Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1911 Nr. 20

Spalte:

630-631

Autor/Hrsg.:

Wobbermin, Georg

Titel/Untertitel:

Monismus und Monotheismus. Vorträge und Abhandlungen zum Kampf um die monistische Weltanschauung 1911

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

629

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 20.

630

forderte und nur von jemand geleiftet werden konnte,
der fich in das Ganze diefer Weltanfchauung gründlich
hineingearbeitet und hineingedacht hat.

Es ift das metaphyfifche Kaufalproblem in
feiner Behandlung bei Lotze, was den Kern der vorliegenden
Unterfuchungen bildet. Und da Lotze bekanntlich
die Löfung diefes Problems in der Weife er-
ftrebt, daß er die wechfelwirkenden Dinge in einer fie
alle umfaffenden Wefenseinheit begriffen fein läßt, fo
bildet eben diefer ,Monismus' den zweiten Gegenftand
der Kronheim'fchen Darftellung und kritifchen Nachprüfung
; weiter aber fchließt fich noch die Erörterung
des Freiheitsproblems an, was dadurch gefordert war,
daß die Lotze'fche Annahme der Freiheit der Einzel-
wefen dem von ihm gelehrten ,Monismus' zu widerftreiten
fcheinen konnte.

Die Darfteilung der ,Lotze'fchen Kaufaltheorie' beginnt
Kronheim mit einer Charakteriftik und Recht-
Fertigung des vielfach mißverftandenen ,Occafionalismus',
und der Bedeutung desfelben als einer bloß vorläufigen,
für die Zwecke praktifcher Unterfuchung von Lotze auf-
geftellten Theorie, bei der die endgiltige Entfcheidung
über das Verhältnis von Leib und Seele ausdrücklich
fpäteren Unterfuchungen noch vorbehalten bleibt. Es
folgt dann die Wiedergabe der Lotze'fchen Auseinander-
fetzung mit den im Laufe der Gefchichte der Philofophie
aufgeftellten Erklärungsverfuchen des Wirkungszufammen-
hanges zwifchen den Dingen. Und endlich wird gezeigt,
wie Lotze einerfeits den Spiritualismus, d. h. die Aiv
nähme einer Befeeltheit aller einfachften Wirklichkeitselemente
, anderfeits die moniftifche Annahme des Ein-
begriffenfeins aller Dinge im Abfoluten oder im oberften,
einheitlichen Weltgrunde, zur Erklärung diefes Wirkungs-
zufammenhanges heranzieht. Und hierbei wird denn
auch die vielfach noch nicht genügend gewürdigte Tatfache
noch einmal hervorgehoben, daß Lotze in betreff
des Spiritualismus feine Anfchauung im Laufe feiner

luft, daß Lotze zur Ausführung des 3. Teils feines ,Syftems',
der hierüber hätte Klarheit bringen müffen, nicht mehr
gekommen ift. Alles in Allem genommen, kann die
Kronheim'fche Schrift allen Freunden der Lotze'fchen
Philofophie warm empfohlen werden.

Bonn. M. Wentfcher.

Wobbermin, Prof. Dr. Georg: Monismus und Monotheismus
. Vorträge und Abhandlungen zum Kampf um
die moniftifche Weltanfchauung. Tübingen, J. C. B.
Mohr 1911. (VII, 212 S.) 8° M. 3—; geb. M. 4.20

Eine Sammlung von fieben Auffätzen, die durch ein
einheitliches Band zufammengehalten werden.

Der erfte fetzt fich mit Haeckel auseinander, deffen
Verdienfte um die Naturwiffenfchaft ebenfo entfchieden
anerkannt, wie ihm anderfeits Mangel an hiftorifchem
Sinn, an erkenntnistheoretifcher Bildung und an Verftänd-
nis für den Unterfchied zwifchen genetifcher Beurteilung
und Wertbeurteilung vorgeworfen werden. Im Mittelpunkt
fteht der Nachweis, daß die von ihrer fpezififch
Darwiniftifchen Form zu unterfcheidende Entwicklungslehre
dem chriftlichen Schöpfungs- und Gottesglauben
und der theologifchen Weltbetrachtung nicht nur nicht
widerftrebe, fondern weit entgegenkomme, und daß der
,Monismus', je nachdem man ihn eben deute, ,im inneren
verlogen' oder — chriftlich fei.

Der zweite Auffatz befchäftigt fich mit der in Berlin
1907 erfolgten Diskuffion ,Wasmann contra Haeckel' und
legt die Befangenheit beider Parteien in ,dogmatiftifch gebundener
Weltanfchauung' dar.

