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Ausgabe:

1911 Nr. 16

Spalte:

490-492

Autor/Hrsg.:

Deimel, Theodor

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichtliche Apologie 1911

Rezensent:

Rinn, Heinrich

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489 Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 16. 490

Bergpredigt bei Mt. und Lk. gegeneinander ausfpielt, mit
jüdifchen Parallelen Bergpredigt und Vaterunfer abtun
will ufw. Noch ärger diskreditiert den Verfaffer fein Er-
ftaunen darüber, daß ,Petrus fein Verleugnungsverbrechen
mit keinem Wort erwähnt' (S. 102) und feine Entdeckung,
daß I. Kor. 14,34f. auf .Kirchen' angefpielt werde ,zu
einer Zeit, wo es nicht denkbar ift, daß die Sekte in
Korinth „Kirchen" gehabt haben könne' und daß I Kor.
14,37 eine .feltfam dunkle Anfpielung' auf „Propheten"
ftehe (S. 116). Wieviel von den Mängeln des Buches dem
offenbar recht beträchtlichen Ungefchick des Überfetzers,
wieviel dem Druckfehlerteufel zuzufchreiben ift, entzieht
fich an den genannten wie an den noch zu nennenden
Stellen meiner Kenntnis — und fo notiere ich lediglich
noch, daß von den erften Korintherbriefen (93. 116) und
den Galaterbriefen (4) die Rede ift, daß der Stifter der
Tübinger Schule Bauer genannt wird (220 A. 7 und wohl
auch I02f.) und die Zahl der ,17 Jünger' mit der jüdifchen
Vorftellung von ,17 Nationen' (S. 100; bald darauf heißt
es richtig 70) in Zufammenhang gebracht wird. Und fo
muß ich, da wir einmal beim Exterieur find, auch noch
über das fprachliche Gewand des Buches Klage führen
und bemerken, daß die Überfetzung in einem miferablen
Deutfch abgefaßt ift. Der Verlag Diederichs hat fich fo
viele Verdienfte um die Kultur des Buches erworben; es
entfpricht wahrlich feiner Tendenz nicht, wenn er in der
bekannten guten Ausftattung ein Buch in die Welt fchickt,
deffen Text alle Kultur der Sprache in erfchreckender
Weife verleugnet.

Berlin. Martin Dibelius.

Carus, Dr. Paul: Die Erfüllung (Das Pleroma). Eine Unter-
fuchg. üb. den Urfprung des Chriftentums. Aus dem
Engl, überf. v. Dr. W. Breitenbach. (VII, 173 S.) 8°.
Leipzig, J. A. Barth 1910. M. 3 —

Carus hat in Monift und Open Court eine Reihe von
Auffätzen über den Urfprung des Chriftentums veröffentlicht
. Eine zufammenhängende Darfteilung gibt das vorliegende
Buch. Die religiöfe Wärme, die fich in ihm,
namentlich im Schlußwort ausfpricht, berührt fehr angenehm
. Aber zu lernen ift aus dem Buche nichts. Das
Problem, das die Verkündigung Jefu bildet, wird C. trotz
feiner Ausführungen S. 133 ff. gar nicht klar. Eigene
fchürfende Arbeit in dem fchweren Material der Religions-
gefchichte tritt wenig hervor. C. arbeitet dilettierend
wefentlich mit den Ergebniffen anderer. Von der Art,
wie er Fragen der Ntlichen Literarkritik und Religions-
gefchichte löft, mögen zwei Stellen feiner Schrift eine
Anfchauung geben. S. 142 erfährt der Lefer, daß das
Mk.-ev. den älteften Bericht über den gefchichtlichen
Jefus enthält. Es fetzt ein älteres Evangelium, den
fog. Proto-Mk., voraus, das den drei fynoptifchen Evangelien
als Quelle diente, und beruht feinerfeits auf noch
älteren Dokumenten, den Logia und andern perfönlichen
Erinnerungen an Jefus. S. 58 wird die Frage nach dem
Urfprung der älteften chriftlichen Verkündigung folgendermaßen
gelöft: Das Chriftentum hat fich aus der zabi-
anifchen Bewegung entwickelt, Jefus wurde von dem
Führer der Zabianer in Paläftina getauft und er war ein
Nazarener. Noch nach dem Tode Jefu wurden die Chriften
in Jerufalem Nazarener genannt. Das folgt aus Apgfch.
24, 5. Es ift unbedingt ausgefchloffen, daß Nazarener
einen in Nazareth geborenen Menfchen bedeutet; das
Wort muß vielmehr der Name einer Sekte fein, deren
Mitglied Jefus war, einer Sekte, deren Hauptfitz nach der
Zerftörung Jerufalems in Pella war und die von Epipha-
nius und Hieronymus erwähnt wird.

Wien. Rudolf Knopf.

