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Ausgabe:

1911 Nr. 2

Spalte:

39-41

Autor/Hrsg.:

Kotelmann, L.

Titel/Untertitel:

Die Ophthalmologie bei den alten Hebräern 1911

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 2.

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Ramfes III. (1181—5°) zu Frohndienften bei Bauten in
Pithom und Ramfes gezwungen, cf. die Ap[u]riu in den
Infchriften von Ramfes III. und IV. Letzterer regiert
bis 1144, nach feinem Tode findet der Exodus ftatt, der
von 1144—1141 dauert. Der Zug geht über den Sinai,
wo die Kultusordnung des P gegeben wird; durch diefe
wird das Prieftertum den Aaroniden übertragen, denen
die Leviten für Hilfsdienfte beigegeben werden. P erhält
aber nicht Gefetzeskraft für das ganze Volk, und fo
finden wir lange Zeit hindurch ,Levitenpriefter' und ,Priefter
und Leviten' nebeneinander. Der Verf. verfolgt die Gefchichte
der beiden Prieftertümer im Detail bis in die
nachexilifche Zeit.

Diefe Theorie eines doppelten Exodus gründet fich
auf das hohe Alter und die damit gegebene Zuverläffig-
keit der Quellen. Die vom Verf. dafür angeführten
Gründe find, gelinde gefagt, für einen mit der modernen
kritifchen Literatur bekannten Autor etwas naiv. Z. B. P
muß vorexilifch fein, denn er nennt die Monate nicht
mit den babylonifchen Namen, fondern zählt fie (dann
ift wohl z. B. auch Hag. vorexilifch?), und erkennt noch
nicht den Anfang des Jahres im Frühling, denn er hat
das Neujahrsfeft im Herbft (aber die Zählung der Monate
beginnt ja mit dem Frühlingsmonat!); IReg. 8,64 etc.
erwähnen das Speifopfer, da diefes nur in P gefordert
ift, muß P älter als Salomo fein! Über folche Begründung
braucht man kein Wort mehr zu verlieren. Auch
was der Verf. aus Infchriften zur Stütze feiner Theorie
vorbringt, ift vielfach recht problematifch. Seine Lefungen,
die den Kombinationen zugrunde liegen, find oft recht
unficher oder umftritten, wie die Fußnoten verraten. Als
ein charakteriftifch.es Beifpiel fei noch angeführt, daß der
Verf. den Namen Jofua in den Amarnabriefen (Winckler
Nr. 237,18) als Jafchuia findet, den kurz vorher genannten
Tadua ,E-ud-du-a' lefen und mit Schiptiaddi und Addu-
daian = dem Richter Ehud indentifizieren will, woraus
fich dann unter Heranziehung von Jof. 5,19fr., wo der
Oberfte des Heeres Jahwes kein anderer als Ehud, das
Haupt der von früher her in Jericho anfäffigen Ifraeliten,
ift, eine nette Gefchichte von Parteikämpfen in Jericho
und der Übergabe der Stadt durch die eine Partei an
Jofua ergibt. Immerhin ift bekannt, daß fich Gründe
für die Anfetzung des Exodus im 15. und im 12. Jahrhundert
beibringen laffen, und fo haben eine Zufammen-
ftellung diefer Gründe und der Verfuch, beiden durch
die Theorie eines doppelten Exodus gerecht zu werden,
ihr gutes Recht und ihren Wert (vgl. den ähnlichen, doch
andersartigen Verfuch von Eerdmans, Altteftamentliche
Studien II, 1908). Den Hauptgrund gegen feine Theorie
hat der Verf. felbft erkannt und in Kap. XXII wenigftens
abzufchwächen verfucht. Sollten zwei einander fo ähnliche
Ereignisreihen nacheinander angenommen werden
können? Sollten zwei heilige Laden geftiftet fein? Sollten
zweimal drei Männer mit gleichen Namen (Mofes, Aaron,
Jofua) die gleiche Rolle gefpielt haben? Der Verf. hat
den Mut zu diefer Annahme, indem er fich für die zuletzt
erwähnte an die doppelten Namensformen Mmvarjq
und Mcoöyq, Jofua und Hofea und die Möglichkeit!?)
klammert, Aaron für einen bloßen Titel = ,der mit der
Lade ("|11K) Befchäftigte' zu halten. Ich bewundere diefen
Mut, möchte ihn mir aber nicht wünfehen.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Kotelmann, weil. Augenarzt Dr. med. et. phil. L.: Die
Ophthalmologie bei den alten Hebräern. Aus den alt-
und neuteftamentlichen Schriften unter Berückfichtigung
des Talmuds dargeftellt. Hamburg, L. Voß 1910.
(VIII, 436 S.) gr. 80 M. 15 —

Das ,habent sua fata libelli', mit dem K. die Vorrede
zu feinem vor mehr als dreißig Jahren begonnenen
und endlich nach vielen Hindernifien vollendeten Buch

beginnt, hat hier feine befondere Bedeutung, denn dem
Verf., der mit zäher Energie durch drei Jahrzehnte an
der Erfüllung der Aufgabe, die er fich einft als junger
Mann geftellt, arbeitete, war es nicht vergönnt, das gedruckt
vorliegende Werk zu fehen: er ftarb als die erften
Bogen eben gedruckt waren, fo daß ein jüngerer Theologe
den weiteren Druck beforgte, eine Aufgabe, der er
fich mit größter Sorgfalt unterzog, wie namentlich die zahlreichen
hebräifchen und griechifchen Zitate beweifen,
auch fonft ift mir nur an ganz vereinzelten Stellen ein
Druckfehler begegnet.

