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Ausgabe:

1911

Spalte:

438-439

Autor/Hrsg.:

Staab, Karl

Titel/Untertitel:

Die Gottesbeweise in der katholischen deutschen Literatur von 1850-1900 1911

Rezensent:

Heim, Karl

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437

Theologifche Literatlirzeitung 1911 Nr. 14.

438

Erkenntnis nicht als ein fremdes Zweites gegenüberftehen,
fondern muß mit ihr felber die höchfte Einheit bilden'.

Läßt fich nun eine folche Weltanfchauung überhaupt
erlangen? fei es auf dem Wege einer kritifch gefchulten,
ftreng wiffenfchaftlichen Forfchung, fei es auf dem Wege
metaphyfifcher Spekulation? Die Beantwortung der aufgeworfenen
Fragen ift nicht möglich ohne vorhergegangene
Verftändigung über das Wefen und die Leiftungs-
fähigkeit der wiffenfchaftlichen Erkenntnis. Und fo läßt
fich Verf. in dem vorliegenden erften Bande feines Werks
auf eine umfangreiche erkenntnistheoretifche Unterfuchung
ein. Soll die Auffaffung, zu der er dabei geführt wird,
kurz durch einige Schlagwörter charakterifiert werden,
die allerdings bei dem gegenwärtigen Stand der in Betracht
kommenden Terminologie nicht völlig eindeutig
find, fo wäre fie vielleicht am beften zu kennzeichnen als
ein radikaler Empirismus oder empiriftifcher Senfualismus
pofitiviftifchen Gepräges, der zugleich mit einem generellen
Subjektivismus und gewiffen pragmatiftifchen Anfchau-
ungen fich verbindet. Als Fragen, die von der wiffenfchaftlichen
.Erklärung' nicht mehr bewältigt werden
können, werden ausdrücklich zwei genannt: ,1. Warum
(oder woher) dasGefchehen (die Veränderung)? 2. Warum
(woher) das Gefetz der Veränderung, d. i. das oberfte
Gefetz überhaupt, d. i. das Wie der Veränderung?' .Zweierlei
', heißt es in vervollftändigter Faffung, kann .nicht
erklärt werden: Das Gefchehen überhaupt famt feiner
Gefetzmäßigkeit, und das Individuelle im Gefchehen für
fich'. Die .Schranken' aber ,der Wiffenfchaft' im allgemeinen
werden in etwas weiterem Zufammenhange dahin
beftimmt: ,Es gibt keine wiffenfchaftliche Verteidigung
noch Widerlegung irgendwelcher reinpraktifcherPofitionen,
feien es ökonomifch-politifche oder äfthetifche oder
ethifche oder religiöfe. Es gibt keine wiffenfchaftliche
Apologie religiöfen Glaubens und keine wiffenfchaftlichen
Beweife dafür, fo wenig wie für äfthetifche oder ethifche
Wertungen oder Phantafien. Es gibt keine .normative'
Ethik oder Äfthetik oder Theologie als Wiffenfchaft'. Auf
der andern Seite wird fehr eindringlich und wiederholt
darauf hingewiefen, daß alle wiffenfchaftliche Erkenntnis,
die ja nur eine ,Art des Erlebens' fei, einen Glauben vorausfetze
, die Zuverficht, ,daß es eine Regelmäßigkeit in
der gefamten Welt der Erkenntnis gebe', den Willen,
,daß wir dem Erleben, wenigftens auf einem beftimmten
Gebiete, trauen können', ,den Glauben an die Konftanz
des menfchlichen Erkennens'.

Das Buch ift fließend, in durchfichtiger und gefchmack-
voller Sprache gefchrieben. Der Inhalt ift auf alle Fälle
intereffant, auch für den Theologen, zumal als letztes Ziel
der Ausführungen die Bildung einer Weltanfchauung an-
geftrebt wird. Doch wird man ein definitives Urteil über
das Sachliche am beften auffparen bis zum Erfcheinen
des zweiten oder des abfchließenden Bandes.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Sattel, Dr. Georg: Begriff und Urfprung der Naturgefetze.

(Studien zur Philofophie u. Religion, 7. Heft.) Paderborn
, F. Schöningh 1911. (VIII, 252 S.) 8° M. 6 —

Das Problem der Naturgefetzlichkeit ift auf das engfte
mit dem Erkenntnisproblem verknüpft. Diefe Sachlage
hat der Verfafler klar erkannt, indem er zeigt, daß das
Naturgefetz keine rein objektive Realität ift, noch ein
rein fubjektiver Begriff, fondern beides zu einer höheren
Einheit verbindet. Der zweite Teil des Werkes befaßt
fich mit dem Urfprung der Naturgefetze. Sie können
nach der Anficht des Verfaffers nicht auf einer inneren
Notwendigkeit, fondern nur auf dem Gedanken, dem
Willen und der Allmacht Gottes beruhen. Einen Einfluß
auf die moderne Philofophie werden die Ausführungen
Sattels deshalb nicht gewinnen, da ihnen die notwendige
Vertiefung der erkenntnistheoretifchen Fragen gebricht.
Lfas Kaufalproblem wäre vor allem in ganz anderer Weife

zu behandeln gewefen. Die Wirkung des Buches wird
daher auf die katholifchen Kreife, für die es auch berechnet
ift — es trägt das Imprimatur der Kirchenbehörde
von Paderborn — befchränkt bleiben, ift aber berufen
in diefen recht anregend zu wirken.

