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Ausgabe:

1911 Nr. 21

Spalte:

664-666

Autor/Hrsg.:

Dörries, Bernhard

Titel/Untertitel:

Die Welt Gottes. Ein neuer Jahrgang Predigten 1911

Rezensent:

Simons, Eduard

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 21.

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Gekreuzigte ftellt nur den ftärkften Widerfpruch gegen
alle Wertfehätzungen der Welt dar.' — Der zweite Teil
fetzt ein mit einer Darftellung der Erlöfungslehre in den
Katechismen, und zwar in Luthers kleinem Katechismus,
im Heidelberger und im Brenz'fchen Katechismus, und
gibt dann eine Darfteilung der Erlöfungslehre in den
Leitfäden. Herangezogen find die von Theodor Kaftan,
von Bernhard Dörries, von Paul Graue und von Paul
Mehlhorn. Daran fchließt fich an eine Kritik der in den
genannten Katechismen und Leitfäden vorgetragenen
Lehren über die Erlöfung. Den Abfchluß diefes Teils
bildet eine pofitive Darftellung der Behandlung der Erlöfungslehre
im Konfirmandenunterricht, und zwar wird
hier zunächft die Notwendigkeit betont, die pfychologifche
Lage des Kindes zu berückfichtigen, und fodann noch
einmal die bereits am Schluß des erften Teils gewonnene
Erlöfungslehre vorgetragen unter ausdrücklicher Betonung,
daß es nicht darauf ankommt, diefe Lehre den Kindern
einzuprägen, fondern darauf, daß der Lehrer felbft eine
genaue Kenntnis der Erlöfung befitzen muß. Als Ziel
des Unterrichts wird die Erlöfung felbft hingeltellt. ,Aus
den Kindern follen einmal erlöfte Menfchen werden.
Das ift und bleibt die Hauptfache.' Dies ift fo zu erreichen,
daß man Jefus Chriftus im Kampfe mit der Sünde den
Kindern lebhaft vor die Augen malt. Denn ,die Kraft
fteckt bloß in der Perfon des Erlöfers und auch von Er-
löften, und diefe Kraft wird bloß mit Hilfe warmer und
klarer Anfchauung übertragen'. Endlich foll man die
erreichten oder erftrebten Gefühls- und Willenswirkungen
in Sätzen und Begriffen auffangen'. Der dritte, der
Predigt gewidmete Teil fetzt ein mit einer Überficht über
die gegenwärtige Erlöfungspredigt: Nachdem Luther und
Abraham Teller einander gegenübergeftellt find, werden
Schleiermacher, Römheld, eine Sammlung ,frohe Botfchaft'
aus den Gemeinfchaftskreifen, Benz, Aefchbacher, Baumgarten
, Theodor Häring, eine Sammlung .Sonntagsgruß
für Gefunde und Kranke', E. Förfter, Geyer und Rittel-
meyer und endlich Ragaz unter dem bezeichneten Ge-
fichtspunkte abgehört. Das interefiante Ergebnis diefer Prüfung
ift, daß die eigentlich paulinifche Erlöfungslehre ,zwar
felber unverfehrt bleibt, aber eine ganze Reihe von Einzelzügen
ablegt, die fie nun einmal für uns nicht annehmbarer
, fondern fchwieriger machen'. Die Erlöfung durch
die Macht Jefu allein tritt in den Vordergrund, der Gedanke
der Vergebung löft fich unaufhaltsam vom Tode
Jefu und wird feiner ganzen Perfon anvertraut. Die Erlöfung
von der Schuld aber tritt ftark zurück hinter den
ethifchen Erlöfungsgedanken: Erlöfung von der Macht
der Sünde. Ja, die Erlöfungslehre nimmt im Allgemeinen
in der herrfchenden Predigt nicht den Raum ein, der ihr
gebührt. .Unfere Predigtweife ift alfo zu flach.' Auch
eine Charakteriftik der .Leute als des Gegenftandes der
Erlöfungspredigt' führte zu dem gleichen Ergebnis: Wir
müffen es mit der Predigt von der Erlöfung fehr ernft
nehmen. Wie diefe Predigt nach diefer Seite zu geftalten
ift, an welche Vorausfetzungen fie anzuknüpfen, und wie
fie ihr Ziel: Erlöfung zu fchaffen, zu erreichen hat, damit
endet das Büchlein. —

Daß N. die Erlöfungslehre einer monographifchen
Behandlung unterworfen hat, ift nur verdienftvoll, und
wie er es getan hat, wird in allem Wefentlichen nur Zu-
ftimmung finden können. Es ift richtig: die Lehre über
die Erlöfung ift nie die Hauptfache, fondern die Erlöfung
felbft als pfychologifches Erlebnis; ebenfo ift es richtig,
daß die Lehre frei bleiben muß, damit jedes Gefchlecht [
in feiner Sprache von diefem Zentralsten verftändlich
reden mag. Ganz zu billigen ift es auch, wenn N. die
Erlöfungspredigt ernfter betrieben fehen will, als es der
Fall ift. Wenn ich trotzdem Bedenken, die mir da und
dort gekommen sind, ausfpreche, fo tue ich es aus Inter-
effe an den wertvollen Ausführungen N.s und in der
Hoffnung, daß der Verf. ihnen eine freundliche Nachprüfung
werde zuteil werden laffen.

