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Ausgabe:

1911 Nr. 15

Spalte:

473

Autor/Hrsg.:

Simon, Theodor

Titel/Untertitel:

Moderne Surrogate für das Christentum 1911

Rezensent:

Scheibe, Max

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473

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 15.

474

Weife ermöglicht. Denn auch den Vorteil hat man nicht
von einem Studium diefes erften Bandes, dadurch wenig-
ftens von irgend einer verbreiteteren Zeitbewegung einen
charakteriftifcheren Eindruck zu gewinnen; dazu ift Reich
zu fehr ein Mann eigener Anfchauungen. Daß er, namentlich
in der Negation, Beherzigenswertes fagt, fei dabei
gerne anerkannt.

Den 2. Band geftehe ich offen nicht gelefen zu haben,
nachdem ich mich aus dem Inhaltverzeichnis überzeugt
hatte, daß er von derfelben Befchaffenheit ift, wie der erfte.

Gnadenfeld. Th. Steinmann.

Simon, Konfift.-R. Lic. Dr.: Moderne Surrogate für das Chrilten-

tum. (Beiträge zu Konfervativer Politik und Welt-
anfchauung. Heft 2.) Berlin, R. Hobbing (1910). (23 S.)
kl. 4° M. —40

Simon unterzieht die Richtungen des Monismus, des
Buddhismus und des Nietzfchetums einer kurzen kritifchen
Betrachtung, fofern fie fich als Erfatz für das Chriftentum
anbieten, erfterer mehr nach der theoretifchen Seite der
Weltanfchauung, die anderen mehr nach der praktifchen
der Lebensweisheit. Den Monismus berückfichtigt Simon
nur in feiner naturaliftifchen, Haeckelfchen, Geftalt; die
damit gegebene Aufhebung aller Wertbeurteilung fowie
die unkonfequenten Anleihen beim idealiftifchen Monismus
werden richtig gekennzeichnet. Bei der Befprechung
des Buddhismus wird Schopenhauers und der theofo-
phifchen Bewegung, bei der Nietzfches der Hornefferfchen
Kulturpartei mit ein paar Worten gedacht. Auch diefe
weiteren Ausführungen enthalten treffende Bemerkungen,
nur hätten die fittlichen Grundfätze der Theofophie doch
auch eine pofitive Würdigung verdient, und ferner ift es
auch vom Standpunkt Buddhas felbft trotz feiner Zurück-
ftellung des volkstümlichen Götterglaubens nicht zutreffend,
den Offenbarungscharakter des Buddhismus zu beftreiten;
denn die Erleuchtung, die dem Buddha zuteil geworden
ift, entfpricht doch dem, was wir unter Offenbarung im
Unterfchiede von ,bloß menfchlicher Weisheit' verftehen.
Endlich ift bemerkenswert, wie entfchieden in diefem
,Beitrage zu konfervativer Politik und Weltanfchauung'
der Theologie die Aufgabe geftellt wird, wirkliche Errungen-
fchaften der modernen Wiffenfchaft fich anzugliedern und
berechtigte Strömungen des modernen Lebens zu berück-
fichligen.

Leipzig. M. Scheibe.

Glaue, Priv.-Doz. Lic. P.: Das kirchliche Leben der evange-
lirchen Kirchen in Thüringen. Dargeftellt m. Unterftützung
von Pfr. Joh. Füßlein. Mit 1 (färb.) Karte der thürin-
gifchen Staaten. (Evangelifche Kirchenkunde. 5. Teil.)
(XVI, 413 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1910.

M. 8—; geb. M. 9.20

Über Recht und Ausführbarkeit des ganzen Drews-
fchen Unternehmens, das gegenwärtige Leben der deut-
fchen evangelifchen Landeskirchen zufammenhängend
darzuftellen, längere Erörterungen anzuftellen, erübrigt fich,
denn vor dem Angefleht derer, die beides noch immer
leugnen, find nun fchon die kirchlichen Bilder Sachfens
(von Drews), Schlefiens (von Schian), Badens (von Ludwig),
Bayerns (von Beck) und nun auch Thüringens von Glaue
gezeichnet worden. Ich gehöre zwar auch zu denen,
deren Betlenken gegen diefe Darftellungen keineswegs
ganz gehoben find. Sie bleiben ein Mittelding zwifchen
Jahrbuch, Statiftik, .Schematismus' (wie der terminus
technicus in der katholifchen Diözefan-Verwaltung lautet)
und Kirchenzeitungs-Artikeln. Beide, Jahrbücher und
Kirchenzeitungen, find an ihrem Platze fehr notwendig;
beide haben ihre mit ihrer Entftehung gegebenen Mängel.
Üie erfteren können und follen Ziffern und Tatfachen in
trockenfter Objektivität bringen, die letzteren dürfen und

können die fubjektivfte Parteilichkeit darftellen. Ein Buch,
das beides vereinigen will, wird von den Mifchlings-Fehlern
wohlgemeffenen Anteil mitbekommen. Aber ich muß
geriehen, daß ich meine Bedenken in dem Grade zurück-
zuftellen mich anfehicke, als ich von den nunmehr er-
fchienenen Büchern profitiere.

