Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1911

Spalte:

28-29

Titel/Untertitel:

Gutenberg-Gesellschaft. Neunter Jahresbericht 1910 1911

Rezensent:

Drews, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

2/

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. r.

2^

,höhere', diefe die ,niedere' Theologie zu ftudieren.
Zur höheren Theologie gehört vor allem die fpekulative
Theologie, fodann die hebräifche Sprache und das
Kirchenrecht mit den inflitutiones imperiales; die Studienzeit
umfaßt 4 Jahre und ift unerläßlich für die
Erlangung des Doktorgrades. Die niedere Theologie,
die jedoch auch von den ,theologi speculativi' gehört
werden muß, wird in 2 Jahren von den ,theologi morales'
abfolviert und umfaßt Moraltheologie, Bibelftudium, Polemik
, Kirchengefchichte, Rhetorik; fie reicht für den
gewöhnlichen Klerus aus. Der Studienplan begegnete
von vornherein großer Abneigung; die Bifchöfe wußten
den Befuch der Univerfität zu hintertreiben, dazu kam
die Tendenz, die Univerfitäten unmittelbar unter die
Leitung der Regierungsgewalt zu ftellen und das Studium
möglichft fruchtbar für das Staatsintereffe zu machen;
daher die Verordnungen, die Theologen müßten das
Kirchenrecht bei Juriften hören und auch die Polizei-,
Handlungs- und Finanzwiffenfchaft ftudieren, auch fich
um Induftrie und Landwirtfchaft bekümmern u. dgl. mehr.
Daß aber der rechte Ubergang von der Univerfität
zum praktifchen Leben durch Studium der praktifchen
Theologie nicht berückfichtigt wurde, machte den Studienplan
für die Kirche erft recht unbrauchbar.

Ein wefentlicher Fortfehritt wurde durch die Ernennung
Rautenftrauchs, des Prälaten von Braunau, zum
Direktor der theologifchen Fakultät zu Prag 1774 inauguriert
. Die Teilung der Studierenden in .beffer talentierte
' und ,minderbegabte' wurde aufgehoben, die Studienzeit
für jeden Kleriker auf fünf Jahre feftgefetzt und
eine Reihe neuer Fächer: theologifche Literärgefchichte,
biblifche Hilfswiffenfchaften, Moral als wiffenfchaftliches
Fach und getrennt davon die Paftoral als felbftändige
Disziplin wurden eingeführt. Noch im Jahre 1774 wurde
mit dem erften Kurfus (Enzyklopädie, Kirchengefchichte,
hebräifche Sprache und Exegefe der A. Teft.) begonnen;
1775 folgt der zweite Kurfus (Hermeneutik, die griechi-
fche Bibelfprache, Exegefe des N. Teft., Patriftrik und
theologifche Literärgefchichte), 1776 der dritte und
vierte Kurfus (geiftliche Moral, Dogmatik, Kirchenrecht),
1777 der fünfte Kurfus (Polemik, praktifche Moral und
Paftoral). Das Jahr 1777 ift alfo das Geburtsjahr der
Paftoraltheologie als felbftändiger Disziplin in Öfter-
reich. Das ganze fünfte Studienjahr ift der Paftoraltheologie
gewidmet; fie gliedert fich in Asketik, Ka-
techetik, Homiletik, Kafuiftik, fpezielle Seelforge oder
Hodegetik und Einübung der liturgifchen Handlungen.

Es koftete fchwere Kämpfe, bevor fich der Studienplan
Rautenftrauchs durchfetzte. Die in der Tat
nicht feiten fchweren Übergriffe des Jofephinismus vom
ftaatlichen auf das kirchliche Gebiet und die unverhohlene
Anhängerfchaft Rautenftrauchs an dem neuen
Kurs, die nur teilweife berechtigte Oppofition der Bifchöfe
und der Mangel an aller Literatur für die Paftoraltheologie
bildeten große Hinderniffe. Nach mancherlei
Modifikationen wußte Rautenftrauch über die Wider-
ftände Herr zu werden; er ift es auch, der in feinem
,tabellarifchen Grundriß der Paftoraltheologie' ein Werk
fchuf, das der Hauptfache nach bis heute in Öfterreich
maßgebend geblieben ift.

In dem dritten Teil des Werkes ift vor allem die
eingehende Bibliographie der Lehrbücher der Paftoraltheologie
hervorzuheben. Die Weiterbildung der Disziplin
knüpft befonders an die ,Vorlefungen aus der
Paftoraltheologie' von J. M. Sailer an; es ift ein wirklicher
Fortfehritt in der wiffenfehaftlichen Haltung, die
in dem neueften Werke von Krieg: Die Wiffenfchaft der
fpeziellen Seelenführung vorläufig ihren Höhepunkt erreicht
hat. Von der Paftoraltheologie wird die praktifche
Theologie genau unterfchieden, jene ift ein Teil von diefer.
Unter Praktifcher Theologie wird die Theorie der ,Tätig-
keitsäußerungen der Kirche zum Zweck des Sichfelbft-
erbauens als für fich felbft beftehender Gefellfchaft'

verftanden; fie befteht 1) aus der kirchlichen Diplomatie,
2) aus dem Kirchenrechte im engeren Sinne, 3) aus der
Paftoraltheologie. In diefer repräfentiert fich die Kirche
Gottes felbft als feelenfuchende (Homiletik, Katechetik),
als feelenrettende (Liturgik) und als feelenheiligende
(Hodegetik). Diefe dreifache Tätigkeit wird namens der
Kirche von dem Priefter vollzogen, der durch fie das
dreifache Amt Chrifti, das prophetifche, priefterliche,
königliche, verwaltet und fortführt; denn der Priefter ift
,der fortgefetzte Chriftus', der zweite Chriftus, der Mann
Gottes, in feiner Perfon hoch über alles Gemeine erhaben.

