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Ausgabe:

1911 Nr. 20

Spalte:

620

Autor/Hrsg.:

Loeschke, Gerhard

Titel/Untertitel:

Jüdisches und Heidnisches im christlichen Kult. Eine Vorlesung 1911

Rezensent:

Lietzmann, Hans

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019

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 20.

620

6. Oktober 1909. (55 S.) gr. 8°. Dresden, C. L. Ungelenk
1910. M. —75

Unter den Anregungen A. Deißmanns und mit um-
faffender Heranziehung der Ergebniffe der Papyrus-
forfchung verfucht Daechfel des Apoftel Paulus Perlon
und Schrifttum in dem kulturgefchichtlichen Zufammen-
hange feiner Zeit lebensvoller zu erfaffen, als dies bisher
gefchehen ift. Gewiß, eine fchöne Aufgabe, die Paulus
felbft jedem Forfcher ftellt, der fein hohes Wort .Allen
bin ich alles geworden' zum Leitftern erwählt. Zur
Löfung feiner Aufgabe durchmuftert der Verfaffer die
wichtigften Kulturgebiete der römifch-griechifchen Welt
und findet eine Fülle von Analogien zu den Ausfagen
des Apoftels. Aber die Art, wie er diefe Analogien verwendet
, verführt ihn zu Übertreibungen und Verzeichnungen
. Wo er einen technifchen Ausdruck aus der
Staatsverwaltung, dem Rechtsleben, dem Handel und
Wandel, dem Kriegsleben, dem Sklavenwefen, den Myfte-
rien, dem Theaterwefen rindet, überträgt er den technifchen
Sinn fofort auf das paulinifche Wort. Er über-
fieht dabei, daß ein brauchbarer beziehungsreicher Ausdruck
in verfchiedenem Zufammenhange felbftändig einen
verfchiedenen Sinn gewinnt, daß ferner technifche Ausdrücke
in der Regel nicht Neuprägungen find und daß
fie den technifchen Sinn verwifchen oder auch ganz einbüßen
, wenn fie volkstümlich geworden find. Daher gewinnt
er eine ganz neue Begriffswelt, indem er ent-
fcheidende Bezeichnungen für des Paulus Berufswertung
und für feine Verkündigung auf Anleihen zurückführt.
Paulus erfcheint ihm als Vater des Bürokratismus und
des kirchlichen Rechnungswefens (S. 28), er hat feine
Kanzlei und feinen Aktenkoffer (S. 8, 2. Tim. 4, 13), er
gibt fich als der neuteftamentliche Mofes, als der pontifex
maximus der Korinther (S. 13, 2. Kor. 3, 12), als .Legat
Chrifti' lag ihm die Zivilverwaltung und die militärifche
Diktatur ob (S. 16). yap/öj«« fei demgemäß als mili-
tärifcher Ausdruck zu würdigen, ötOfiiog xov Xqiöxov ein
Titel, xax' äxi/Jiav dürfe überfetzt werden durch .Apoftel
a. D.' (S. 19), xavxr/Oig (Rom. 15, 17) bezeichne das amtliche
Auftreten, vjtaxoi] wird mit Berufung auf jiQOöevxij
(Gebet und Gebetsftätteund ähnlicheDoppelbezeichnungen)
als .antike Fabrik' gefaßt, Rom. 6, iöf. fchildere das Innentreiben
einer Fabrik (S. 25), svayyt/uov (Anm. 26) bedeute
Meldung, Erlaß Gottes betreffend Jefum und die Heidenwelt
, xaxaxQtfta heiße Servitut, dixalcofiu Bundesrecht,
alfo bedeute Rom. 8, 1: es ruht alfo .keinerlei Servitut
mehr auf denen, die im Meffias Jefus find' (S. 29f.). dixedcuöig
Cmtjq fei ,eine dauernde Leibesrente', die Darftellung des
Erlöfungswerks fei dem Schuldrecht .nachgebildet' (S. 31).
oxtvij oQyijg wird durch .Zerrfiguren', oxevr/ xififjq durch
.zierliche Nippesfiguren'(S. 35) wiedergegeben. So vollzieht
fich eine wahrhaft überrafchende Umprägung des paulini-
fchen Sprach- und Begriffsguts, deren Ergebniffe uns in
fehr draftifchen Uberfetzungen vorgeführt werden, ö ini-
(ptQoav xijv oQyrjv z. B. heiße: im Wege der Zwangsvoll-
ftreckung vorgehend (Anm. 49), öovZoq afiagriaq Fafel-
hans. Die ironifch bewegte Auseinanderfetzung mit den
Gegnern 2. Kor. ii, 1 f. 16f. wird als Reflex einer Luft-
fpielfzene dargeftellt. Auch 2. Kor. 9, 4 fei zu überfetzen:
damit wir nicht in diefer Szene (vmoöxccoic) als die Blamierten
daftehen (S. 43).

In der Begründung läßt der Verfaffer, der fehr kon-
fervativ gefinnt ift und z. B. keinen nennenswerten Grund
fleht, den 2. Petrusbrief dem Apoftel Petrus abzufprechen,
feiner Phantafie die Zügel fchießen. So gewinnt er überrafchende
Gefichtspunkte für die Entftehung der paulini-
fchen Brieffammlung. Die Konzepte der Paulusbriefe
feien gefammelt und von autoritativer Stelle (Petrus) herausgegeben
. Die doctrina Addai liefert ihm für diefe Anficht
den Anhaltspunkt (S. 7).

