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Ausgabe:

1911 Nr. 17

Spalte:

523-524

Autor/Hrsg.:

Lelong, Auguste (Ed.)

Titel/Untertitel:

Les Pères apostoliques. III. Ignace d’Antioche et Polycarpe de Smyrne, Épitres. - Martyre de Polycarpe 1911

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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523

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 17.

524

druck ,Spiel' das ganz Bedenkliche der Sache; ich fürchte,
über ein Spiel kommt diefe Gefchichtsphilofophie nicht
hinaus. Auch was in fehr feinfinniger Weife über die
Formalideen und Materialideen der Gefchichte ausgeführt
wird, fcheint mir gerade für ein wirklich philofophifches
Verftändnis der Gefchichte als eines zufammenhängenden
und vorwärtsführenden Ganzen nichts einzutragen; für
den Wert des Befonderen, Individuellen in der Gefchichte
bleibt da gar wenig übrig, und ich fürchte, daß die Gefchichtsphilofophie
, die dem Typifchen und Konftanten
nachzugehen und feine Gefetzmäßigkeit zu formulieren
fucht, fich bloß dadurch vor der Langeweile wird retten
können, daß fie inkonfequenterweife das Individuelle,
nicht Ableitbare und Neue möglichft kräftig unterftreicht,
d. h. fich ftatt an der Idee an der Wirklichkeit fättigt.
M. E. hätte eine Gefchichtsphilofophie, die ihrem fpeziellen
Gegenftand gerecht werden will, zum eigentlichen Gegen-
ftand das Werden und Wachfen der neuen Werte, ihr
Zufammentreffen, fich Steigern und Vertiefen auf einen
letzten höchften Wert hin, der uns nirgends gegeben,
fondern aufgegeben ift. Jede andere Betrachtung der
Gefchichte, fie mag noch fo viel das Wort Idee in den
Mund nehmen, ift letztlich relativiftifch und naturaliftifch
und verfteht unter Ideen naturgefetzliche Abftraktionen
ftatt eigenartige geiftige Werte. Auf alle Fälle fcheint
mir das Poftulat einer Philofophie der KG vorauszufetzen,
daß unter uns über Recht und Sinn der Gefchichtsphilofophie
überhaupt die Klarheit und Einigkeit herrfche, die
uns fehlt.

So liegt der Wert diefer Abhandlung für mich in
den außerordentlich reichhaltigen, nach allen Seiten anregenden
Einzelbeobachtungen zur Gefchichte der Kirchen-
gefchichtsfchreibung und in der Forderung, daß der
Kirchenhiftoriker der Gegenwart von den Tatfachen zu
den Ideen auffteige, weniger bloß fammle und mehr
denkend verarbeite, als es gewöhnlich gefchieht. Es ift
ficher eine von Ideen erfüllte, ja überfließende Schrift,
deren wir nicht zu viel befitzen.

Bafel. Wernle.

Les Peres apostoliques III: Ignace dAntioche et Polycarpe
de Smyrne, Epitres. — Martyre de Polycarpe. Texte
grec, traduction frangaise, introduction et index par
Auguste Lelong. (Textes et Documents pour l'etude
historique du Christianisme, publies sous la direction de
H. Hemmer et P. Lejay. 12.) Paris, A. Picard et Fils
1910. (LXXX, 187 p.) 8° fr. 3 —

Eine neue Textausgabe der Ignatiusbriefe und der
Polykarpftücke mit franzöfifcher Überfetzung ift für die
deutfche wiffenfchaftliche Welt nur infofern von Intereffe,
als darin etwa neue Forfchungen und Geflchtspunkte dargeboten
werden. Dies ift weder die Bedeutung noch die
Abficht der vorliegenden Ausgabe. Sie bringt eine
präzife, gut gefchriebene franzöfifche Einleitung zur hifto-
rifch-kritifchen Orientierung, dann den griechifchen Text
und ihm gleich zur Seite die franzöfifche Überfetzung
mit kurzen Anmerkungen. Der Herausgeber ftellt fich
auf den bewährten Boden, wie er durch die Werke von
Th. Zahn, Lightfoot, Harnack-Reville und andere gefchaffen
ift. Er lehnt Ed. Bruftons und Völters Sonderthefen mit
Recht ab; auch mit der Annahme Br.s, Ignatius fei nur
Diakon gewefen, kann er fich nicht befreunden. Den
Lehrgehalt der Briefe ftellt er in vielleicht allzu formelhafter
Weife in kurzen Sätzen unter einigen Hauptüber-
fchriften zufammen und fügt ein genaues Verzeichnis der
wichtigften Literatur bei. Die Überfetzung ift reichlich
paraphrafierend und breit, wie der Verf. felbft bemerkt.
Man empfindet bei der Lektüre dem Verfaffer die große
Schwierigkeit nach, die Überfüllung ignatianifcher Sätze
in ein glattes und verftändliches Franzöfifch zu übertragen.
Der franzöfifche Text ift daher zugleich eine Art von

