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Ausgabe:

1911 Nr. 18

Spalte:

555-556

Autor/Hrsg.:

Veit, Andreas Ludwig

Titel/Untertitel:

Kirchliche Reformbestrebungen im ehemaligen Erzstift Mainz unter Erzbischof Johann Philipp von Schönborn. 1647 - 1673 1911

Rezensent:

Vigener, Fritz

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 18.

556

dem Staate gegenüber in Anfpruch genommen fein.
Aber immerhin hat Auguftin auch hierüber Gedanken
ausgefprochen, die im Mittelalter zu Ungunften des Staates
ausgebaut und ausgebeutet wurden.

Im vierten Abfchnitt (S. 154—254) werden Auguftins
Gedanken über die verfchiedenen Ordnungen im Staate,
über Ehe und Familie, Reichtum und Armut, Arbeit,
Sklaverei, Ackerbau, Handel und Gewerbe, Zinsnehmen
mit befonderer Berücksichtigung der nordafrikanifchen
Verhältniffe dargeftellt. Der letzte Abfchnitt endlich
(S. 254—271) fkizziert im Anfchluß an das bekannte Buch
Mirbts: Die Stellung Auguftins in der Publiziftik des
gregorianifchen Kirchenftreites (Leipzig 1888), die Nachwirkung
der auguftinifchen Ideen in der gregorianifchen
Epoche und gibt zum Schluß eine kurze Zufammenfaffung
und Würdigung der auguftinifchen Staatslehre.

Alle Unftimmigkeiten in der reichbewegten Gedankenwelt
Auguftins vermochte auch Sch. nicht auszugleichen,
und es bleiben da und dort Bedenken gegen feine Beweisführung
. Aber beachtenswert find feine Darlegungen
überall, fie ftehen durchweg auf der Höhe wiffenfchaftlicher
Forfchung — das Werk von H. Scholz: Glaube und Unglaube
in der Weltgefchichte; Kommentar zu Auguftins
De civitate Dei, Leipzig 1911, konnte noch nicht benutzt
werden —, führen, wo es notwendig erfcheint, eine ruhige,
vornehme Polemik und berückfichtigen immer den Standpunkt
der antiken Philofophie und anderer Kirchenväter,
um daran Stillftand oder Fortfehritt beim Bifchof von
Hippo zu bemeffen.

S. 81 fchreibt Sch.: ,Die bisherige Unterfuchung ergibt das Refultat,
daß der hl. Auguftin die kaiferliche potestas an fich in der natürlichen
Ordnung begründet fein läßt und die Ausübung der Herrfchaft dann, wenn
fie als wohlwollende Fürforge im chriftlichen Sinne fich erweift'.
S. 109 aber weift er eine Anficht Gierkes ab mit der Begründung: .Denn
an der berühmt gewordenen Stelle [vom Staat als magnum latrocinium,
De civ. Dei 4, 4] handelt es fich um den Mangel nicht etwa der chriftlichen
, fondern um den jeder, auch der natürlichen Gerechtigkeit'. Diefe
beiden Sätze vermag ich nicht zufammen zu reimen, und ebenfo wenig
S. 259: ,Die von Gregor VII gedeihen Forderungen gehen über die
Prinzipien, die Augudinus vertrat, im Wefentlichen nicht hinaus' mit S.
260: ,Wenn Gregor VII ,eine Unterwerfung des Staates unter die Kirche
erdrebt' (Mirbt S. 95), bedeutet dies ein Abweichen von den augudini-
fchen Ideen in demfelben Maße, als bedimmte Anflehten der antigregori-
anifchen Partei jenen zuwiderlaufen'.

München. Hugo Koch.

Veit, Prieft. Dr. Andreas Ludwig: Kirchliche Reformbeftre-
bungen im ehemaligen Erzltift Mainz unter Erzbilchof
Johann Philipp von Schönborn. 1647—1673. Unter Benutzung
bisher ungedruckter archivalifcher Dokumente
dargeftellt. (Studien u. Darftellungen a. d. Gebiete d.
Gefchichte. VII Bd., 3. Heft.) Freiburg i. B., Herder 1910.
(XIV, 119 S.) gr. 80 M. 3 —

Fleißige archivalifche Forfchung hat es dem Vf. ermöglicht
, unfere Kenntnis des geiftlichen Regiments Johann
Philipps wefentlich zu erweitern. Die Neuordnung der
kirchlichen Verwaltung, auf die G. Mentz in feiner Biographie
J. Phs. nur eben hingewiefen hatte, ift hier genauer
dargeftellt. Die Schaffung des zentralifierenden General-
vikariats (,Konfiftorium') entfprang, foviel wir fehen, der
perfönlichen Initiative des Erzbifchofs (1651). An der
Spitze des Konfiftoriums ftand der Generalvikar, der fchon
längft die höchfte geiftliche Gerichtsgewalt inne hatte. Als
fein Vertreter übte der Weihbifchof unter dem Titel Provikar
oder, wenn auch diefer verhindert war, der Siegler
die bifchöfliche Jurisdiktion. In den Tagesgefchäften kam
dem Siegler die Hauptrolle zu, er ift zur Beftrafung der
Kleriker ermächtigt, er hat ein Vorfchlagsrecht für erledigte
Pfarreien, er und der Provikar find die Bücherzenforen für
die ganze Erzdiözefe. Die Kontrolle der Mainzer Drucker
und Buchhändler war Sache des erzb. Fiskals; Vs. Mitteilungen
hierüber find knapp, aber willkommen als Ergänzung
zu Goldfriedrichs Gefchichte des deutfehen Buchhandels
von 1648—1740 (1908).

