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Ausgabe:

1911 Nr. 14

Spalte:

439-440

Autor/Hrsg.:

Klimke, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Hauptprobleme der Weltanschauung 1911

Rezensent:

Hoensbroech, Paul

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Seite 1

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439

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 14.

440

praktifchen Vermögen der Perfönlichkeit, wie fie Kants
Anregungen folgend die katholifche Tübinger Schule
unter Ablehnung der älteren Gottesbeweife verfucht hat
(S. 28 ff.), gehört dann mit dem Ontologismus, dem .Gefühlsglauben
' Jakobis und der intellektuellen Anfchauung'
Sendlings zufammen zu den mißlungenen Verbuchen,
von den ,fubjektiven Energien des Bewußtfeins' aus ,den
Sprung vom Denken in das Sein, vom Individuellen in
das Abfolute' zu ermöglichen (S. 39). Es gibt ,kein unmittelbares
Gottesbewußtfein' (S. 53), da diefes ja nur
fubjektiven Wert haben könnte. Damit ift ,fowohl der
transzendentale Idealismus Kants als der Pantheismus
ausgefchloffen' (S. 51). Staab glaubt nun über den vermeintlichen
Subjektivismus der Kantianer und Ontologiften
hinauszukommen und eine überempirifche Objektivität
zu erreichen, indem er mit der Neufcholaftik vom Kaufal-
gefetz als einem ,analytifchen Urteil von abfoluter Gewißheit
' (S. 10) ausgeht und es zur alleinigen Grundlage aller
Gottesbeweife macht, die ,ftets ihren Ausgang von der
erfahrungsmäßigen Wirklichkeit, von dem Gefamtkosmos
und feinen Eigenfchaften' nehmen und ,mit Hilfe des
Kaufalgefetzes auf die Exiftenz eines überweltlichen, per-
fönlichen Gottes als einzig zureichenden Erklärungsgrund
der Wirklichkeit' fchließen (S. 166). Sie zerfallen in kaufale
Rückfchlüffe aus dem Makrokosmos und folche aus dem
Mikrokosmos. In der erfchöpfenden Aufzählung diefer
Rückfchlüffe ift befonders die Akkomodation des Tho-
mismus an die moderne Naturwiffenfchaft bemerkenswert.
In den kosmologifchen Kontingenzbeweis wird als neues
Element der ,biologifche Gottesbeweis' (aus der Unmöglichkeit
der generatio aequivoca) und der ,entropologifche
Gottesbeweis' (aus dem Entropiefatz nach R. Mayer und
Claufius) eingefügt (S. 89h). Es ift Staab entgangen, daß
diefe ganze Reihe von kaufalen Schlüffen vom richtig-
verftandenen Kantianismus aus betrachtet noch gar nicht
über den Bereich der .möglichen Erfahrung' hinausführen,
daß vielmehr der Gott, der auf diefe Weife erfchloffen
wird, mit den hypothetifchen Mondbewohnern auf eine
Linie zu ftellen ift, auf die wir nach Kant, unfere jeweilige
Erfahrung durch Schlüffe erweiternd, treffen können.
Staab hat das Problem noch garnicht begriffen, das darin
liegt, daß das Unbedingte, auf das Thomas von der durchgängig
bedingten Wirklichkeit aus fchließt, fobald man
es fich als Denkobjekt vergegenwärtigen will, fich in einen
logifchen Widerftreit auf löft, da der abfolute Anfang einer
Bedingungsreihe, hinter den nicht mehr zurückgegangen
werden könnte, ebenfo undenkbar ift, wie die Totalität
eines unendlichen Regreffus. Kants Löfung diefes Wider-
ftreits kann abgelehnt werden. Aber hinter die kantifche
Problemftellung in das ariftotelifche Stadium der Reflexion
zurückzukehren, wie es hier verfucht wird, ift nicht mehr
möglich.

Halle a. S. K. Heim.

Klimke, Friedrich, S. J.: Die Hauptprobleme der Weltanfchau-

ung. (Sammlung Köfel 37.) Kempten, J. Köfel 1910.
(VIII, 167 S.) kl. 8° Geb. M. 1 —

Es ift nicht ganz leicht, über diefes Büchlein ein Urteil
zu fällen. ,Die Hauptprobleme der Weltanfchauung' erörtert
und gelöft auf 162 Seiten klein Oktav, drückt fchon
rein finnfällig ein folches Mißverhältnis aus zwifchen Größe
des Gegenftandes und räumlicher Befchränktheit feiner Behandlung
, daß man von vorneherein geneigt ift, die Schrift
als einen ,Verfuch mit untauglichen Mitteln' zu bewerten.
Denn auch die ,Befchränkung', in der fich der ,Meifter'
zeigen foll, hat ihre Grenzen. So ift es denn nicht zu
verwundern, daß zunächft auf die Schrift das Wort paßt:
dum brevis esse laboro obscurus fio. Schlimmer ift: Das
Werkchen iftTendenzfchrift, oder beffer: die Unterfuchun-
gen, die Urteile, die philofophifch-theologifch-gefchicht-
lichen Auseinanderfetzungen, die es bietet, und die ein
Suchen nach Erkenntnis, ein Forfchen darftellen follen,

