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Ausgabe:

1911 Nr. 16

Spalte:

485-486

Autor/Hrsg.:

Procksch, Otto

Titel/Untertitel:

Die kleinen prophetischen Schriften vor dem Exil 1911

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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485

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 16.

486

(liefern Gebiete, wenu man fich die Zeit und Mühe nicht verdrießen läßt, fie
bis auf den Grund nachzuprüfen. Sie find oft verblüffend, aber nicht ftich-
haltig, und es ift fchade um den großen Scharffinn, den Winckler an die
Erzeugung folcher Luftgebilde wendet.

Straßburg i. E. Friedrich Küchler.

Prockfch, Prof. D. P.: Die kleinen prophetifchen Schriften
vor dem Exil. (Erläuterungen z. A. T. 3. Tl.) (175 S.)
gr. 8°. Calw u. Stuttgart, Vereinsbuchh. M. 2—;

geb. M. 2.75

Es ift mehrfach und mit Recht als eine der dringend-
ften Aufgaben der Theologie der Gegenwart bezeichnet,
unfern Gemeinden das gefchichtliche Verftändnis der
Schrift zu vermitteln, weil nur fo die Möglichkeit gegeben
ift, die verhängnisvolle Spannung zwifchen unferer Gemeindeorthodoxie
und der Theologie zu befeitigen und
unferen Gemeinden die Einficht in eine der fundamental-
ften Forderungen des Proteftantismus zu erfchließen.
Seitens der Vertreter der wiffenfchaftlichen Theologie find
allerlei Verfuche, diefer Aufgabe gerecht zu werden, gemacht
, feitens der kirchlichen Vereine, welche die Vertiefung
des Schriftverftändniffes anftreben, ift bei uns fo
gut wie nichts gefchehen: man gefteht, wenn man unter
fich ift, es offen ein, daß die Stellung der Orthodoxie vergangener
Zeiten zur Schrift für uns unmöglich ift, daß
die in der Gemeinde lebenden Vorftellungen von der
Schrift unhaltbar find, aber man ift zu ängftlich, um die
heikle Aufgabe in die Hand zu nehmen, weil man diefe
Gemeindeorthodoxie fürchtet und mit ihr rechnet. Nur
die Schwaben machen eine rühmliche Ausnahme, die Calwer
Vereinsbuchhandlung hat angefangen Erläuterungen
zum Alten Teftament herauszugeben, die diefer vorher
berührten Aufgabe dienen follen. Oettli hat mit der Erklärung
des Hiob begonnen, Koeberle hat das Buch Jerem-
ja erklärt und Prockfch ift mit feiner Erläuterung der
vorexilifchen kleinen Propheten in ihre Arbeit eingetreten,
denn Koeberle ift leider durch einen frühen Tod uns ent-
riffen und Oettli in feiner Gefundheit fchwer erfchüttert.
Die Aufgabe P.s war keine leichte, denn hier handelte
es fich nicht nur wie bei Jeremja um eine einzelne Per-
fönlichkeit, fondern um fehr verfchieden geartete Geifter;
auch die Texte, die in Betracht kommen, bieten nach
fprachlicher wie exegetifcher Seite fo große Schwierigkeiten
wie kaum eine andere prophetische Schrift. Erwägt
man all das, fo muß man bei billiger Beurteilung
zugeben, daß P. ein durchaus brauchbares Buch gefchaffen
hat: die Ueberfetzung fucht der Eigenart des Orginals,
auch nach der formalen Seite, gerecht zu werden, die
Erläuterungen find knapp gehalten, ohne eigentlich erbauliches
Beiwerk, aber von warmem religiöfen Geift getragen
; nirgend machen fich außerhalb der Sache liegende
Gefichtspunkte ftörend geltend, fondern P. verfocht es,
den Text aus fich heraus feinen Lefern verftändlich zu
machen, und verfchmäht zu diefem Zweck da, wo es ihm
notwendig fcheint, auch die Mittel der Kritik nicht. Die
S. 169—172 geben die zur Kontrolle feiner Üeberfetzung
nötigen textkritifchen Anmerkungen, die nicht einmal das
gefamte Material enthalten, vgl. z. B. zu Hof 10, 13. In
ziemlich weitem Umfang macht P. von dem Mittel der
Umftellung der Vv. Gebrauch; nicht wenige Vv. bean-
ftandet er als urfprünglich, vgl. Z. B. zu Hof. 2, 1—3,
wo P. treffend heraushebt, daß Hofea für Judas Zukunft
wenig Intereffe hat: ,fein Ephraim war ihm Alles',
ein Gedanke, dem er in der Folge freilich nicht recht Rechnung
trägt. Bei anderen größeren Abfchnitten wie z. B.
Mich. 4 u. 7, 8 ff. hält er mit feiner Anfchauung nicht zurück
, daß fie mit den Verfaffern, denen fie durch die Tradition
zugefchrieben werden, nichts zu tun haben; treffend
wird auch auf die Bedeutung von Stellen wie Am. 5,25
Hof. 8, 12 für die Frage nach dem Wefen des Mofaismus
und für die Pentateuchkritik hingewiefen.

