er dafür zitiert würde.

Bei der folgenden Erörterung des geltenden Rechts
tritt Mofer mit Recht auf die Seite derer, welche die
Gottesläfterung auch durch eine Läfterung Chrifti begangen
werden laffen (S. 89). Praktifch undurchführbar
ift dabei der beachtliche Verfuch, zwifchen der Läfterung
Chrifti als Gott und als Menfch zu unterfcheiden. Von den
weiteren Auslegungsergebniffen ftimmt die Behauptung,
daß die erforderliche Öffentlichkeit der Handlung fchon
gegeben fei, wenn der Täter die Handlung vor einem ihm
unbekannten Menfchen begehe (S. 101), weder mit der
allgemeinen Anficht überein, noch wird ein genügender

Beweis dafür angetreten. .Dagegen betont der Verfaffer
zutreffend, daß auf die Öffentlichkeit des Ortes nichts
ankommt (S. 102).

Im Ergebnis wird die maßvolle Richtung der Arbeit
anzuerkennen, aber ihre Gründlichkeit fehr befcheiden
einzufchätzen fein.

München. Aug. Köhler.

Referate.

Soden, Prof. D. H. Freiherr von: Paläftina U. leine GefChichte. Sechs
volkstüml. Vorträge. 3. Aufl. [Aus Natur u. Geifteswelt, 6.) Mit 2
Karten, i Plan v. Jerufalem u. 6 Anflehten. (IV, m S.) 8°: Leipzig,
B. G. Teubner 1911. M. 1 —; geb. M. 1.25

Ein völlig unveränderter Abdruck von 6 unter dem frifchen Eindruck
der Kaiferfahrt (1898) gehaltenen Vorträgen, in denen die ganze Gefchichte
des Landes knapp und mit viel Treffendem im Einzelnen fkizziert wird.
Die Darflellungsweife ift immer anziehend, oft genial, gelegentlich auch
glänzend fchief. An Irrtümern fehlt es nicht, und vor allem flößt, daß
felbft gründliche Druckfehler noch in der 3. Auflage nicht beteiligt find.
So S. 14 ,deutfch' ftatt .deutlich', S. 58 und S. 59 gar der Pluralis von
origo als Name eines Kirchenvaters.

Langnau-Zürich. Ludwig Köhler.

Schulter, Ob.-Lehr. H.: Gott Ultler Gut. Andachten u. lletrachtgn.
(VIII, 192 S.) gr. 8». Frankfurt a/M., M. Diefterweg (1910).

M. 2.40; geb. M. 3.40
Es find ebenfo feinfinnige wie warmherzige Betrachtungen, die
Schufter in diefem würdig ausgeftatteten, von feiner Frau mit finnvollem
Buchfchmuck gezierten Bande gefammelt hat. Auch wer fie fchon aus
ihrer urfprünglichen Veröffentlichung in der ,Chriftlichen Welt', der .Kirchlichen
Gegenwart' und der .Gemeinde' kennt, wird fie in diefer Vereinigung
mit neuem Gewinn lefen. Der Verfafler befolgt in ihnen ftatt der
in den weitaus meiden Erbauungsfchriften angewandten deduktiven fozu-
fagen eine induktive Methode. Er zeigt in einer Reihe von einzelnen
Erlebniffen, von denen keius an fich etwas Außerordentliches bedeutet,
den Ewigkeitsgehalt auf und läßt feine Lefer damit ergreifende Blicke
tun in das Werden feiner chriftlichen Überzeugung. Dabei beweift er den
feltenen Takt einer wirklich religiös durchgebildeten Perfönlichkeit. Obgleich
er die zarteften Dinge feines Innenlebens zur Sprache bringt und
die religiöfen Wahrheiten völlig fubjektiv erfaßt und darftellt, empfängt
man doch nie den Hörenden Eindruck eines Subjektivismus, der das eigne
Ich zum Maß aller Dinge macht. Er hat es verstanden, feine Lefer in fein
Erleben einzuführen, fo daß fie ihr eignes Erleben darin wiederfinden.
Osnabrück. Rolffs.

Calm, Herzog!. Hoffchaufpieler Hans: Lehrbuch der Sprechtechnik

für Lehrerfeminare, Pädagogen, Theologen, Offiziere, Juriften, Schau-
fpieler u. Sänger. (IV, 90 S.) 8°. Leipzig, R. Voigtländers Verlag
1911. M. I.IOj geb. M. 1.40
Zu den zahlreichen Büchern, welche eine rationelle Sprechkunft
lehren wollen, gefeilt fich auch diefes. Es ift aus der Praxis des Sprechunterrichtes
an einem Lehrerinnenfeminare hervorgegangen und verfolgt
wefentlich auch nur praktifche Zwecke. Ohne irgendwie die guten Erfolge
, welche der Verf. mit der von ihm dargeftellten Methode erzielt
haben wird, anzweifeln zu wollen, bin ich doch der Meinung, daß die
hier gemachten Vorfchläge für eine befriedigende Belehrung in der bewußten
Anwendung der Regeln der Sprechkunft kaum ausreichend lein
dürften. Der Verf. unterläßt es, auf die phyfiologifche und die pfycho-
logifche Seite der Sache einzugehen, fo daß man über die fo äußerft
wichtigen allgemeinen Grundfätze der Phonetik nichts erfährt. Er befchränkt
fich zudem nur auf eine Belehrung über die Lautbildung, während
er die Fragen über die Ausfprache der Wörter und den Vortrag der
Sätze ufw. ganz unberückfichtigt läßt. Zu einer Anweifung für einen
guten Vortrag reicht darum das Buch nicht aus.

Göttingen. Knoke.

Mitteilungen.

61. Die urfprüngliche Bedeutung der Medufa. Die Entdeckung
archaifcher Giebelfiguren von einem Apollo- oder Artemis (?)-
Tempel zu Korfu mit Darfteilung der Gorgone Medufa gibt dem bekannten
Archäologen A. L. Frothingham von der Princeton-Univerfität
Veranlaffung, die urfprüngliche Bedeutung der Medufa in einer längeren
Mitteilung an die amerikanifche Zeitfchrift ,The Nation' zu erklären. Bis
jetzt hat man meift angenommen, daß in der Medufa die Griechen einen
böfen Dämon fahen, fpeziell die Perfonifikation von Sturmdämonen,
Donner und Blitz. Ihre Schlangen, der offene Mund, die knirfchenden
Zähne, die herausgeftreckte Zunge, wie die archaifche Kunft fie darftellt,
fah man als Begleiterfcheinungen an, welche Schrecken und Schauder
erregen follten. Frothingham ift dagegen der Anficht, daß die urfprüngliche
Idee der Medufa für die Griechen eine Verkörperung von Fruchtbarkeit
und befruchtender Kraft war, daß die Medufa urfprünglich mit
der großen Muttergottheit verknüpft, fpäter, aber auch noch in prä-
hiftorifchen Zeiten, mit der Sonne und Apollo in Beziehung zu fetzen
fei. Nachher, als außer der Produktivität in Verbindung mit der Kraft der
Sonne auch der verderbliche Sonnenbrand mit der Medufa verknüpft
wurde, vereinigte fie fowohl die deftruktive wie die produktive Energie
der Sonne. Medufa wurde die Trägerin der Sonne, die folare Karyatyde,