find Scheinfuchen, find Scheinforfchen. Das bringt das
S. J. (Societatisjefu) hinter dem Namen des Verfaffers nun
einmal notwendig mit fich. Bevor er die Feder auf der
erften Seite anfetzte, ftand abfolut feft, was im Vorwort und
auf den letzten Seiten zu lefen ift, daß nämlich als deux ex
machinafür alle Weltanfchauungsprobleme der Theismus,
d. h. der Katholizismus (genannt wird letzterer allerdings
nicht, aber unmißverftändlich umfehrieben) hinzu-
ftellen fei. ,Die wahre, unerfchütterliche Weltanfchauung',
,die einzig wahren Grundlagen und Aufgaben der Welt-
anfehauungen, ohne Rückficht auf philofophifche Mode-
fyfteme, werden mit männlicher Konfequenz bekannt'
(Vorwort). .Weltanfchauungsprobleme', ihre Erörterung
und .Löfung', gehören ausfchließlich dem Gebiete der
Philofophie (einfchließlich der Naturwiffenfchaften) an, und
ihm weift der Verfaffer fie auch zu. Aber was bedeutet
das bei einem Manne, für deffen .philofophifches' Denken
und Schreiben der .Kanon' befteht: ,Die Philofophie ift
zur Magd und Dienerin der echten fcholaftifchen
Theologie zu machen' (ut philosophiam verae theo-
logiae scholasticae ancillari et subservire faciant: Instit.
Societ. Jesu II 538 Edit. Florent. 1893). Von diefer ,phi-
lofophifchen Warte' aus ift dann freilich der Blick gebannt
und das Denken nach einer Richtung hin feft beftimmt;
von diefem Standpunkte aus ift völlige Verftändnislofig-
keit für freien Geiftesflug, für Fluß und Rückfluß ungebundener
Gedankenreihen, wie fie innerhalb von Weltan-
fchauungen wogen und branden müffen, notwendige Folge.

Ift fo der eigentlich geiftige, d. h. fortfehrittliche
Gehalt des Schriftchens gleich Null, fo bleibt doch manches
äußerlich Gute an ihm zu erwähnen. Es ift gut gegliedert;
die verfchiedenen Weltanschauungen mit ihren Hauptmerkmalen
und Vertretern find überfichtlich aufgezählt;
die Polemik ift gemäßigt; die Sprache meiftens einfach. Nur
unnötige und häßliche Fremdwörter und teilweife recht
überflüffige, weil zufammenhangslofe Anführungen aus
anderen Autoren, die wie Dekorationsftücke und protzenhafte
.Belefenheit' wirken, vermindern auch hier den guten
Eindruck.

Großlichterfelde-Berlin. Graf von Hoensbroech.

Graue, Superint. Oberpfr. a. D. D. Georg: Wegweifer zur
Selbrtgewißheit der rittlichen Perfönlichkeit. Selbftändig
denkenden Chriften dargeboten. Leipzig, M. Heinfius
Nachf. 1910. (VII, 185 S.) 80 M. 3 —

Mit großer Energie des Denkens, mit jugendlicher
Frifche, in lebhaften, langhinflutenden Perioden, mehrfach
zu begeiftertem Schwung fleh erhebend, führt Graue
durch die Hauptfragen der chriftlichen Weltanfchauung.
Das Buch gehört zu der älteren Gattung der auf Laien
berechneten Schriften diefer Art; es geht auf weite
Strecken noch recht Schwer gerüftet einher und hat
nichts von der farbigen Anfchaulickeit der jüngeren populären
Literatur, entgeht freilich auch viel mehr der
Gefahr, Unftimmigkeit durch Bild und Klang zu verdecken
. Jedenfalls werden an die theologifch-philofophifche
Bildung der .denkenden Chriften' recht hohe
Anforderungen geftellt.

Ausgehend von der Unterfcheidung des Autoritätsund
hypothetifchen Glaubens und der intellektuellen und
intuitiven Gewißheit befpricht der 1. Abfchnitt die Hauptfragen
der Metaphyfik und Erkenntnistheorie mit dem
Ergebnis: die Gewißheit entfpringt nicht bloß aus intellektueller
Forfchung, fondern großenteils aus einem
.Glauben'. In diefem Sinn wird über die Geltung des Kaufalgefetzes
, die Korrefpondenz eines in der Außenwelt
waltenden Intellekts mit dem unfern, mechanifche und
dynamifche Kaufalität, Zufammenwirken von Natur und
Geift, die Frage nach dem gemeinfamen Realgrund der
Weltfubftanzen und die Mittelpunktsgewißheit des Ich
gehandelt, wobei fich der Verf. als kritifchen Realiften be-