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Ausgabe: | 1911 Nr. 2 |
Spalte: | 43-44 |
Autor/Hrsg.: | Monod, Victor |
Titel/Untertitel: | De titulo Epistolae vulgo ad Hebraeos inscriptae 1911 |
Rezensent: | Bauer, Walter |
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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 2.
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Wunderkniffe bedachten Sophiften, fondern das recht-
fchaffene Gefchäft eines ruhigen Hiftorikers. Daß er dabei
von dem fichern Gefühl, das die beati possidentes feiner
Kirche befeelt, im letzten Grunde getragen ift, verfteht fich
wohl von felbft; aber diefes Gefühl entbindet ihn nicht der
Pflicht, fich um fachliche Gründe und wiffenfchaftliche Be-
weife zu bemühen. In der gegenwärtigen Zeit ift es ein übler
Dienft, den man den katholifchen Gelehrten leiftet, wenn
ihnen von Proteftanten Lob gefpendet wird. Zur Beruhigung
der böswilligen, wie auch der ehrlichen Gegner
darf im vorliegenden Fall hinzugefügt werden, daß die
Punkte, in denen ein Diffenfus zwifchen den Forfchern
beider Kirchen hervortreten würde, noch zahlreich genug
find. Auf diefelben näher einzugehn, hat keinen Sinn.
Nur Eines mag zur Charakteriftik der Lage der katholifchen
Kirche und Wiffenfchaft hervorgehoben werden.
In einer Anmerkung, die allerdings nicht urfprünglich zu
der vor dem Bifchof von Verfailles gehaltenen Vorlefung
gehörte, nimmt B. Stellung zu der Stelle 1 Joh. 5,7, die
,von den heutigen Theologen als interpoliert anerkannt
werde'; allerdings habe die Kongregation des Index am
13. Januar 1897 verboten, die Echtheit diefes Textes von
den drei Zeugen in Zweifel zu ziehen. En fait, bemerkt
aber Batiffol zu diefer Erklärung des Index, ce decret n'a
inaugure qiiune discipline, que le progres des etudes Joint
a Vassentiment tacite de l'autorite a fait tomber en de-
suetude (244). Wie es mit diefer ftillfchweigenden Zu-
ftimmung der kirchlichen Behörde befiehlt iß, wird vielleicht
die nächße Zukunft zeigen. Möge die befcheidene
Erklärung des edeln Verfaffers, der der von ihm erkannten
und bekannten Wahrheit fchon fchwere Opfer bringen
und wegen feines Freimuts mancherlei Anfechtungen
erdulden mußte, fich nicht bald als ßräfliche Illufion er-
weifen!
Straßburg i. E. P. Lobßein.
Monod, Victor: De titulo Epistolae vulgo ad Hebraeos
inscriptae. Diff. Montalbani 1910. (47 p.) gr. 8° fr. 1.50
Seit einiger Zeit erfreuen fich Unterfuchungen über
den Hebräerbrief wieder ßeigender Beliebtheit. Auch
Monod hat feine Erßlingsfchrift einem der wichtigßen
Probleme, die dieses Schreiben fleht, gewidmet und in
feiner Differtation die Frage nach der Bedeutung der
Überfchrift ztpöc 'Eßgaiovq erörtert.
Nachdem er konftatiert hat, daß fchon die alten
Kirchenfchriftfteller die Worte nicht mehr recht ver-
ftanden haben, lehnt er die Anflehten ab, daß die Palä-
ftinenfer oder fpeziell die Gemeinde von Jerufalem oder
auch die .Hebräer' im Gegenfatz zu den .Helleniften'
als Empfänger des Briefes zu denken feien. Dann, zur
pofitiven Erklärung übergehend, meint M. im Anfchluß
an F. M. Schieies bekannten Auffatz im Americ. Journ.
of Theol. 1905, das 'Eßgaloi dürfe nicht eigentlich, fondern
müffe bildlich aufgefaßt werden als migratores {adcoelum).
Dem Verfaffer von Hebr. als Kenner der LXX (bef.
Gen. 14) und des Philo (bef. De migratione Abrahami)
fei folches Verftändnis möglich gewefen, und zu ihm
ftimme aufs Befte der ganze Inhalt des Schreibens, das
nichts anderes als eine Gegenüberflellung der alten Hebräer
nach dem Fleifch und der neuen nach dem Geift
bezwecke.
So weit glaubt M. mit Sicherheit gehen zu können.
Nicht fo gewiß ift ihm, was er zum Schluß vorträgt.
Er vermutet, der eigentliche Eingang von Hebr. fei durch
einen Zufall bis auf die Worte jiq. 'Eßg. verloren gegangen
. Die Frage nach dem Verfaffer beantwortet er
kurz, indem er zwifchen Aquila und Priska, Apollos und
Barnabas die Wahl läßt.