Die Arbeit verläuft in vier Kapiteln: Die Anatomie;
die Phyfiologie; die Pathologie und die Therapie des
Auges bei den alten Hebräern. Es liegen ja mannigfache
Beiträge zur Gefchichte der hebräifchen Medizin
vor — ich erinnere nur an die Schriften des Göttinger
Klinikers Ebftein: die Medizin im Alten Teftament und
die Medizin im Neuen Teftament und im Talmud —
keine hat in folchem Maße allen nur irgendwie in Betracht
kommenden Stoff herangezogen, keine auch in fo
vollftändiger Weife die Vorarbeiten benutzt, wie die von
K., die 2874 Anmerkungen geben Zeugnis von feinem
erftaunlichen Fleiß. Jede Seite der Arbeit beweift auch,
mit welcher Sorgfalt er fich felbft in einen ihm fremden
Stoff, z. B. philologifcher Art, eingearbeitet hat, in nicht
feltenen Fällen trifft er in feiner Kritik auch den Nagel
auf den Kopf. Ich fürchte freilich, daß er die Wirkung
feiner Schrift felbft dadurch beeinträchtigt hat, daß er es
nicht verftanden hat, in den durch fein Thema gezogenen
Grenzen zu bleiben. So finden wir in dem Abfchnitt
über die Pyfiologie des Auges auf S. 40—45 Ausführungen
über die Geftirne bei den Hebräern, S. 46 über
den Blitz, S. 47 über das künftliche Licht und S. 50- 77
über die Farben bei den Hebräern. Was haben mit der
Ophthalmologie bei den Hebräern die Ausführungen
S. 314—340 über Jahve, Jefus und die Jünger als Heilende
zu tun, was die über die Ärzte überhaupt, über
die Wundenbehandlung, Operationen ufw. S. 340ff. Erft
S. 363 kommt K. zu feinem eigentlichen Thema. Derartige
Beifpiele ließen fich noch in größerer Zahl beibringen
, fie allein machen es begreiflich, daß der Verf.
über die Ophthalmologie bei den Hebräern ein Werk
von faft 450 S. fchreiben konnte. Auch in bezug auf
den Abdruck der hebräifchen und griechifchen Zitate
hätte K. fich befchränken können, ohne den Wert feiner
Arbeit zu vermindern: für die meiften Medikohiftoriker
find mindeftens die hebräifchen Zitate unverftändlich, für
die Theologen aber genügte die Stellenangabe ohne Abdruck
. Nicht feiten fragt man fich auch vergeblich nach
dem Zwecke einer Anmerkung. So findet fich zu der
Bemerkung, daß es nicht feftzuftellen fei, wie weit die
hebräifche Ophthalmologie von der anderer Völker abhängig
fei, der Hinweis auf Felix von Oefeles Auffatz:
die pneumatifche Anfchauung des Jahviften und die humorale
Anfchauung des Elohiften in der Genefis, K. fügt
hinzu, daß es zu weit führen würde, wollte er die Richtigkeit
diefer Behauptung nachprüfen und unterfuchen, ob das
Gefagte auch für die übrigen Bücher des Pentateuchs zutreffe
. Was foll das alles im Rahmen diefer Arbeit? Auffallend
neben diefer auch das Entlegenfte heranziehenden
Gelehrfamkeit ift der öfter hervortretende Mangel an hifto-
rifcher Kritik bzw. hiftorifchen Kenntniffen. So ift es in der
Tat für einen fo unterrichteten Mann auffallend, daß er aus
unferm Pentateuch Zitate gibt, um damit etwas für Mofe
bzw. die Zeit Mofes zu beweifen, fo daß man faft annehmen
muß, daß K. noch auf dem Boden der Anfchauung der
Synagoge über den Pentateuch fleht, vgl. S. 84 k, 342.
Auch Ürteile wie die auf S. 100, daß der Formenfinn
bei dem Volke Isreal, das auf einer hohen Kulturftufe
ftand, fich zum Schönheits- und Kunftfinn entwickelt
habe S. 100, zeigen, daß in bezug auf das gefchichtliche
Urteil ein gewiffes Manko da ift. Befondere Beachtung
verdient die ausführliche Erörterung über das Leiden