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Ausgabe:

1911 Nr. 15

Spalte:

469-470

Autor/Hrsg.:

Scholz, Heinrich (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Schleiermacher‘s Kurze Darstellung des theologischen Studiums. 1. Aufl. 1811, 2. Aufl. 1830 1911

Rezensent:

Kirn, Otto

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469

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 15.

470

Abhandlungen, ohne daß man über deren Inhalt und
Bedeutung immer ausreichend orientiert würde. Mir fcheint,
daß er etwas zu fehr eben auf ruffifche Lefer gerechnet
hat. Die drei letzten Kapitel des vorliegenden Bandes
gelten der rechten Methode der ,theologia polemica'. Erörtert
werden die Aufgabe (natura), die möglichen Fehler,
die nötigen Kenntniffe, die bei diefer ,befonders fchwierigen'
Disziplin in Betracht kommen. Auch hier bietet P., be-
fonders in den Anmerkungen, erftaunlich reiches Material
aus orientalifchen, griechifchen und ruffifchen Quellen.
Was man bei P. nicht erwarten darf, ift ein tiefer eindringendes
hiftorifches Verftändnis der orientalifchen
Kirche. Es ift die Art der ,Scholaftik', in der fich alle
Erörterungen bei ihm bewegen. Aber es ift Scholaftik
guter Art; überall wahrt P. einen würdigen, fachlichen
Ton. Ich hoffe, daß es ihm gelingt, fein groß angelegtes
Werk zu Ende zu führen.

Halle a. S. F. Kattenbufch.

Schleiermacher's Kurze Darfteilung des theologilchen Studiums
. 1. Aufl. 1811, 2. Aull. 1830. Kritifche Ausg.,
m. Einleitg. u. Regifter v. Lic. Priv.-Doz. Heinr. Scholz.
(Quellenfchriften z. Gefch. des Protestantismus. 10. Heft.)
(XXXIX, 134 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Deichert Nachf.
1910. M. 2.50

Es ift mit Dank zu begrüßen, daß in der Stange'fchen
Sammlung nunmehr auch eine neue, zweckmäßig eingerichtete
Ausgabe der Schrift vorliegt, in der Schleier-
macher feine Gefamtauffaffung der theologifchen Wiffen-
fchaft grundfätzlich entwickelt hat. Haben auch manche
ihrer leitenden Gedanken (z. B. die Einordnung der
Dogmatik und Ethik in die hiftorifche Theologie) keinen
Eingang in die wiffenfchaftliche Tradition gefunden, fo
bleibt fie doch ein zukunftsvolles Buch, aus deffen An-
fatzen das Nachdenken über den wiffenfchaftlichen
Charakter der Theologie noch immer die vornehmfte
Anregung zu fchöpfen hat. Die vorliegende Ausgabe ift
eine ,kritifche' nicht in dem Sinn, als ob die Herftellung
des Textes befondere Schwierigkeiten bereitet hätte, wohl
aber infofern, als fie durch Nebeneinanderftellung der
beiden Formen von 1811 und 1830 ein vergleichendes
Studium der Anfangs- und Endgeftalt der Schrift anregen
und erleichtern will. Dabei bildet mit Recht die
ausführlichere Faffung von 1830 den Haupttext, während
die entfprechenden Paragraphen der erften Auflage in
den Anmerkungen mitgeteilt werden. Auf fachliche Erläuterungen
oder vergleichende Bemerkungen ift grundfätzlich
verzichtet, um dem Selbftftudium und der femi-
nariftifchen Behandlung nicht vorzugreifen. Nur einmal
begegnen wir einem Hinweis literarifcher Natur (S. 40)
und wiederholt Berichtigungen und Ergänzungen fprach-
Hchen Charakters (S. 46. 49. 69. 96). Dagegen hat fich
der Herausgeber, dem wir auch eine gehaltvolle Arbeit
über .Chriftentum und Wiffenfchaft in Schleiermachers
Glaubenslehre' verdanken, in einer Fernleitung über Ent-
ftehung und Wirkungen der kurzen Darfteilung aus-
gefprochen. Wenn er im Anfchluß an die Verzeichnung
der Schleiermacher'fchen Vorlefungen über Enzyklopädie
das Vorhandenfein von Nachfchriften verneint, fo ift ihm
Karl Clemens Publikation aus einer folchen in den Theol.
Stud. u. Kr. 1905 entgangen. Die Bedeutung der kurzen
Darftellung fieht Scholz in 3 Punkten: 1) der Deduktion
der Theologie aus einem organifierenden Prinzip, 2) der
Entdeckung der kritifchen Methode, 3) der Einordnung
der Theologie in das Syftem der Geifteswiffenfchaften
(S. XX). Über die Richtigkeit diefer Charakteriftik kann,
was Punkt 1 und 3 betrifft, kein Streit fein. Nicht ganz
fo leicht ift zu erkennen, was mit der Entdeckung der
kritifchen Methode gemeint ift. Scholz verlieht darunter
die Verbindung von Induktion und Deduktion, die In-
einsfetzung von Gefchichte und Spekulation (S. XXVIIIf),