Der dritte gibt eine intereffante, um größte Objektivität
fich bemühende Schilderung des Kampfes um die
Haeckelfchen Embryonenbilder und nimmt Stellung zu
dem Verhalten des Keplerbundes in der Angelegenheit,
fowie zu deffen Programm überhaupt.
Entwickelung geändert hat, daß er die Lehre von der I Ein vierter erörtert noch einmal das Verhältnis von

.Befeeltheit der Dinge' in feinen letzten Schriften aus- I Chriftentum und Entwicklungstheorie und fügt das nach

drücklich zurückgezogen und fich dem früher abgelehnten
Fichte'fchen Idealismus in diefem Punkte nunmehr an-
gefchloffen hat.

Mit durchaus überzeugender Beweisführung wird der
insbefondere von Wartenberg (,Das Problem des Wirkens',
1900) gegen Lotze erhobene Vorwurf widerlegt, als habe
diefer in feiner Begründung der Lehre vom .Abfoluten'

__Ai-. !1___ _______itsrK__1 T______r . ..... . al«—arül,.f nnmllpn

Anficht des Referenten durchaus notwendige Zugeftänd-
nis hinzu, daß felbft die Darwiniftifche Form diefer Lehre
falls fie richtig wäre, fich mit der chriftlichen Weltanfchauung
vereinen ließe.

Die Befprechung der modernen Anfchauungen vom
Wefen der Materie im fünften Auffatz führt zu dem Ergebnis
, daß ,diefe räumlich-materielle Welt — die Welt

eine für ihn unzuläffige Vorausfetzung eingeführt, nämlich j der Naturwiffenfchaft — nicht die ganze und die letzte

die Annahme einer abfoluten Selbftändigkeit der Dinge,
obwohl er felbft vorher fchon gezeigt habe, daß es ein
folches ifolirtes, felbftändiges Sein der Dinge garnicht
gebe, alles .Sein' vielmehr als ein ,Stehen-in-Beziehungen'
gefaßt werden müffe. — Übrigens mag hier gefagt werden,
daß Kronheim an diefer Stelle fich im Grunde unnötige

Welt ift. Denn gerade wenn wir diefe Welt der Naturwiffenfchaft
als Inbegriff der letzten, alleingültigen Wahrheit
anfehen wollen, geraten wir in Selbftwiderfprüche
und logifche Abfurditäten'.

Der folgende Auffatz geht von dem Verhältnis der
Theologie zur Metaphyfik aus. Er ftellt feft, daß der

Schwierigkeiten macht. Er überfieht, daß es zur Wider- j chriftliche Glaube an den perfönlichen, zugleich trafnzen-

legung Wartenbergs vollkommen hingereicht hätte, feft-
zuftellen, daß Lotze feine Ableitung des .Abfoluten' ja
garnicht auf der Annahme felbftändiger Dinge autbaut,
wie Wartenberg meint, fondern gerade auf der Widerlegung
diefer von anderer Seite (Herbart!) zu Grunde

denten und immanenten Gott wahrer Monismus fei, zeigt,
unter Verzicht auf eine nochmalige Auseinandersetzung
mit dem verworrenen Monismus Haeckels, die Unnahbarkeit
des .paralleliftifchen Monismus' und des .Monismus
des Unbewußten' und beleuchtet dann noch vom chrift-

gelegten Vorausfetzung. Das Ergebnis diefer Ablei- liehen Gottesglauben aus das Freiheitsproblem und die
tung, — eben die moniftifche Zufammenfaffung der | Wunderfrage.

Dinge im Abfoluten, beftätigt dementfprechend gerade ; Der abfchließende Auffatz vollzieht gleichfam eine

die früher gewonnene Überzeugung, daß die Dinge, auch
fchon, um fein zu können, ,in Beziehung flehen' müffen,
und fomit kann von einem Widerfpruch innerhalb der
Lotze'fchen Aufhellungen in betreff diefes Punktes gar
keine Rede fein. —

Zum Schluffe weift Kronheim nach, wie auch die
Annahme der Freiheit der Einzelwefen mit deren Begriffenfein
im Abfoluten fehr wohl vereinbar ift, wenn
freilich auch die metaphyfifchen Ausführungen Lotze's

Rekapitulation aller vorhergegangenen, indem er zugleich
deren Betrachtungen an einzelnen Stellen ergänzt und
vertieft.

Das Ganze bedeutet einen wertvollen Beitrag zur
Apologetik, fofern es fich um eine vortreffliche Abwehr
des unterchriftlichen Monismus der Gegenwart handelt
und um den Nachweis, daß gewiffe, oft gegen das Chriftentum
ausgefpielte Ergebniffe der Naturwiffenfchaft fich der
chriftlichen Weltanfchauung aufs befte einfügen. Der

felbft gerade an diefer Stelle uns wohl am meiften im j Praktiker wird mancherlei Gewinn daraus ziehen können.
Stiche laffen. Hier bleibt es eben ein unerfetzlicher Ver- Der Unterzeichnete freut fich feinerfeits, dem in klarer