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Ausgabe:

1911

Spalte:

33-36

Autor/Hrsg.:

Grill, Julius (Bearb.)

Titel/Untertitel:

Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut (Tao-te-king) 1911

Rezensent:

Haas, Hans

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schürer und Adolf Harnack
Fortgeführt von Professor D. Arthur Titius und Oberlehrer Hermann Schuster

Jährlich 26 Nrn. Verlag: J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung, Leipzig Halbjährlich 9 Mark

_ , Manufkripte und gelehrte Mitteilungen find ausschließlich an _ lmi

36. Jahrg. Nr. 2 Profeiror D. Titius in Göttingen, Friedländer Weg 26, zu fenden. ^1, Janiiar lyil

0 Rezenfionsexemplare ausfchließlich an den Verlag.

Lao-tszes Buch vom höchften Wefen und vom

höchften Gut (Haas).
Jeremias, Die Panbabyloniften (Greßmann).
Toffteen, The Historie Exodus (Steuernagel).
Kotelmann, Die Ophthalmologie bei den alten

Hebräern (Xowack).
Steinmann, Aretas IV. (O. Holtzmann).
Batiffol, Orpheus et l'Evangile (Lobftein).
Monod, De titulo Epistolae vulgo ad Hebraeos

inscriptae (V. Bauer).
Curoont, La Cosmogouie manicheenne d'apres

Theodore Bar Khöni (Bouffet).

Kolb, Menfchliche Freiheit und göttliches Vor-

herwiffen nach Auguflin (Scheel).
S t o r r, Concordance to the latin original of ,De

Imitatione Christi' (O. Clemen).
Lüttge, Die Rechtfertigungslehre Calvins (Eck).
Foerfter, Autorität und Freiheit (Niebergall).
Wurm, Autorität und Subjektivismus (Derf.).
Börner, Dr. Fr. W. Foerfter und feine ethifch-

religiöfen Grundanfchauungen (Derf.).
Foerfter, Sexualethik und Sexualpädagogik

(Derf.).

Grilnberg, Die evangelifche Kirche, ihre Organisation
und ihre Arbeit in der Großftadt
(Drews).

Sterben wir, fo fterben wir dem Herrn (Schian).

Referate: Ufener, Religionsgefchichtliche Unter-
fuchungen. Regifter zur ZatW. Huck, Synopfe
der drei erften Ew. Floerke, Kirchentum.

Mitteilungen: (5) Libelli aus der Decianifchen
Verfolgung. (6) Palaestina-Verein. (7) Thom-
fen, Paläftinalit. 2. Bd. (8) Schürer's GJV,
4. Aufl., Regifter. — Berichtigung.

Wichtige Rezenfionen. — Neuefte Literatur.

Lao-tszes Buch vom höchften Wefen und vom höchften Gut

(Tao-te-king). Aus dem Chinefifchen überfetzt, mit
Einleitung verfehen und erläutert von Prof. DD. Julius
Grill. Tübingen, j. C. B. Mohr 1910. (XII, 208 S.)
gr. 8° M. 4.50; geb. M. 6 —

Der Sinologe des Hamburger Kolonialinftituts gab
vor kurzem gelegentlich der Hoffnung Ausdruck, feine
Fachgenoffen würden das Tao-te-king den philofophie-
renden und äfthetifierenden Dilettanten überlaffen, um
dafür ihre Kräfte den zahllofen anderen dringlicheren
Aufgaben zuzuwenden. Das ift ein Wunfeh, den ich
nicht verliehe. Daß fich heute des Chinefifchen gänzlich
Unkundige unterfangen, Gedanken aus einer Sprache
,nachzudenken', deren ABC fie nicht gelernt, wie Ular,
oder, ohne .Sinologen' zu fein, es unternehmen, ,den
Geift Laotfes in die deutfehe Sprache einzufangen', wie
Kohler (um nur zwei der jüngften literarifchen Wagehälfe
zu nennen), mag man bedauern. Daß Eugen Diederichs
Verlag vor kurzem das demnächftige Erfcheinen einer
deutfehen Tao-te-king-Ausgabe von R. Wilhelm-Tfingtau,
dem Überfetzer der Gefpräche des Konfuzius, angekündigt
, war mir Freudenpoft. Und daß nun — noch vor
Wilhelm — ein anderer mit einer neuen, wirklich ernft
zu nehmenden deutfehen Übertragung hervortritt, wird

ftellt fieht, eine Tatfache, geeignet, den Theologen zu
erneuter Prüfung des Offenbarungsbegriffs zu ver-
anlaffen, ja, der auf Laotsze anwendet, was ein anderer
mit Bezug auf Rembrandt gefchrieben: ,Er fteht nicht in
einer Reihe, nicht im Glied mit Nebenmännern, Vorder-
und Hintermännern, fondern er fteht für fich; feine Ein-
famkeit ift ein Stück feiner Macht. Es könnte fein, daß,
weil er in feiner Zeit nicht ganz verftanden worden ift,
feine Zeit überhaupt erft im Kommen ift; daß er nicht
ein Mann und ein Name der Vergangenheit ift, fondern
eine Kraft der Gegenwart und Zukunft. Er ift moderner
als die Modernen und lebendiger als viele Lebende' (S. X).