Günter, Prof. Heinrich: Die chriltliche Legende des Abendlandes
. (Religionswiffenfchaftliche Bibliothek, hrsg. von
Streitbergu.R.Wünfch. 2.Band.) Heidelberg,C.Winter
1910. (VIII, 246 'S.) 8° M. 6.40; geb. M. 7.20

Ein feines Buch, in dem G. feine 1906 erfchienenen
Legendenftudien vertiefend zufammenfaßt und befonders
nach feite der Quellenfrage ergänzt. Er fieht in der
Legende ,die mit einer hiftorifchen oder erdichteten Hei-
ligengeftalt oder religiöfen Sache in der Form der Ge-
fchichtserzählung verknüpfte verchriftlichte Völker-Vorftellung
von dem Verhältnis des Menfchen zum Über-
finnlichen' und geht nun diefem Gemeingut des Volks
und der Völker, wie es fich zuletzt in der chriftlichen
Legende des abendländifchen Mittelalters niedergefchlagen
hat, nach. Statt eines Motiven-Repertoriums in der Art
Toldos fleht voran eine Analyfe dreier Beifpiele, der
Legende des h. Nikolaus von Trani, des irifchen Keivin
von Glendalough und der Marienlegende; ihr fchließt fich
eine analoge Uberficht über die Legendenzüge in Pau-
fanias Periegefen, Konon's Diegefen u. ä. Werken des
Hellenismus an. Ein glücklicher Griff, die Gleichartigkeit
beider Ideenwelten zu veranfchaulichen. Der Verf. hätte
nur fo fortfahren und uns Überfichten über das Material
im Talmud, in der indifchen, ägyptifchen und fonftigen
Literatur bieten follen: ftatt deffen verflicht er in die
einzelnen talmudifchen Motive gleich die chriftlichen
Parallelen und gelangt fo zu dem fehr anfechtbaren Schluß,
daß das Judentum die Vermittlung der Motive an die
chriftliche Legende beforgt habe. Von einem Einfluß
der orientalifch-chriftlichen Legendenentwicklung auf das
Abendland will er vor dem 7. Jahrhundert nichts wiffen;
dann aber leitet er, jede Kontinuität mit den älteren la-
teinifchen Apokryphen, wie fie die Priszillianiften benutzten,
leugnend, den Auffchwung der Legende im Frankenreich
ganz aus orientalifchen Einflüffen her. Dabei ift die
Stellung und der Einfluß des fog. Gelafianifchen Dekrets
weit überfchätzt: diefes wirkt nicht im 6., fondern erft im
8. und 9. Jahrhundertl Sehr fein zeigt G. an den Legenden
der gallifchen Apoftelfchüler, wie ein Motiv, einmal
aufgenommen, fofort zur Nachahmung und Weiterbildung
reizt. Indem er aber die Legendenfchreiber (trotz
feiner fehr guten Unterfuchungen über deren Wahrhaftigkeitsgefühl
und kritifchen Sinn) möglichft als Treuhänder
des Volksbefitzes an Legendenmotiven auffaßt, kommt
das literarifche Plagiat, das in der Legende eine fo große
Rolle fpielt, nicht zu feinem Recht. Hier hat m. E. Dele-
haye fchärfer gefehen. Man muß deutlich unterfcheiden
zwifchen literarifcher Kopie und Flatterlegende.

Erfchüpfen kann und will ein folches Buch nicht: aber daß dem
Verf. die byzautinifche Legende vom biirgfchaftleiftenden Chriftusbild
nicht gegenwärtig war, macht fich S. 72 recht fühlbar; zu S. 80 Zuflucht
im Fels vgl. den Schluß der Theklalegende; zu S. 83 Wicderlebendig-
werden des Huhns im Topf s. Judas Ifcharioth; zu S. 89 Tilgung der
Schuldfchrift Kaifer Theophilus, dazu Byz. Z. XVIII 92 A. 2.

Breslau. von Dobfchütz.

Deimel, Real-Obergymn.-Relig.-Prof. Dr. Thdr.: Kirchen-
gelchichtliche Apologie. Sammlung kirchengefchichtl.
Kritiken, Texte u. Quellen auf apologet. Grundlage.
(XIX, 395 S.) gr. 8°. Freiburg i/B., Herder 1910.

M. 440; geb. M. 5 —

In der erften Abteilung diefer Sammlung, ,Altertum'
überfchrieben, haben wir zunächft Quellenftücke, einzelne
in Urfprache und Überfetzung, die meiften nur in Überfetzung
. Daneben finden wir abgeleitete Quellen: aus
des Katholiken Weiß Weltgefchichte Abfchnitte über ,die
Eroberung und Zerftörung Jerufalems', über ,die Entartung
und Entnervung der Römer, die Urfachen ihres Falles'
u. a. Von proteftantifchen Gefchichtswerken hat der
Verfaffer für diefe Zeit fehr oft Webers Weltgefchichte
ausgezogen, außerdem Rankes Weltgefchichte, öfters

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