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Ausgabe:

1911 Nr. 14

Spalte:

441-443

Autor/Hrsg.:

Einfalt, Die Geschichte der Stadt

Titel/Untertitel:

des Klosters und Pfarrei Langenzenn 1911

Rezensent:

Knoke, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 14.

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kennt. — Der 2. Abfchnitt erörtert die Grundfragen des
fittlichen und religiöfen Bewußtfeins, deffen Ausfagen
fich wefentlich auf Gemütsempfindungen und intuitive
Gewißheit ftützen. Die begriffliche Formulierung diefer
Ausfagen unterliegt der Verftandeskritik, ihr geiftiger
Gehalt bekundet fich mit apriorifcher Gewißheit als Realität
und offenbart fich in der fittlichen Perfönlichkeit. —
Ein 3. Teil verfolgt die aus dem fittlichen Bewußtfein
flammenden Erfchütterungen der Selbftgewißheit, die
Verfuche, das Gemüt dagegen abzuftumpfen (naturhafte,
intellektualiftifche Faffung des Böfen, Determinismus)
oder fie krankhaft zu fteigern (kirchliche Sündenlehre;
Reformation, Pietismus). — Der 4. Teil endlich zeigt den
Weg der fittlichen Perfönlichkeit zu fefter Selbflgewißheit
in der geiftigen Tat echter Reue und lebendigen
Glaubens. Diefe Gewißheit darf von der fie vermittelnden
und fördernden kirchlichen Gemeinfchaft nicht abhängig
gemacht werden, fondern gründet fich auf unmittelbares
Erleben des in unferm endlichen fich bezeugenden unendlichen
Geiftes, bewährt fich in der Demut nicht ohne
edles Selbftgefühl und in unbeirrbarer Gewiffenhaftigkeit,
die bei Kollifionen die Zielrichtung inne hält und trotz
lebhaftem Bewußtfein ihrer Unzulänglichkeit auf die
fortfchreitende Verwirklichung der fittlichen Ideale und
ihre Vollendung in einer höhern Welt vertraut.

Die Schrift trägt das geiftige Gepräge des älteren
Liberalismus mit feinem Harken Zutrauen zur Tragweite
des Intellekts, der vielfach den Anfatz zu vollenden
fcheint, den der Glaube gemacht hat (fo wenigftens im
1. Abfchnitt). Damit hängt manches kritifche Urteil über
den ,Voluntarismus' und namentlich über Ritfehl und
feine Schule zufammen. Bei aller fonftigen Fühlung mit
der neueften Literatur wiederholt hier, foweit ichfehe, d. Vf.
mehrfach Ausftellungen, die fich gegen eine frühere
Phafe diefer Theologen richten und z. T. längft überholt
oder widerlegt find. Bei der Darflellung der reformato-
rifchen Rechtfertigungslehre und ihrer Folgen, der Stellung
Luthers in der Sakramentsfrage ift doch wohl das tieffte
Motiv nicht erfaßt und Wichtiges (das Glaubenslied!) iiber-
fehen. Die Bedenklichkeit, den Perfönlichkeitsbegriff auf
Gott anzuwenden (S. 71), rammt nicht recht zu den vortrefflichen
Ausführungen über fein ,Sich-affizieren-laffen'
(S. 142 ff.) und über die Unmittelbarkeit des Verkehrs
mit ihm (S. 163 f.). Nicht nur eine Entgleifung des Ausdrucks
, fondern eine Folge des Schwebenden in des Verf.s
kritifchen Realismus ift der Satz (S. 144): es komme nur
darauf an, die Empfindung göttlichen Zürnens als eine
Tatfache der inneren Erfahrung zu konftatieren, während
die Frage, wie viel oder wie wenig objektive Realität
im Wefen Gottes ihr zugrunde liege, unerledigt
bleiben könne, fobald das religiöfe Intereffe genügend
durch die Anerkennung gewahrt fei, jenes fubjektive
Empfinden fei nicht etwa eine bloße Illufion, fondern
beruhe auf einer objektiven Selbftbezeugung Gottes
im Menfchenherzen. Mich dünkt, daß hier nicht genug
zwifchen pfychologifcher und metaphyfifcher Realität
unterfchieden ift, und überfehen, daß es fich oben nicht
um letztere, fondern um die Frage nach der Adäquatheit
unterer Erkenntnis handelt. Doch follen diefe Bemerkungen
den Eindruck nicht verwifchen, den das ganze
Buch macht als Zeugnis der tief fittlich begründeten
Zuverficht zu der weltüberwindenden, umgeftaltenden
und emportragenden Kraft des denkend und glaubend
lebendigen Chriftentums.

Lobberich. Alfred Zilleffen.