ein für Schleiermacher gewiß charakteriftifches Verfahren,
das man nur nicht als ,die kritifche Methode' fchlecht-
weg zu bezeichnen gewohnt ift und das auch kaum mit
Recht den unter I und 3 genannten Grundfätzen koordiniert
wird, da es nur ein Mittel für ihre Durchführung
darftellt. Auch den Bemerkungen, mit denen der Herausgeber
die Beziehung der theologifchen Wiffenfchaft auf
die Kirchenleitung begleitet, kann ich nicht ganz zuftimmen.
Er beforgt, durch diefe Zweckbeftimmung könnte die
Theologie zur bloßen Technik erniedrigt erfcheinen, auch
werde dabei die Möglichkeit ernfter Konflikte zwifchen
der unabhängigen Eorfchung und den kirchlich geltenden
Normen ignoriert. Deshalb fchlägt er im Sinne einer
Berichtigung vor, die Kirchlichkeit der Theologie in die
Sphäre der ,Gefinnung' zu verlegen und fie aus einem
konftitutiven Prinzip in eine fubjektive Bedingung umzuwandeln
. Hier fcheint mir aber gerade das verkannt
zu werden, was die eigentümliche Größe der Schleiermacher
'fchen Konzeption ausmacht. In der unvollkommenen
Wirklichkeit kann es allerdings Konflikte
zwifchen wiffenfchaftlicher Überzeugung und kirchlicher
Ordnung geben und dabei kann der Fehler ebenfowohl
an dem verkehrten Urteil des Einzelnen wie an der Un-
vollkommenheit der kirchlichen Ordnung liegen. Aber
dies fällt außerhalb der normalen Entwicklung der Theologie
. Deren Beftand fetzt grundfätzlich die Löfung des
Konflikts voraus, nämlich das Glaubensurteil des Theologen
von der Wahrheit des Chriftentums (das .Intereffe
am Chriftentum' § 8. 147) und die Bereitfchaft der Kirche,
ihren Zuftand ftetig dem Ideal der chriftlichen Glaubens-
gemeinfchaft anzunähern, worin eben die fachgemäße
,Kirchenleitung' befteht. In diefem Sinne betrachtet
Schleiermacher die letztere mit Recht als konftitutives
Prinzip der Theologie. Völlig eins weiß ich mich aber
mit dem Herausgeber in dem Wunfeh, daß diefe Gedanken
ein unverlierbares Befitztum unferer Kirche bleiben oder
immer mehr werden möchten.

Leipzig. O. Kirn.

Deußen, Prof. Dr. Paul: Allgemeine Gefchichte der Philo-
fophie m. befond. Berückficht, der Religionen. II. Bd.
1. Abtig.: Die Philofophie der Griechen. (XII, 530 S.) gr. 8°.

Leipzig, F. A. Brockhaus 1911. M. 6—; geb. M. 8 —

Mit der Philofophie der Griechen liegt die 1. Abteilung
des 2. Buches von Deußens allgemeiner Gefchichte
der Philofophie vor. Denjenigen, dem die Gefchichte
und Entwicklung der philofophifchen Probleme auch in
einer Gefchichte der Philofophie das Wertvollfte ift, wird
diefes Werk nur mittelbar fördern können. Deußen
fchließt fich in feiner Darfteilung an die verfchiedenen
Schulen an, und macht fich auch kaum irgendwo die
neueren Anflehten über die Entwicklung des griechifchen
Denkens zu eigen. Weder läßt er die Polemik des
Parmenides gegen Heraklit gelten, noch die Unterfchei-
dung von Leukipp und Demokrit, noch die Bedeutung
der Skepfis für die nachariftotelifche Philofophie, noch
in der fyftematifchen Darftellung der Stoa die verfchiedenen
Entwicklungsftufen in ihr u. a. m. Dagegen bringt
er allerdings manche eigen[artig]e Auffaffung der einzelnen
Philofophen, wie der Pythagoreer, des Parmenides, Piatos,
den er durch Auffaffung der Ideen als Naturpotenzen,
die er von der Überzeugung aus gewinnt, daß der Ausgangspunkt
für Plato nicht der fokratifche Begriff, fondern
die Naturbetrachtung gewefen ift (S. 246ff), Schopenhauers
Metaphyfik näher zu bringen fucht (vgl. S. 249;
218; VI), ufw. Hervorzuheben ift fein Beftreben, überall
charakteriftifche Stellen der einzelnen Philofophen, meift
in deutfeher Überfetzung, einzuflechten, wodurch fein
für den praktifchen Schulgebrauch gedachtes Werk
zweifellos an Lebendigkeit und Unmittelbarkeit gewinnt.
Königsberg i. Pr. Goedeckemeyer.