Wenn ich diefen anerkennenden Worten einige Aus-

ftellungen hinzufüge, fo mag P. fie lediglich als Beweis
des Intereffes anfehen, mit dem ich feine Arbeit gelefen
habe. Nach dem Titel des Buches und der Ausführung
S. 8 will P. eine Erklärung der vorexilifchen kleinen
Propheten geben, die durch einen greifbaren Unterfchied,
nämlich durch die Stellung zur Gefchichte ihrer Zeit, von
denen der nachexilifchen Zeit getrennt find. S. 157 ff. dagegen
vertritt P. die Plypothefe Duhms, daß das Buch
Habakuk es mit Alexander M. zu tun habe und z. B. c.
1, 1 —11 nach der Schlacht bei Iffos 333, als den Make-
donen die Pforte nach Syrien und Paläftina offenftand,
gefchrieben fei. Ich kann nur annehmen, daß P. erft
nach begonnenem Druck auf die Seite Duhms getreten
ift. Daß diefe Hypothefe wirklich eindringender Kritik
ftandhält, daß fie namentlich der von den meiften Exe-
ten vertretenen Erklärung überlegen ift, weil fie uns die
Möglichkeit gibt, das Buch als einheitliches Ganze zu begreifen
, muß ich nach wie vor beftreiten. Die Einleitung
zu Nahum, der von P. um 660 angefetzt wird, läßt die
Frage völlig unberührt, durch welche Zeichen der Zeit
der Proph. zu feiner Ankündigung von dem Untergange
Ninives beftimmt ift, eine Frage, die von der von P. vertretenen
Auffaffung der Propheten aus eine Beantwortung
forderte. Anfcheinend ift ihm die Arbeit von P. Kleinert
in Stud. und Krit. 1910 S. 501 ff. unbekannt geblieben,
fie hätte P. vielleicht zu einer Modifikation beftimmt: Kl.
fetzt die Prophetie um 650 an und fieht fie durch den
Aufftand des Samuges gegen feinen Bruder Sardanapal
veranlaßt, vgl. Schräder KA, T- S. 369 f. und Keilinfchrift-
liche Bibliothek II, 182 ff. 195. 205. 218. 262. Sehr zweifelhaft
fcheint es mir auch, ob wir berechtigt find, Hofea
als noch zur Zeit des Pekach wirkend anzufehen, irgend
welche ficheren Anzeichen, die uns in die Wirren des
fyrifch-ephrämitifchen Krieges führen, fehlen durchaus.
Daß die Erklärung diefes Propheten befonders oft den
Widerfpruch herausfordert, ift bei der Fülle der Schwierigkeiten
, die dies Buch bietet, nur zu begreiflich. Öfter
will es dem Ref. fcheinen, als laffe P.s Darlegung die
Unbefangenheit vermiffen, die an anderen Stellen fehr erfreulich
hervortritt. Mit Recht verweift P. z. B. zum Verftändnis
von Hof. 14,4 auf Jef. 31, 1 ff. Liegt die Sache
aber fo, daß 14,4 ohne Jef. 31, 1 nicht verftändlich ift, dann
ift doch wohl der Schluß nicht zu umgehen, daß Hof.
14, 2 ff. fo nicht von dem Proph. herrühren kann. Vor-
urteilslofe Beurteilung von 8,1 hätte P. wohl auch vor
der Behauptung bewahrt, daß das die erfte prophetifche
Stelle fei, in der der Sinaibund ausdrücklich erwähnt
werde. Ähnlich liegt die Sache mit Hof. 4, 2, wo P. den
Beweis dafür findet, daß Hofea den Dekalog gekannt
und als Grundlage des Rechts gewertet hat: hier hat P.
einfach in den Text hineingelefen, was er, durch andere
Momente beftimmt, für richtig hält. Doch genug, die
Arbeit bleibt trotz alledem eine erfreuliche Erfcheinung,
die wohl geeignet ift, ihre Aufgabe zu erfüllen.

Straßburg i. E. W. Nowack.

Künftlinger, Dr. David: Altjüdifche Bibeldeutung. Berlin,
M. Poppelauer 1911. (36 S.) Lex. 8° M. 3 —

Das genannte Schriftchen behandelt nicht, wie man
dem Titel zufolge erwarten follte, die ,altjüdifche Bibeldeutung
' nach ihrem Wefen, oder ihrer Entwicklung oder
ihrer Methode, fondern es ,will vermutungsweife den ur-
fprünglichen Bau, die Morphologie jener Pethihoth eruieren
, die, umgemodelt und verunftaltet, jetzt die erfte
Pisqa (der Pefiqta de Rab Kahana) ausmachen' (Vorrede
S. 1). Bei der Schwerfälligkeit und Verfchwommenheit
der Darftellung wird es nicht leicht, die Vermutungen des
Verfaffers klar und fcharf wiederzugeben. Er denkt fich
den Sachverhalt etwa folgendermaßen: Urfprünglich exi-
ftierten in der agadifchen Literatur nur Einzeldeutungen
aus den Einzeldeutungen wurden Komplexe so zufammen-
geftellt, daß fie 111 ihrer Vereinigung die Deutung eines

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