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Ausgabe:

1911 Nr. 1

Spalte:

500-501

Autor/Hrsg.:

Cotlarciuc, Nico

Titel/Untertitel:

Das Problem der immatriellen, geistigen Seelensubstanz 1911

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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499

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 16.

wenn man feine Losreißung von der Landeskirche pfycho-
logifch verftehen will. Wer zu diefer Kirche anders fteht
als er, wird feinen Schritt beklagen, aber er wird Rocholl
dieferhalb nicht anklagen können. Jeder fteht und fällt
feinem Herrn, und Rocholl ift fchließlich der Überzeugung
gewefen, daß er ihm in der feparierten Kirchengemein-
fchaft dienen müffe. Er hat ihm dort auch ohne Groll
oder Bitterkeit gegen die Landeskirche lutherifchen Be-
kenntniffes zu dienen vermocht. Dies Zeugnis wird ihm
die Gefchichte geben müffen. Ob fich feine idealen Hoffnungen
auf die erobernde Weiterentwicklung der Freikirche
erfüllen werden, wird fich erft in der Zukunft ent-
fcheiden. Vorläufig hat es den Anfchein nicht.

Vorftehende Anzeige ift vielleicht etwas anders ausgefallen
, als man bei Bücherbefprechungen gewohnt ift.
Man wird ihr aber angemerkt haben, daß die Angaben,
die fie enthält, dem Hübnerfchen Buche entnommen find.
Ich möchte jedoch zum Schluffe fagen, daß der Verfaffer
feine Biographie Rocholls aufgrund eingehender Quellen-
ftudien gemacht hat. Dabei hat er auch Rocholls Selbft-
biographie, die diefer unter dem Titel ,Einfame Wege'
veröffentlicht hat, an den einfchlägigen Stellen benutzt.
Er hat dies aber fo getan, daß diefes Werk unein-
gefchränkt feinen felbftändigen Wert bleibend behalten
wird. Daß der Verfaffer feine Biographie im Sinne der
Kirchengemeinfchaft gefchrieben, der diefer fich letztlich
angefchloffen hat, und der er felbft angehört, wird niemand
beanftanden wollen, zumal bezeugt werden muß,
daß die anziehend gefchriebene Arbeit unnötige Polemik
gegenüber landeskirchlich orientierter Anfchauung mit
anzuerkennendem Takte vermeidet. Da das Buch auch
äußerlich durch Papier und Druck fowie durch künft-
lerifchen Initialenfchmuck ausgeftattet ift und ein Porträt
Rocholls in vollendetem Farbendruck nach einem Gemälde
feines Sohnes, des Malers Theod. Rocholl, bietet,
wird es gewiß nicht nur feine Lefer, fondern auch feine
Freunde in weiten Kreifen des kirchlich intereffierten
Publikums finden, was man ihm mit voller Überzeugung
wünfchen möchte.

Göttingen. K. Knoke.

Wieland, Konftantin: Eine deutfche Abrechnung mit Rom.

Proteft gegen den päpftlichen Modernifteneid. München,
M. Riegerfche Univerfitätsbuchhandlung in Kommiffion.
1911. (XV, 128 S.) 8» M. 1 —

In der Tat eine Abrechnung! Mit bemerkenswerter
Schärfe wird hier ein theologifches Sündenregifter Roms
aufgeftellt, wie es fo überfichtlich, fo umfaffend, trotz der
Kürze, kaum fonft wo vorhanden ift. Deshalb ift das
Büchlein auch weit mehr, als eine Gelegenheitsfchrift, als nur
,ein Proteft gegen den päpftlichen Modernifteneid'. Die
Gefamtgrundlagen der ultramontanifierten katholifchen
Dogmatik zieht der Verfaffer in den Kreis feiner Beurteilung
, und zeigt, wie morfch diefe Grundlagen find, wenn

