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Ausgabe: | 1911 Nr. 1 |
Spalte: | 23-24 |
Autor/Hrsg.: | Monod, Victor |
Titel/Untertitel: | Le problème de Dieu et la théologie chrétienne depuis la Réforme. I. Étude historique 1911 |
Rezensent: | Lobstein, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 1.
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die Gedanken heutiger, wiffenfchaftlich gebildeter Juden
die Evangelien und Chriftus betreffend, ein Buch, das
nicht bloß die Endurteile der betreffenden Juden angibt
und fie dann fummarifch von pofitiv-chriftlichem Standpunkte
kritifiert, fondern das fich vor allem mit den
Gründen auseinanderfetzt, die die Juden für ihren Standpunkt
anführen. Überhaupt liegt ja gegenwärtig, trotz
der Judenmiffion, die Apologetik des Chriftentums dem
Judentum gegenüber fehr im Argen — im 17. Jahrhundert
war das anders! Man treibt gegenwärtig Religionsge-
fchichte, und zwar mit Vorliebe Religionsgefchichte der
primitiven Völker, der Chinefen und Inder, aber die große
religionsgefchichtliche Aufgabe, die uns das Judentum
der Gegenwart bietet, ift noch längft nicht in genügendem
Maße in den Gefichtskreis der heutigen Religionsgefchicht-
ler getreten, gefchweige denn gründlich in Angriff genommen
worden. So wird einem heutigen Rabbiner,
z. B. allen denen unter den Lebenden, die de le Roi in
feinem Büchlein zitiert, diefe neufte Schrift des Berliner
Inftituts für Judenmiffion fchon um ihrer Kürze und um
ihres fummarifchen Charakters willen wenig Eindruck
machen.
Gotha. Fiebig.
Monod, Victor: Le probleme de Dieu et la theologie chre-
tienne depuis la Reforme. I. Etüde historique. Saint-
Blaise, Foyer solidariste 1910. (169 p.) 8° fr. 3.50
Obgleich diefe Schrift eine ,hiftorifche Studie' zu fein
beanfprucht, fleht fie doch gänzlich im Dienfte fyftema-
tifcher Tendenzen und Intereffen. Es erhellt diefes bereits
aus der Anlage der von dem Verf. unternommenen
Unterfuchung. Aus der Entwickelungsgefchichte der
Gotteslehre greift er zwei Epochen heraus, die ihm ,die
verfchiedenen Arten des Verhaltens der chriftlichen Denker
zum Problem des Gottesglaubens zufammenzufaffen und
zu erfchöpfen fcheinen' (5). Im XVI. und im XIX. Jahrhundert
ifl das Problem von zwei entgegengefetzten
Gefichtspunkten betrachtet worden: Calvin und Kant
find die Vertreter diefer beiden Löfungsverfuche. Dem-
entfprechend zerlegt Monod feine Studie in zwei Teile,
deren erfter dem Dieu souverain gilt (8—96), während
der zweite dem Dieu personne morale (97—160) gewidmet
ift. Die Darftellung und Charakteriftik der beiderfeitigen
Gottesbegriffe enthält zwar manche treffenden und wertvollen
Gedanken, aber die Ausführung des Einzelnen ruft
nicht geringere Bedenken hervor als die allgemeine
Orientierung. Der Schwerpunkt des erften Teils liegt in
der Darftellung der Prädeftinationslehre Calvins und der
nachcalvinifchen Schulen. Im zweiten Teil befpricht
Monod, nach dem Kapitel über Kant, zwei Theologen,
die er die typifchen Repräfentanten des eternel conflit
du serf-arbitre et du libre-arbitre, du sentiment religieux
et du sentiment moral (123) nennt: Schleiermacher und
Secretan. Man ift nicht wenig überrafcht, Schleiermacher
, deffen Syftem Monod als die theologie de la
dependance absolue (143) bezeichnet, in einen Zufammen-
hang eingereiht zu finden, den M. unter den Titel des
Dieu personne morale fubfumiert. Andererfeits fchließt
fich die speculation aventureuse (159) von Charles Secretan
, deffen Philosophie de la liberte Monod als Gegen-
ftück des Schleiermacher'fchen Determinismus betrachtet,
in ihrer erften Geftalt, die hier zunächft in Betracht,
kommt, nicht an Kant, fondern an Sendling an. Die bei
Kant begonnene Linie ift vor allem durch Ritfehl weitergeführt
worden, den M. auffallender Weife gar nicht erwähnt
.