Kommentar, der durch die Anmerkungen ergänzt wird.
Aus diefen läßt fich Manches lernen, und es wird auch
einem deutfchen Lefer, der fich in die ignatianifche Literatur
einlefen will, nicht ohne Intereffe fein, neben dem
griechifchen Texte die franzöfifche Übertragung kennen
zu lernen. Vor allem aber hat die franzöfifche Leferwelt
hier eine handliche kleine Ausgabe erhalten, welche den
Urtext mit einer Überfetzung zugleich bietet. Eine ähnliche
Ausgabe mit deutfcher Überfetzung würde auch
vielen deutfchen Lefern willkommen fein, welche fich umfangreiche
Werke nicht anfchaffen können und mit dem
fchwierigen griechifchen Texte allein nicht fertig werden.

Wittenburg i/Weftpr. Ed. von der Goltz.

Effer, Gerhard: Wer war Praxeas? (Programm.) Bonn,
P. Hanftein (1910). (28 S.) 40 M. 1—

Wer war Praxeas? Ja, wenn wir das wüßten. Ich
muß geftehen, ich weiß es immer noch nicht, trotz Effer
nicht. Ich kann ihm freilich bei feinen Erörterungen
eine ganze Wegftrecke lang Gefolgfchaft leiften, aber fein
Schlußergebnis anzunehmen trage ich doch Bedenken.
Es ift zunächft erfreulich, daß Effer bei der Exegefe von
adv. Praxean 1 fich von all den Künfteleien fernhält, mit
denen Hagemann, Lipfius, neuerdings auch Kroymann
den einfachen Wortlaut gequält haben. Der Wortlaut
befagtfürden unbefangenen Lefer mit aller nur wünfchens-
werten Deutlichkeit, daß Praxeas — natürlich ein Menfch
von Fleifch und Blut und kein fingierter ,Händelfucher' —
zuerft in Rom auftrat, dann nach Karthago kam, dort
Auffehen erregte, widerlegt wurde (und zwar unter
führender Anteilnahme Tertullians), fich bekehrte und
den Mund hielt. Darüber ift einige Zeit vergangen, Ter-
tullian ift Montanift geworden, Praxeas (oder find es nun
Anhänger?) rumort wieder, und Tertullian fchickt fich
aufs neue zu feiner Widerlegung an. So im allgemeinen
ift m. E. alles ganz klar. Damit ift freilich noch nicht
gefagt, daß nun auch die Einzelzüge des Bildes überall

i deutlich erkennbar find. Z. B. wann ift das gefchehen?

; Effer meint, für das Auftreten des Praxeas in Rom die
Zeit des Eleutherus anzufetzen, fei nicht ftatthaft. Man
müffe in die Jahre Viktors hinabfteigen. Darin möchte
ich ihm recht geben. Wie lange Praxeas aber in Rom
blieb, wann er nach Karthago kam, wie groß der Zeitraum
, über den fich die in Tertullians erftem Kapitel erzählten
Vorgänge erftrecken, zu denken ift, das bleibt
doch unklar. Ich finde bei Effer keine beftimmte Angabe
, wann er fich Tertullians Schrift abgefaßt denkt.
Auf alle Fälle ift fie doch wohl in die Nähe von monog.,
jejun., pudic. zu rücken. Ob Praxeas noch lebte? Aus
der Singular-Apoftrophe des Gegners in der Schrift
kann man das doch nicht fo ficher fchließen, wie Effer
zu tun geneigt ift, und der Schluß des Berichtes im
I. Kapitel fcheint mir eher dagegen zu fprechen. Aber
wer war denn nur diefer Praxeas, fragen wir immer noch.
Es bleibt doch ein ,fchweres Problem', um mit Harnack
zu reden, ,daß Hippolyt den Praxeas nicht genannt hat
und Tertullian als Antimodalift fich nur mit ihm befchäf-
tigt'. Vollends, wenn er doch in Rom war, vielleicht
längere Zeit, und dort eine Rolle fpielte. Hippolyt
follte ihn ignorieren, der doch Epigonus und Kleomenes,
die römifchen Patripaffianer nennt, der über den Urfprung
der Härefie in Afien unterrichtet ift? Und aus Afien war
doch auch Praxeas laut Tertullian nach Rom gekommen.
Effer glaubt das Rätfei löfen zu können: Epigonus und
Praxeas find nur verfchiedene Namen für ein und diefelbe
Perfönlichkeit. So wie Cyprian nach den Quellen Caecilius
Cyprianus qui et Thascius hieß, fo hieß Epigonus qui et
Praxeas. Vielleicht hat er den Beinamen tatfächlich wegen
feiner Vielgefchäftigkeit erhalten (Tertullian nennt ihn ja
einen homo inquietus), jedenfalls wird er in Karthago
durchweg mit dem zweiten Namen, der in der Umgang-
fprache den erften verdrängt hatte, benannt worden fein.