Bonn. M. Horten.

Staab, Sem.-Affift. DD. Karl: Die GottesbeweiTe in der
katholifchen deutfchen Literatur von 1850—1900. Ein

Beitrag zur Gefchichte der Philofophie im 19. Jahrhundert
. (Studien zur Philofophie u, Religion; 5. Heft.)
Paderborn,F.Schöningh 1910. (VIII, i9iS.)gr.8° M.3.80

Diefe Schrift ift nicht, wie es nach dem Titel fcheinen
könnte, eine objektive hiftorifche Darfteilung der apolo-
getifchen Arbeit der katholifchen Theologie feit 1850.
Sie rückt vielmehr das hiftorifche Material unter die ein-
feitige Beleuchtung des modernen Thomismus, der trotz
feines kirchlichen Anfehens doch nur eine von den ver-
fchiedenartigen Richtungen des heutigen katholifchen
Denkens ift. Vom Standpunkt des italienifchen Onto-
logismus aus, den Staab nur fehr kurz und oberflächlich
behandelt (S. 14fr. 63 fr.), würde ein vollftändig anderes
Bild der modernen katholifchen Apologetik entftehen,
ebenfo vom Standpunkt der ausführlicher widerlegten
katholifchen Tübinger Schule J. Kuhns aus (S. 28 ff.), die
in einer intereffanten Synthefe kantifcher und plato-
nifcher Gedanken die Gottesidee der theoretifchen und
zugleich praktifchen Menfchenvernunft zum Ausgangspunkt
des Gottesbeweifes macht. Aber gerade als Nieder-
fchlag der einfeitig thomiftifchen Beurteilung aller nicht
in das thomiftifche Schema paffenden apologetifchen
Gedankenreihen innerhalb und außerhalb des Katholizismus
ift diefe Schrift intereffant. Die Hauptdifferenz
zwifchen dem Thomismus und der von Kant und Schleiermacher
beeinflußten Apologetik liegt offenbar in der
verfchiedenen Auffaffung des Verhältniffes zwifchen
der finnlichen Erfahrung und dem überfinnlichen, transzendenten
Gebiet. ,Das Gegebene darf ich nicht auf das
empirifch Gegebene befchränken, ift doch auch fogar
Sinnliches infolge Entfernung, Vergangenheit wahrhaft
gegeben und doch empirifch nicht erreichbar, ebenfo das
Uberfinnliche' (S. 99). Diefe gegen Kants Zerfetzung des
kosmologifchen Arguments gerichtete Bemerkung "zeigt
vielleicht am fchlagendften den Gegenfatz der beiden
Anfchauungen und macht zugleich das Mißverftändnis
der kantifchen Pofition erklärlich, das fich durch die
ganze Auseinanderfetzung mit Kant fowohl im erften
allgemeinen Teil über die .Möglichkeit und Notwendigkeit
der Gottesbeweife' als durch die Befprechung von Kants
Einwänden gegen den kosmologifchen und den teleolo-
gifchen Beweis im zweiten fpeziellen Teil hindurchzieht.
Unter der .Erfahrung', auf die die Anwendung des Kau-
falitätsprinzips unweigerlich befchränkt bleibt, verfteht
Kant eben gerade nicht, wie es hier mißverftanden wird,
das jeweils empirifch Erreichbare, fo daß dasjenige, was
infolge von Entfernung und Vergangenheit empirifch unerreichbar
bleibt, jenfeits der Erfahrung fiele und ein
Analogon der intelligiblen Welt bildete. Vielmehr gehören
für Kant auch die empirifch unerreichbaren Erfcheinungen,
z. B. die hypothetifchen .Einwohner im Monde', ,ob fie
gleich kein Menfch wahrgenommen hat' (Kr. d. r. Vern.
ed. Vorländer S. 429), als mögliche Teile des empirifchen
Zufammenhangs genau ebenfo wie die finnlich erreichbaren
Phänomene zur Erfahrungswelt, zu welcher das
Ding an fich im Gegenfatz fleht. Wird Kants .Erfahrung'
als Zufammenfaffung der Eindrücke mißverftanden, die
dem einzelnen Subjekt jeweils unmittelbar erreichbar'find,
fo erfcheint natürlich Kants Befchränkung der Erkenntnis'
auf die Erfahrung als illufioniftifche Authebung aller objektiven
Erkenntnis. Die Ableitung der Gottesgewißheit
aus einem nicht bloß intellektuellen fondern zugleich