Gegen die Richtigkeit der Ausführungen M.s, die
zur Voraussetzung haben, daß jtg. lEßg. urfprünglich ift
und die Beftimmung des Briefes korrekt angibt, fpricht,
daß — M. weiß es felbft — die tropifche Deutung des
'Eßg. äußerft feiten ift und daß fich diefe Deutung der
Überfchrift in der alten Kirche nirgends findet. Weiter
macht Ms. Auffaffung die Annahme nötig, daß die ur-
fprüngliche Adreffe verloren gegangen ift; denn jtg. 'Eßg.
eignet fich natürlich nicht dazu, fie darzuftellen. Diefem
Verlud aber mangelt jegliches Zeugnis und kein Unbefangener
verfpürt ihn. Hebr. fetzt nicht abrupter ein als
etwa L Joh. Das jtg. 'Eßg. hat gewiß auf Urfprünglichkeit
ebenfowenig Anfpruch als die Überfchriften der anderen
neuteftamentlichen Briefe. Zur Ermittlung des Charakters
der Empfänger von Hebr. find die beiden Worte fchwerlich
geeignet; fie find aus einer beftimmten Idee von der
Bedeutung des Schreibens herausgewachfen.
Marburg/Heffen. Walter Bauer.
Cumont, Franz: La Cosmogonie manicheenne d'apres Theodore
Bar Khöni. (Recherches sur le Manicheisme. I.)
Bruxelles, H. Lamertin 1908. (80 p.) Gr. 8°
Fr. Cumont gibt in dem vorliegenden Werk eine erneute
eingehende Darftellung der manichäifchen Kosmo-
gonie. Er konnte dabei eine neue, noch nicht ausge-
fchöpfte Quelle benutzen: das von Theodor Bar Khöni,
Bifchof von Kashkar, im 6. oder 7. Jahrhundert verfaßte
Scholienbuch, das im 11. Abfchnitt ausführliche Betrachtungen
über die Sekten, darunter eine längere über den
Manichäismus, enthält. Mit den Quellen für den Mani-
chäismus hat es bekanntlich folgende Bewandtnis: die
abendländifchen (lateinifchen und griechifchen) Bericht-
erftattungen der Kirchenväter, die ein verhältnismäßig
reiches Material bieten, ftellen den Manichäismus faft
fämtlich in einer Form dar, in der deffen bizarre, orien-
talifche Mythologie gemildert und vergeiftigt erfcheint. Es
ift faft, als ob die lateinifche und die griechifche Sprache
nicht aufnahmefähig wären für diesen Wuft des orientali-
fchen Mythos, und wir können annehmen, daß fchon die
abendländifchen manichäifchen Quellen, auf denen die
Kirchenväter fußen, jene Vergeiftigung und Umbildung
ihrer Religion enthielten. Bekannt ift, um ein Bei-
fpiel herauszugreifen, wie in diefen Quellen die konkrete
Figur des Menfchenfohnes als Weltfeele (ipv%fy erfcheint.
Die orientalifchen Quellen, vor allem der von Flügel
herausgegebene Fihrift, haben deffen urfprünglichen
Charakter beffer bewahrt, aber fie find zum Teil recht frag-
mentarifch und flammen faft fämtlich aus dem islamifchen
Zeitalter. In der Schrift des Theodor Bar Khöni liegt
eine reichhaltige orientalifche Quelle aus dem 6. oder
7. Jahrhundert vor, in einem Dialekt gefchrieben, welcher
der urfprünglichen Sprache des Manichäismus auf das
allernächfte verwandt gewefen fein wird. Wir werden
von vornherein mit dem Vertrauen an diefe Quelle
herangehen dürfen, daß fie uns einen vorzüglichen Bericht
erhalten hat. Und diefes Vertrauen täufcht uns nicht;
an vielen Punkten verftattet fie uns erft jetzt einen wirklichen
Einblick in den Gang der manichäifchen Kosmo-
gonie; ihr Wert wird auch dadurch ins helle Licht geftellt,
daß die ebenfalls erft in neuerer Zeit entdeckten fog.
Turfan-Fragmente vielfach in auffälliger Weife gerade
mit den Angaben diefer Schrift übereinftimmen. Nach
Cumonts Vermutung ift der Bericht des Theodor Bar
Khöni wahrfcheinlich ein Exzerpt aus der epiftula funda-
menti des Mani, mit der fich auch Auguftin bekanntlich
ausführlich befchäftigt hat. So werden denn auch die
zahlreichen genauen Übereinftimmungen diefes Kirchenvaters
mit unferer Schrift verftändlich.
Auf Grund diefer neu erfchloffenen Quellen (auch
unter Heranziehung der Turfan-Fragmente) bietet nun
C. eine vorzügliche Darftellung der manichäifchen Kos-
mogonie, nicht nur eine einfache Aufzählung und Re-
giftrierung aller ihrer Wunderlichkeiten, auch nicht nur
eine Betrachtung von oben herunter nach irgend welchen
von außen hergeholten allgemeinen Formeln und Gefichts-
punkten, fondern eine wirkliche Einführung in das Ver-