Und einen Mann, der fchon vor vier Jahrzehnten
Mitglied der Hallefchen Konf. z. Revif. der Lutherüberf.
des A. T. gewefen, fchützen doch wohl feine Jahre gegen
das ,Paulus, du rafeft'. Grill fteht unter dem Banne des
Laotszefchen Geiftes — und wer, der fich in feinen Bannkreis
begibt, er fei denn ein ganz ftumpfer Gefelle, könnte
fich ihm entwinden? — wird aber keineswegs von ihm
entperfönlicht. So mag man fich vor einem Tolftoi beugen,
in dem wir in der letzten Periode feines Lebens bis ganz
vor kurzem in manchem Betracht fo etwas wie einen
Laotsze redivivus in unferer Mitte gehabt, ohne doch
darum feine Wege zu gehen. Inkonfequenz! Ja wohl.
Auch Grill zeigt fie. Und feinem Buche gereicht das

doch wohl nicht mir allein eine freudige Überraschung zum Vorteil. Ein Bewunderer Laotszes, des Feindes
gewefen fein. Wenn ich nun aber doch nur wüßte, wie ! falfchberühmter Kunft und Wiffenfchaft^ prüft und er
die Worte Mellen, um wenigftens jeden unferer jüngeren

Theologen, dem diefe Zeilen zu Geficht kommen, dazu
zu bringen, das erfchienene Buch zur Hand zu nehmen!
Grills Wiedergabe diefes .tiefften, abftrakteften und fchwie-
rigften Werkes der ganzen chinefifchen Literatur' (Julien)
mag fo wenig unanfechtbar fein, wie dies die lateinifchen,
franzöfifchen, englifchen, holländifchen und deutfehen
Uberfetzungen aller feiner Vorgänger find, fein Werk
(insbefondere das Vorwort S. V—XII und die S. 14—27
in der Einleitung dargebotene, die großartige Einheitlichkeit
und Einfachheit der Laotszefchen Weltanfchau-
ung klar hervortretenlaffende meifterhafte Inhaltsfynopfe)
'ft jedenfalls geeignet, dem, der es zur Hand nimmt, zu
zeigen, daß das Buch Laotszes gekannt fein muß.
Achtungsvoller, bewundernder, enthufiaftifcher hat feit
Viktor v. Strauß keiner über Kungfutfes großen Geiftes-
antipoden geurteilt als fein neuefter deutfeher Überfetzer
, der Tübinger Profeffor der Theologie, der fich
in Anfehung diefes vorchriftlichen prophetifchen Meta-
phyfikers der Chinefen vor eine der merkwürdigsten
tatfachen der Gefchichte des menfehlichen Geiftes ge-

forfcht er doch nach allen Regeln philologifcher Kunft
die auf das Tao-te-king bezügliche Literatur, foweit er
ihrer nur immer habhaft werden konnte.

Nicht alles Erfchienene fcheint ihm allerdings direkt zugänglich gewefen
zu fein. Daß z. B. Chalmers' 1868 herausgekommene Überfetzung
alles Kommentars entbehre (S. 51), würde er wohl, wenn er fie hätte
einfehen können, v. Strauß nicht nachgefchrieben haben. Auch Bal-
fours Werk hat ihm kaum felbft vorgelegen. Die Exiftenz einer anderen
neuen Überfetzung, mit der er fich fonft ficher auseinandergefetzt haben
würde, ift ihm überhaupt verborgen geblieben: ich meine die 1905 von
Parker dem Manchefter-Profeffor des Chinefifchen vorgelegte, die eigene
Wege geht wie keine andere. (So fchon in der Überfetzung des Buchnamens
: Providential Grace Classic. Zum Vergleich mag der Anfang
des 50. Kap. in Parkers Englifch hier fteheu: Ltkc as, waxing to the
füll and waning to the eclipse, the waxing units numbering thirteen
whole days, and the waning units numbering thirteen; so with man's
birth until his busy career ends in death, there are also thirteen phases.)
Für das, was fonft noch unter .Ausgaben und Erklärungen; Überfetzungen'

(S. 43_58) an neuerer Literatur nachzutragen wäre, kann auf O. Frankes

ausgezeichnetes Referat über die religionswiffenfch. Literatur über China
feit 1900 im Archiv f. Relw. verwiefen werden (Bd. VIII, S. 129 f.).

Grills eigene Überfetzung fchließt fich an die Textausgabe
von Stanislas Julien an. Die ihm von der Kgl.
Bibliothek in Berlin zur Verfügung geftellten und von

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