§efundes, einfaches Denken prüfend fie betaftet. Der
chwerpunkt der Schrift liegt in ihrem 3. Teile. Der
Beweis, den der Verfaffer hier antritt, um die Wider-
finnigkeit der gegenwärtigen römifch-katholifchen ,Lehre
von Gott, von der Erbfünde, von der Genugtuung Chrifti,
vom Meßopfer' darzutun, ift vollftändig gelungen. Würden
diefe Abfchnitte im katholifchen Volke gelefen: das theologifche
Gebäude Roms käme bei Millionen ins Wanken.
Und zwar deshalb, weil Wieland es verftanden hat, ohne
theologifch-wiffenfchaftliche Spitzfindigkeiten, in allen
diefen Lehren das für den gefunden Menfchenverftand
Unfinnige fo aufzuzeigen, daß auch der einfachfte Ver-
ftand erkennt, daß ihm da Dinge zu glauben zugemutet
werden, die der Vernunft nicht weniger widerftreiten
als die .Theologie' irgend einer Indianer-Religion. Die
Stärke der ultamontanen Dogmatik, d. h. die Macht, die
fie auf die ultramontane Welt ausübt, liegt im Denkmangel
der katholifchen Maffen. Nachdenken über reli-
giös-theologifche Dinge gibt es dort nicht. Dort ererbt
und erfitzt man Glauben und Religion. Tauchen doch
Zweifel auf, fo wagt man nicht, fie auszudenken. Wie
der Ultramontane kein eigenes Gewiffen im vollen Sinne
des Wortes hat, fondern das Gewiffen des Beichtvaters
für ihn höchfte ethifche Inftanz ift, fo hat er auch keinen
eigenen Verftand, fobald religiös-theologifche Fragen
in Betracht kommen. Sein Verftand ift die .Kirche'. Mit
Schärfe hat der Verfaffer diefe betrübenden Wahrheiten
ausgefprochen und bewiefen. Übrigens können auch
manche evangelilch-theologifche Kreife diefe Abfchnitte
der Wielandfchen Schrift über das Widerfinnige fo vieler
.chriftlichen' Lehren mit großem Nutzen lefen. Welcher
Ballaft und welche Torheiten werden auch dort noch
als .Theologie' und ,Heilswahrheiten' befinnungslos mit-
gefchleppt. In Einem irrt der Verfaffer aber gründlich.
Sein wiederholt ausgefprochenes Bekenntnis zum katholifchen
Glauben, ja felbft zum Glauben an die .Unfehlbarkeit
' des Papftes ift kraffe Selbfttäufchung. Mit beiden
Füßen, mit Kopf und Herz fteht er weit außerhalb diefes
Glau b ens-Kreifes.

Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroech.

Cotlarciuc, Bibl.-Aman. Kathedr.-Diakon D. Dr. Nico.:
Das Problem der immateriellen, geiltigen Seelenfubltanz.

Ein Beitrag zur Rechtfertigg. u. Löfg. diefer Frage m.
befond. Rückficht auf den gegenwärt. Stand der Phi-
lofophie u. der Naturwiffenfchaften. (Studien zur Phi-
lofophie u. Religion. 6. Heft.) Paderborn, F. Schöningh
1910. (XI, 266 S.) 8° M. 6 —

Man muß dem Verf., einem erzbifchöflichen Kathedraldiakonen
in der griechifch-orthodoxen Erzdiözefe der
Bukowina, bezeugen, daß er zu diefem Buche mit ungewöhnlichem
Fleiß aus den verfchiedenften Gebieten, zumal
der neueren und neueften deutfchen Philofophie und
Naturwiffenfchaft, Material zufammengetragen hat. Doch
vermißt man bei der Bearbeitung noch die nötige Freiheit
und Sicherheit. ,Das fagt diefer berühmte Philofoph',
,fo lieft man bei jenem bekannten Naturforfcher', auf folche
Weife werden die Zitate an einander gereiht, und häufig
wüßte man gern Genaueres darüber, wie der berühmte
Philofoph und der bekannte Naturforfcher ihre Behauptungen
begründen. Weniger Namen aber ein tieferes Eindringen
in die verfchiedenen Weltanfchauungen und Anflehten
würde dem Buche einen größeren Wert verliehen
haben. Das trifft befonders für den erften Teil zu, in
welchem der ,anthropologifche Monismus' in feinen verfchiedenen
Syftemen und Spielarten kurz vorgeführt und
abgefertigt wird. Dabei beruft fich der Verf. mit Vorliebe
auf den gefunden Menfchenverftand oder die .Erfahrung'
(z. B. ,dem Menfchen fpringen förmlich in die Augen
fowohl der Körper als ein in dem lebendigen Körper
waltendes Wefen' S. 34, eine Bemerkung, durch welche
fich der .Idealismus' fchwerlich widerlegt fühlen wird).
In die Erkenntniskritik fcheint C. nicht eingedrungen zu
fein, und damit hat er fich die befte Waffe zur Bekämpfung
des Materialismus, in dem er feinen Hauptgegner
erblickt, entgehen laffen. Daß die Materialiften und
Mechaniften mit ihren Erklärungsverfuchen des Organi-
fchen und Pfychifchen bisher gefcheitert find, daß die
Evolutioniften die von ihnen behauptete Abftammung des
Menfchen aus dem Tierreiche, die dem Verf. befonders
fchrecklich ift, noch nicht zur Evidenz haben bringen
können, wird dagegen ausführlich gefchildert. Im zweiten
Teile des Buches bemüht fich C. feinen .anthropologifchen
Dualismus' zu begründen und vor allem die Subftanzia-
lität der immateriellen, geiftigen Seele zu erweifen. Kant
und die moderne .Aktualitätspfychologie' (Wundt u. a.)
müffen ihm dabei als Eideshelfer zur Seite flehen, wiewohl