Einfalt, Stadtpfarrer: Die Gefchichte der Stadt, des Klofters
und der Pfarrei Langenzenn. (Aus: Jahresbericht des
Hiftor. Vereins f. Mittelfranken, 1910.) Ansbach,
C. Brügel & Sohn 1910. (IV, 119 S.) 8°

B|,üggemann, Pfr. A.: Gefchichte der evang. Gemeinde Kettwig
. Kettwig, F. Flothmann 1910. (150 S. m. 16 Vollbildern
.) 8° M. 2.50

Unter Benutzung bereits früher veröffentlichter Monographien
, welche S. I aufgezählt werden, und auf Grund
eigner archivalifcher Forfchungen hat der Verf. eine Fülle
hiftorifcher Notizen zur Gefchichte feines zwifchen Nürnberg
und Würzburg gelegenen fränkifchen Heimatortes
von 954 bis in die jüngfte Gegenwart zufammengetragen,
ohne fie zu einem pragmatifchen Gefamtbilde zu verarbeiten
. Was er fo bietet, gewährt naturgemäß in erfter
Linie feinen Mitbürgern, für welche die Arbeit hauptfächlich
gefchrieben ift, Intereffe, doch finden fich unter
den zahlreichen Angaben auch folche von kirchen- und
kulturhiftorifcher Bedeutung. So wird S. 33 eine ,Be-
ftellung chriftlichen Gottesdienftes in den Klöftern' erwähnt
, die im Zufammenhange mit der Einführung der
Reformation in Ansbach-Bayreuth vom Markgrafen Georg
erlaffen, inzwifchen aber unbekannt geworden ift. Wir
lefen S. 42, daß dem Pfarrer und Dekan Daniel Langer
bei der Übernahme feines Amtes in L. 1565 eine einzige
Stube als Dienftwohnung angewiefen wurde, in welcher er
,mit Weib und Kind wohnen und dabei ftudieren' mußte.
Auf feine Befchwerde hin erhielt er ganze zwei Zimmer.
Über ihn lief jedoch aus der Gemeinde Befchwerde ein,
,daß er bei Proklamationen, Trauungen, Taufen und Beerdigungen
eine Gebühr fordere, was eine befchwerliche
Neuerung fei'. Die Stolgebühren wurden erft 1699 fixiert.
Eine gefallene Braut mußte fich im Strohkranze, bisweilen
,außer der Kirche im Büttelshaufe' trauen laffen, S. 92.
Bereits 1696 entfehloß man fich, die fogen. Ehrenprädikate
bei der Proklamation der Nupturienten fallen zu
laffen, S. 67. Man wird das verliehen, wenn man S. 94
erfährt, daß noch um 1850 in L. ,auf zwei bis drei
ehliche Geburten immer eine unehliche kam'. Im Zufammenhange
mit einem neuen Verbote gegen das Fluchen
wurden 1682 in 9 Wirtfchaften ,Fluchbüchfen' aufgeftellt,
in welche Strafgelder für das Fluchen in der Höhe von
1 bis 15 Kreuzer einzulegen waren, S. 67. — Für die
Mitteilung folcher und ähnlicher Daten werden weitere,
hiftorifch intereffierte Kreife dem Verf. nur dankbar fein
können.

Auch die zweite Schrift gibt eine Reihe urkundlicher
Notizen, und zwar aus der Gefchichte der Stadt Kettwig
a. d. Ruhr vom Jahre 1052 bis in die Gegenwart, wobei
der Verf. jedoch, foweit dies nach der Natur der Sache
angängig war, eine zufammenhängende gefchichtliche
Darfteilung zu geben beftrebt gewefen ift. Auch in diefer
Arbeit begegnen uns manche kirchlich- und kulturge-
fchichtlich intereffante Einzelheiten, fo z. B. die S. 19 ff.
gegebene Analyfe des Mauritius Bergerfchen Glaubens-
bekenntniffes, zu welchem fich der erfte evangelifche Prediger
in K., Hermann Kremer, 1592 bekannt hat, und die
Befchreibung der an jenem Orte gebräuchlichen Leichenfeier
um 1770, S. 66. Als etwas Charakteriftifches an der
Entwicklung des Kettwiger Gemeindelebens erfcheint der
allmähliche Übergang der Gemeinde von dem katho-
lifchen zum reformierten Bekenntnis im Reformationsjahrhundert
und die ebenfo allmähliche Einführung der
Union in ihr; diefe ift nach wiederholtem Drängen der
kirchlichen Behörden erft 1840 durch befondere Urkunde
anerkannt, S. 94. Wertvoll ift der Einblick, den Brüggemanns
Schrift in die kirchliche Organifation der Kettwiger
Gemeinde gewährt, wobei fich im 17. und 18. Jahrb..
der Typus altreformierter Gemeindeordnung bezüglich
der Verfaffung, der Armenpflege, der Kirchenzucht und
des Kultus geltend macht, während fich im 19. Jahrh.
auch in K. das evangel. Vereinswefen im Sinne der
Innern Miffion in erfreulicher Weife entwickelt hat. Mit
befonderer Liebe ift der Verf. den Spuren gefegneter
Tätigkeit der einzelnen Geiftlichen nachgegangen, welche
in K. gewirkt haben. Zu ihnen gehört Ferd. aus'm Weerth
(1796—1805), der fpäter zum Generalfup. in Detmold be-