Daher muß ich zu meinem Bedauern, diefen gutgemeinten
temperamentvollen Vernich, den Apoftel Paulus in

kulturgefchichtlichem Zufammenhange darzuftellen, ablehnen
. Manches Treffende, wie die Analogien aus
der Kaufmannsfprache (S. 26) und die zutreffende Beobachtung
zum Einpfropfen des Oleafters Rom. ii, 17f.
(S. 33), wo allerdings ohne Grund für 7p?/ötot»/c. als
neuer gärtnerifcher Terminus XQ^xöxrjg eingeführt wird,
wiegen die Willkür fonftiger Ableitungen und Gleichfetzungen
nicht auf, zu fchweigen von mancherlei fragwürdigen
Behauptungen, wie die, daß Vornahme von
Geißelungen zu den Glanzpunkten des Synagogengottes-
dienftes gehört hätten (S. 39), oder daß Straßenbeleuchtung
in den Städten des Altertums üblich gewefen wäre (S. 35).
Ob auch die oft ohne Grund gefteigerte derbe und
niedrig greifende Weife der Überfetzung der Wertung
der Briefe des Apoftels förderlich ift, bezweifele ich. Est
modus in rebus. Lagarde hat über die gefunden Grund-
fätze für eine Bibelüberfetzung fehr beherzigenswerte Bemerkungen
gemacht, die unvergeffen bleiben follten; vgl.
Gott. Gel.-Anz. 1885, I.

Von ungenauen Zitaten habe ich bemerkt 1. Kol. 13
für 1. Kor. 1, 13 (S. 29), 2. Kor. 3, 2 für 3, 12 (S. 13), Tit. 3,
14 für 3, 11 (S. 31).

Leipzig. G. Heinrich

Loefchcke, Gerb.: Jüdifches und Heidnifches im chriftlichen

Kult. Eine Vorlefung. (III, 36 S.) 8°. Bonn, A. Marcus
& E. Weber 1910. M. —80

Diefe Antrittsvorlefung, welche L. anläßlich feiner
Umhabilitierung in Göttingen gehalten hat, bringt auf
engftem Räume eine erftaunliche Fülle von Material. In
präzifer Formulierung orientiert das Büchlein über die
zahlreichen Gebiete, auf denen der chriftliche Kult jüdifches
oder heidnifches Erbe aufgenommen hat: in der
Berechnung der Zeiten von den Gebetsftunden bis zum
Ofterfeft, in der Liturgie der Taufe und Meffe zeigt fich
jüdifcher Einfluß, andere Kirchenfefte, an ihrer Spitze das
Weihnachts- und Epiphaniefeft, die Meß- und Taufliturgie
und alter Firmungsbrauch, Weihwaffer, Amulette,
Reliquien und Bilderkult famt den mannigfaltigen Formen
des Toten-, Märtyrer- und Heiligenkultes find die Hauptgebiete
des heidnifchen Einfluffes. Ls. Urteil ift überall
forgfältig erwogen und wird in den Anmerkungen unter
Verweis auf die Literatur gelegentlich näher begründet,
und daß er lieber zu wenig als zu viel behauptet, darf
ihm gerade auf diefem verführerifchen Gebiet als befon-
deres Lob gelten. Das kleine Heft ift eine Mufterleiftung
religionsgefchichtlicher Behandlung der Kirchengefchichte.

Jena. Hans Lietzmann.

Ruppel. A.: Zur Reichslegation des Erzbilchofs Albert v.
Magdeburg (1222—1224). [Aus: .Quellen u. Forfchgn.
a. italien. Archiven u. Biblioth.'] (34 S.) gr. 8°. Rom,
Loefcher & Co. 1910. M. 1.60

Der Amtsfprengel des Erzbifchofs war die Lombar-
1 dei, die Mark Trevifo und die Graffchaft Romagna. R.
I hat das urkundliche Material aus italienifchen Archiven
und Bibliotheken wefentlich vermehrt, zwölf Beilagen
j (S. 18—34) ftehen acht bisher bekannten Urkunden gegenüber
. Rs. Urteil über die Wirkfamkeit des Legaten und
feine Erfolge ift — allerdings mit Vorbehalt — ungünftig,
er würde die Schuld mehr als er getan hat auf die überaus
fchwierigen Verhältniffe gefchoben haben, wenn er
die ganze Perfönlichkeit Albrechts und feine fonftigen
Leiftungen ins Auge gefaßt hätte. Er hat fich zu fehr
von einem nichtsfagenden Urteil des Verfaffers der Gesta
archiepiscoporum Magdeburg, beeinfluffen laffen. Demgegenüber
ift auf die gleichzeitig erfchienene tüchtige
Biographie Albrechts von Hans Silberborth in Ge-
fchichtsbl. f. St. u. Land, Magdeburg, 45. Jahrg. 1910,
S. 110—232 (1. Hälfte = Hall. Diff.) zu verweifen, auch