Von Glaues .kirchlichem Leben' Thüringens kann
man fehr viel profitieren. Was es auch fei in den kirchlichen
Verhältniffen Thüringens, darüber man fich unterrichten
will, irgendwo finden fich in den acht Kapiteln des
Buches die nötigen Angaben. Die Einteilung ift diefelbe,
wie Drews fie in feinem .Sachfen' angelegt hatte; man
könnte ficherlich den Stoff auch anders gruppieren, aber
ich wage nicht zu behaupten, daß dann Wiederholungen
oder Rückverweifungen weniger häufig fein würden. Und
die praktifche Theologie foll davon abkommen, im Disponieren
ihre Stärke zu fuchen.

In einer Darftellung wie der vorliegenden hat fich
vor allem die Kunft der Befchränkung zu bewähren. So
in Nr. 2 der Einleitung: IGrchengefchichtlich.es. Ein
mehreres hätte hier fofort gezeigt, daß die Schilderung
einer kirchlichen Bewegung Thüringens in die Schilderung
der kirchlichen Bewegung Deutfchlands übergeht. Darum
ift die knappe Begrenzung diefes Abfchnitts befonders
lobenswert. Vielleicht hätte hier unter der Literaturangabe
die Zeitfchrift des Thüringer Gefchichtsvereins fchon
ihren Platz finden follen; denn wer z. B. durch die Aufzählung
der übergroßen Zahl der thüringifchen Klöfter
in vorreformatorifcher Zeit (S. 15) Luft verfpürt, mehr zu
erfahren, müßte hier lefen, daß der 8. Band, S. 1 ff. diefer
Zeitfchrift ihm eine erfchöpfende Darfteilung bietet.

Die größte Schwierigkeit — fo bekennt Glaue felbft —
bei Bewältigung feiner Aufgabe bot ihm die durch die
politifche Trennung gegebene kirchliche Verfchiedenheit,
man könnte faft fagen: die kirchliche Zerriffenheit Thüringens
. Ein einheitliches kirchliches Bild von Thüringen zu
zeichnen, fetzt eine gewiffe kirchliche Einheitlichkeit voraus
. Gibt es die? Auf der letzten 9. Weimarifchen Landes-
Synode äußerte ein Redner bei der Erörterung eines einheitlichen
Thüringer Gefangbuches: eher könne fich
Deutschland kirchlich einigen, ehe Thüringen kirchlich
einig würde.

Diefer Schwierigkeit ift fich Glaue wohl bewußt; er
weiß fernerhin auch, daß eine Thüringer kirchliche Einigung
und damit ein kraftvollerer Blutumlauf in einem
größeren Körper nur durch kräftigere kirchliche Arbeit
zuftande kommen kann. Aber hier fehlt an den ent-
fcheidenden Punkten einige Male das letzte, fchlagende
Wort. Um mich an einem Beifpiele zu verdeutlichen, fo
hebt Glaue hervor, daß die Weimarifche Synode infolge
Mangels des Rechts, Kirchenfteuer umzulegen, empfindlich
eingeengt fei(S. 157), und er führt auch die auf größere
kirchliche Freiheit und Selbftändigkeit gerichteten Be-
fchlüffe der 8. Synode beifällig an (S. 75). Aber warum
diefe Anfänge ftecken bleiben? — weil man nämlich die
mit folchen hohen Zielen unvermeidlichen Kämpfe fcheut,
und weil man im kirchlichen Thüringen wünfeht, daß die
begehrenswerten Früchte von felbft in den Mund wachfen:
das finde ich nicht mit dürren Worten gefagt. Der Ab-
fchnitt IV Kapitel 1: Die Landeskirchenbehörden und
die Synoden S. 156ff. ift herzerfrifchend deutlich; man
fieht, daß die kirchliche Gebundenheit und daher die kirchliche
Untätigkeit der Thüringer Kirchen infolge der ungelösten
Verfilzung des kirchlichen und ftaatlichen Wefens
viel enger und bedrückender ift als in dem größeren
Preußen, wo die fordernde Not der Zeit mit
folcher Wucht hervortrat, daß die evangelifche Landeskirche
in manchen Beziehungen viel fchneller felbftändiger
werden mußte. Aber daß die Thüringer Geiftlichen in
den Synoden und in den Kirchenräten das noch länger
mit anfehen, — das mußte hier hervorgehoben werden.

Oder ein anderes Beifpiel, daß einige Male das letzte,
fchlagende Wort fehlt: Bei der Aufzählung der in Thü-