Inwieweit die dargelegte Entwicklung der Praktifchen
Theologie überhaupt und der Paftoraltheologie im befon-
deren, namentlich in ihren neueften Phafen, von Arbeiten
auf proteftantifcher Seite beeinflußt ift — ich erinnere an
die Definition der Pr. Th. als Lehre von der Lebensbetätigung
der Kirche zu ihrer felbft Erbauung, an das
Beftreben, die Pr. Th. in allen ihren Disziplinen von
der Wefensbeftimmtheit der Kirche aus verftändlich zu
machen — kann hier nicht unterfucht werden. Der gegen-
fätzliche Unterfchied der römifchen und der evangelifchen
Kirche drängt fich gerade in der Praktifchen Theologie
überwältigend auf, fo fehr, daß man fich oft auf der
Frage ertappt, ob das, was dort über die übernatürliche
Herrlichkeit der römifchen Kirche und des Prieftertums
vorgebracht wird, von ernften Leuten ernft gemeint fein
kann; allein das foll uns nicht hindern, von einander zu
lernen und ehrliches Streben freudig anzuerkennen. Das
Werk Dorfmanns, felbft ein Zeugnis erfolgreichen Studiums
, eröffnet einen wertvollen Blick in das rege und
vielgeftaltige Streben in der römifchen Kirche, die Praktifche
Theologie, infonderheit die fog. Paftoraltheologie,
zu wiffenfehaftlicher Höhe emporzuheben.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Referate.

Weinel, Prof. Dr. Heinrich: Die Gleichlliffe JelU. Zugleich eine Anleitung
zu einem quellenmäßigen Verftändnis der Evangelien. Dritte ver-
beflerte Auflage (n.—16. Taufend.) (Aus Natur und Geifteswelt.
46. Bändchen.) Leipzig, B. G. Teubner 1910. (VI, 136 S.) 8»

M. 1 —; geb. M. 1.25
Die 1. Aufl. erfchien 1904, die 2. Aufl. 1905. W. hat, wie das Vorwort
bemerkt, die inzwifchen erfchienenen Rezenfionen von Jülicher, Jordan,
Schmiedel und Ludwig Köhler gewiffenhaft benutzt. Dem mehrfach
ausgefprochenen Wunfeh, das Büchlein zu einer vollftändigen Erklärung
der Gleichniffe auszuweiten, hat er nicht entfprochen, fondern nur dem
an Ende abgedruckten Text der Gleichniffe einige wenige, ganz kurze,
erklärende Anmerkungen beigefügt. So ift diefe verbefferte Auflage kaum
vermehrt. Im übrigen verweifen wir auf die Befprechungen in diefer
Zeitung 1904, Sp. 458 und 1905, Sp. 674. Schufter.

Mayer, Domhr. Prof. Dr. Joh. Georg: Geichichte des Bistums Chur.

(In 16 Lieferungen.) Stans, H. von Matt & Co. 1907 fr.
Bei der bedeutfamen Rolle, die das Bistum Chur in der Vergangenheit
, namentlich im Mittelalter, gefpielt hat, und bei dem regen Intereffe,
das neuerdings den Bistumsgefchichten zugewandt wird, ift eine auf Grund
der Quellen ausgearbeitete Gefchichte des Bistums Chur ohne Frage ein
Defiderium. Daher ift das auf 2 Bände (16 Lieferungen) berechnete Werk
Mayers zu begrüßen. Vorläufig mag ein kurzer Hinweis auf dies Buch (von
dem foeben Bd. I vollendet ift) genügen; eine Kritik foll alsbald nach dem
Abfchluß des Werkes in diefem Blatte erfcheinen. Karl Heuffi, Leipzig.

Gutenberg-GefelliChaft. Neunter Jahresbericht. Mainz, K. Theyer 1910.
gr. 8° Nur für Mitglieder.

Enthält: Schottenloher, Hof- und Staatsbibl.-Kuft. Dr. Karl: Die
liturgifchen Druckdenkmäler in ihrer Blütezeit. Vortrag, gehalten am
26. Juni 1910. (S. 31—46.)
Dr. Karl Schottenloher macht auf einen von der Buchdruckergefchichte
faft ganz überfehenen fehr intereffanten Zweig des erften Buchdrucks
aufmerkfam. Der Druck liturgifcher Bücher gewann feit der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts eine überrafchend reiche Ausdehnung. Nicht
allein wurden außerordentlich zahlreiche Drucke hergeftellt, auch die
Ausdehnung der Druckorte nahm überrafchend überhand. Werkftätten
auf deutfehem Boden, die fich mit diefem Zweig des Buchdrucks befaßten,
finden wir in Lübeck, Mainz, Bamberg, Nürnberg, Augsburg, Speyer,
Bafel, Leipzig, Wien. Bald bildeten die Miffale, Breviere und Ritualbücher
auch eine vorzügliche Abfatzware für den Buchhandel, für deffeu Entwicklung
fie ebenfo von Bedeutung wurden, wie für die der Typenkunft und
des Buchfchmucks. Mit der Reformation verfällt diefer Zweig der Buch-
druckerkunft.