Der Verf. ftellt eine ,dogmatifche Studie' als Ergebnis
feiner hiftorifchen Arbeit in Ausficht. Nach den Andeutungen
, die in der gegenwärtigen Schrift gegeben find
fbefi S. 161 fg.), befteht die zu löfende Aufgabe in der
Beftimmung des Verhältniffes zwifchen dem religiöfen
und dem ethifchen Standpunkt in der Faffung des Gottes-
gedankens. Die vorliegende hiftorifche Unterfuchung
foll erwiefen haben himportance egale chez rkomme religieux
du sentiment de dependance et du sentiment de
Uberte qrfune perpetuelle oscillation met tour a tour en
vedette dans l'histoire du probleme de Dieu (163). Auf
die Frage: le conflit est-il solubleP lautet die befcheidene
Antwort: Je ne sais. En tout cas, 1'heure de la Philosophie
definitive ne semble pas encore venue (165). Was unter
diefer ,endgiltigen Philofophie' zu verliehen fei, ift dem
Ref. nicht klar geworden. Ebenfo unficher nehmen fich
die Vorausfetzungen des Verf.s aus, feine Stellung zu
den Prinzipienfragen, zur Metaphyfik, zum religiöfen
Erkennen; auf das Zeugnis der heiligen Schrift wird
nirgends eingegangen. Vermutlich bleiben Auseinander-
fetzungen diefer Art dem fyftematifchen Teil vorbehalten.
Wir müffen es uns verfagen, auf nähere Einzelheiten ein-
zugehn. Monod's Fleiß und Belefenheit, fowie feine lichtvolle
Darftellung verdienen alle Anerkennung. Die Vereinfachung
der Schreibweife .Melanchton', ftatt ,Melanch-
thon' findet fich nicht feiten bei franzöfifchen Verfaffern,
ift aber darum nicht zü billigen.
Straßburg i. E. P. Lobftein.
Jordan, Louis Henry, B. D.: Comparative Religion. A sur-
vey of its recent literature. Second section 1906—1909.
Edinburgh, O. Schulze & Co. 1910. (72 p.) gr. 8°
Eine kritifche Überficht über die Fortfehritte der
vergleichenden Religionswiffenfchaft in England, Frankreich
, Deutfchland und Italien in den Jahren 1906—1909.
Es find im ganzen 25, größere oder kleinere Schriften,
die der in feinem Fach felbft tätige und tüchtige Ver-
faffer umfichtig und kenntnisreich befpricht. Den Ertrag
feiner Studie hat er felbft am Schluß in zehn Stichworten
zufammengefaßt. Er fordert u. a. die Anerkennung der
relativ jungen Disziplin durch Univerfität und Kirche,
dort durch Errichtung von Lehrftühlen für vergleichende
Religionswiffenfchaft, hier durch Begünftigung religions-
wiffenfchaftlicher Kenntniffe unter den angehenden Theologen
— Forderungen, die in dem maßvollen Ton, in
dem fie hier vorgetragen find, fchwerlich Widerfpruch
erregen werden und die auch in Deutfchland mehr und
mehr theoretifch und praktifch durchzudringen fcheinen.
Berlin. Heinrich Scholz.
Walther, Stadtpfr. Dr. Fr.: Vernünftiges Chriltentum1. Ein
moderner Unterricht in dem alten lutherifchen Glauben
. Stuttgart, W. Kohlhammer 1910. (VI, 120 S.)
gr. 8° M. 1.50
Der Verf. diefer Schrift, der fich theologifch an
A. Ritfehl und philofophifch an H. Lotze orientiert
haben dürfte, ohne feine Gewährsmänner zu nennen,
fucht fein Ziel, eine populäre Apologetik darzubieten,
dadurch zu erreichen, daß er von dem .alten lutherifchen
Glauben' einiges als irrelevant befeitigt, andres als miß-
verftanden umdeutet oder auch mit ihm allerlei Ergänzungen
vornimmt (nach S. 88 ift z. B. das ,zweite Heilsmittel
' neben dem ,Worte' die ,Kirche'). Was er in feinem
,modernen Unterrichte' bietet, flammt gewiß aus
der lauterften Abficht und verfolgt zweifellos die bellen
Zwecke, aber es kann nicht verfchwiegen werden, daß
hier ,der alte lutherifche Glaube' nicht unverändert geboten
wird, und daß zu bezweifeln ift, ob folche Wahr-
heitsforfcher, denen es um die Gewinnung eines .vernünftigen
Chriftentums' zu tun ift, fich durch die Ausführungen
des Verfaffers befriedigt fühlen werden. Ich
möchte den Lefer nicht mit der Begründung diefer Ur-
1) D esfelben Verfaffers ,chriftliche Glaubenslehre,als Wiffen-
fchaft vom Lebensmut dargeftellt' ift 1893, Spalte 622ff. ausführlich
befprochen (A. d. R.).