Von der ftraffen Diözefanregierung J. Phs., die auch
durch die Rückficht auf die Finanzen beftimmt wurde, gibt
namentlich feine Klofterpolitik einen Begriff. Daß auswärtige
Ordensobern nur mit Genehmigung des Erzbifchofs
und unter Teilnahme feiner Kommiffare ihre Klöfter vi-
fitieren konnten, ift faft felbftverftändlich. Aber J. Ph. hat
auch von fich aus die Klöfter vifitieren und nötigenfalls mit
Gewalt zum Gehorfam zwingen laffen. Er beanfpruchte
nicht nur ohne Einfchränkung das Recht, die Wahl der
Kloftervorfteher zu beftätigen, er hat fogar gelegentlich
bei der Abtwahl (1667, Kl. Eberbach im Rheingau) feine
Kommiffare mitftimmen laffen. Unter Ignorierung der
Exemtionen hat er das Ordensleben feiner Diözefangewalt
untergeordnet, und nur foweit fie fich ihr fügten, konnten
die Klöfter auf feine Gunft rechnen. — Die Arbeit an der
Reform des Weltklerus lag faft völlig in der Hand von
Geiftlichen, die aus der Fremde gekommen waren; die
Mainzer Stiftsklerifei war mehr zum Objekt als zum Träger
einer Reform geeignet. Die Reformen find nicht wirkungslos
geblieben. Aber noch 1667 mußte J. Ph. felbft dem
Papfte geftehen, der Prieftermantel nötige ihn oft ,minus
idoneos' zu nehmen (S. 63). Das religiöfe Leben des Volkes
fuchten landesherrliche Verordnungen zu beeinfluffen, wie
fie ähnlich auch andere deutfehe Fürften diefer Zeit gegeben
haben. Dem weltlichen Beamtentum lag es ob,
die Einhaltung kirchlicher Gebote zu überwachen. Aus
volkswirtfchaftlichen Erwägungen heraus, alfo nicht als
Erzbifchof, hat J. Ph. die Zahl der Feiertage befchränkt; das
ift für die Regierungstendenzen der Zeit ebenfo charakte-
riftifch, wie es die Volksmaffe kennzeichnet, daß fie ver-
fuchte, fich ihre Bitttage gegen Hagelfchlag und die anderen
geliebten ,fefta' zu retten. Dem Volksfchulwefen (wenn
man von einem folchen überhaupt fprechen darf) fehlte
Einheit und Zentralifation. Die Lehrer wurden durch das
Vikariat ernannt, aber fie waren zumeift den Pfarrern in
die Hände gegeben. Diefe fchätzten nicht feiten den
Glöckner- und Organiftendienft des Lehrers höher ein
als feinen Unterricht, und gute Gefinnung galt ihnen mehr
als gute Kenntniffe; fie duldeten Lehrer, die nicht einmal
fchreiben konnten (S. 82 und 84). Die Regierung J. Phs.
hat wenigftens verfucht, die unfähigen Elemente zu be-
feitigen und die Nebenbefchäftigung der Lehrer einzu-
fchränken. Größere Verdienfte hat fie fich um den Religionsunterricht
erworben; auch darüber, namentlich über
den ,Catechismus biblicus minor' gibt V. neue Auffchlüffe.

Kritifche Bemerkungen, zu denen Vs. Schrift nur vereinzelt
Anlaß bietet, kann ich beifeite laffen bis auf eine.
V. erklärt S. 2 Anm. 3, daß in F. Herrmanns Buch über
die evangelifche Bewegung zu Mainz die ,Schilderung des
Zuftandes' der Geiftlichkeit ,nicht auf der Höhe objektiver
Beurteilung fteht'. Ich halte diefe Behauptung für
ungerechtfertigt. Nicht Mangel an Objektivität, fondern
nur das Fehlen einer genauen zeitlichen Abgrenzung der
Quellen kann man Herrmann vorhalten (f. m. Befprechung
in diefer Zeitfchrift 1908 Nr. 9, Sp. 270). Von diefem
methodifchen Fehler aber ift auch Veits Einleitung nicht
völlig frei geblieben.

Freiburg i. B. F. Vigener.

Deutfch, Dr. Jofef: Kilian Leib, Prior von Rebdorf. Ein
Lebensbild aus dem Zeitalter der deutfehen Reformation
. (Reformationsgefchichtliche Studien und Texte.
Heft 15 u. 16.) Münfter i. W., Afchendorff 1910. (XV,
207 S.) gr. 8» M. 5.60

Die bei Befprechung von Schlecht, Kilian Leibs
Briefwechfel und Diarien ThLZ 1910, Sp.626 gegebene
Charakteriftik des Rebdorfer Propfts erhält ihre Beftätigung
durch Deutfehs Biographie. Der Verf. hat fich namentlich
durch Beleuchtung der fchriftftellerifchen Arbeiten Leibs,
die teilweife fehr feiten und vielfach nur Manufkript find,
ein Verdienft erworben. Dagegen bleibt im Lebensgang