Ich bin zweifelhaft, ob es methodifch richtig ift, daß
N. die paulinifche Erlöfungslehre, in jene drei Gruppen
j auseinandergelegt, zur Darftellung bringt. Er fagt, handle
es fich um eine rein hiftorifche Aufgabe, fo würde man
natürlich das Heilsbewußtfein als ein Ganzes darzuftellen
haben (S. 6), aber der Zweck des Schriftchens laffe feine
Methode als praktifcher erfcheinen. Allein alterniert nicht
jene Auseinanderreißung die paulinifche Auffaffungf So
fcheint es mir anfechtbar, wenn N. auf Grund von Rom. 7
j behauptet, bei Paulus finde die ethifche Erlöfung von
der Macht der Sünde das primäre und tieffte Intereffe.
In Rom. 7 ift doch ebenfo vom Schuldgefühl die Rede;
| das zeigt der Begriff,Gefetz', der fich durch die Erörterung
hindurchzieht: das Gefetz verpflichtet, macht fchuldig. Ferner
vergleiche man in dem Rückblick auf c. 7 in Rom. 8, 1 den
Ausdruck: xaraxQifia. Jedenfalls kommt, fo fcheint mir,
bei N. auch der Gedanke der Erlöfung vom Gefetz nicht
ganz zu feinem Recht, und der wichtige Begriff des Glaubens,
1 ohne den die Erlöfung bei Paulus nicht denkbar ift, wird
nur eben geftreift. Gerade, wenn man zeigen will, wie be-
j ftimmte biblifche Ideengruppen heute für Unterweisung und
Erbauung zu verwenden find, ift es n. m. A. nötig, jene zunächft
einmal möglichft objektiv darzuftellen. Bei der
Herausftellung der heute noch pfychologifch wertvollen
Momente der paulinifchen Erlöfungslehre wäre vielleicht
der Gedanke der Stellvertretung doch noch pofitiver ein-
zufchätzen gewefen, als es gefchieht. Wievielen ift diefer
Gedanke tatfächlich noch eine innere Beruhigung, alfo
keine tote Vorftellung! Bei der Behandlung Luthers, um
dies noch hinzuzufügen, habe ich ebenfalls die Herausftellung
des Glaubens vermißt. Wie ich denn überhaupt
dem ganzen Problem eine im Wefentlichen religiöfe Grundorientierung
gegeben hätte: in unferer Stellung zu Gott
liegt die Erlöfung, alfo im Glauben an feine Gnade und
hilfreiche Macht. Nur der Glaube an die Gnade bricht
die Macht der Sünde und der Welt über uns.

Halle a. S. Paul Drews.

Dörries, Paft. Bernh.: Die Welt Gottes. Ein neuer Jahrgang
Predigten. (VI, 551 S.) gr. 8°. Göttingen, Van-
denhoeck & Ruprecht 1910. Geb. M. 6.60

Ohne Vorwort tritt ein neuer Jahrgang Predigten
von Dörries vor uns: Da bin ich, nehmt mich hin. Das
wird ihm keiner verdenken, daß er die üblichen Begründungen
, warum der Prediger fich trotz anfänglicher
Bedenken zur Herausgabe diefer Predigten entfchloffen
habe und auch den üblichen Segenswunfeh uns gefchenkt
hat. Und einer Rechtfertigung bedarf es' hier noch
weniger als fonft. Denn D. gehört zu den bekannten
und gefchätzten unter den lebenden Predigern, feine
beiden früheren Predigtjahrgänge find in 5. und 2. Auflage
erfchienen, fo wird felbft Kirmß, gefchweige denn
Jülicher, vorausgefetzt, daß fie ihre in der Zeitfchrift für
praktifche Theologie IV und VIII aufgeftellten und
gegeneinander verfochtenen Forderungen aufrecht erhalten
haben, gegen diefe Veröffentlichung nichts einwenden
. In der Tat weift fie diefelben Vorzüge auf, die
den früheren von vielen Beurteilern und darunter folchen,
deren Namen Klang haben, nachgerühmt find, u. a. den,
daß fie moderne Predigten im guten Sinn des Wortes
find, entftanden aus einem Geift, der in der Gegenwart
lebt, an ihr fich freut, an ihr und für fie arbeiten will.
Was die Gegenwart bewegt, das fpiegeln fie wieder; aber
fie tun mehr, fie ftellen dies gegenwärtige Leben in das
Licht, das von Jefus ausgeht, um es daran zu prüfen und
danach zu beeinfluffen. So ift der Titel: Die Welt Gottes
mehr als ein Titel, er hat etwas von einem Programm.
Daß die ganze Welt von Gottes Liebesgeift durchwaltet
ift, das fagt der Prediger nicht nur aufs Nachdrücklichfte,
dasverfucht er auf den verfchiedenften Gebieten des gegenwärtigen
Lebens zu zeigen, in Naturpredigten, die nicht
in der Natur ftecken bleiben, in Hausftandspredigten,