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Ausgabe:

1911 Nr. 13

Spalte:

393-394

Autor/Hrsg.:

Schumacher, Rudolf

Titel/Untertitel:

Der Diakon Stephanus 1911

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Seite 1

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393

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 13.

394

und Chriftus, auch die Analogien zu der Taube bei der
Taufe Jefu beachtenswert, weniger die zu der paulinifchen
Anfchauung von der Knechtung unter die oxoiytla rov
xöofiov, mit der zugleich andre, ihr wohl doch fremdartige,
Gedanken desfelben Mannes zufammengeftellt werden.
Daß der Eigengott der Kultvereine allgemein oder nur
öfter fiovoysvvg hieße, war mir bisher nicht bekannt;
ich wußte es nur von Dufares, und bei ihm beruht diefe
Bezeichnung vielleicht auf einem Mißverftändnis des Epiphanias
. Auch daß die Oden Salomos ein Denkmal
jiidifcher Myftik und Gnofis feien, wird fich fo kaum
fefthalten laffen; aber das ift in diefem Zufammenhang
ohne große Bedeutung. Viel wichtiger ift es, ob die
fpätere Lehre des neuen Teftaments von Taufe und Abendmahl
in dem Maße, wie das A. Meyer mit den meiften
modernen Theologen annimmt, von außerbiblifchen An-
fchauungen beeinflußt worden ift. Hier haben ihm
mit Bezug namentlich auf die Taufe der Korreferent
Rüetfchi, mit Bezug auf das Abendmahl auch Prof.
Schmiedel widerfprochen; es fcheinen alfo doch nicht,
wieBouffet in der Befprechung meiner religionsgefchichtl.
Erklärung (1910, 8ioff.) behauptet, nur .nichtsfagende
und fragwürdige exegetifche Einzelerwägungen' oder gar
unwiffenfchaftliche Rückfichten zu fein, wenn ich (und
andre, die er nicht nennt) hier nicht durchaus zuftimme1.
Mahne ich nun auch den verdienteften Koryphäen der
Religionsvergleichung gegenüber zur Vorficht, fo tut das
Meyer noch viel mehr; er fagt fogar: ,allgemein ift aufs
ftärkfte zu betonen die Unficherheit der bisherigen Er-
gebniffe der vergleichenden Religionsforfchung, die im
Wefen der Sache begründet ift und alfo im weiten Umfang
beliehen bleiben wird'. Und läßt er die fremden
Pänflüffe auch tiefer ins Innere eindringen, als feine Vorarbeiter
und fein Korreferent, fo urteilt er doch: ,der
wahre Kern chriftlicher Heilsverkündigung flammt nicht
aus fremden Quellen, fondern nach Form und Inhalt aus
dem Reichtum der Seele Jefu, den Erlebniffen feiner Jünger,
den Erfahrungen des Apoftels Paulus, dem johanneifchen
Ernft und Tieffinn, der Weife, wie mancherlei Lehrer und
Iuihrer der Gemeinden den damaligen praktischen Bedürf-
niffen aus chriftlichem Geift heraus gerecht wurden'.
Ich fehe auch in diefer Beziehung in feinem Referat,
fowie dem, was andre dazu gefagt haben, einen fehr wertvollen
Beitrag zu der noch immer im Vordergrund des
Intereffes flehenden fog. religionsgefchichtlichen Erklärung
des N.T.s.

Bonn. Carl Clernen.

1) Überhaupt wird meine Stellung ganz falfch charakterinert, wenn
dort, wo ich BoulTet u. a. zuftimme, immer nur von .Zugeftändniften',
die ich meinen ,Gegnern' mache, im übrigen aber von einem .Rückzugsgefecht
nach verlorener Schlacht' die Rede ift; ich glaube auf jeder Seite
meines Buches gezeigt zu haben, daß ich völlig vorurteilsfrei die hier
auftauchenden Fragen zu unterfuchen beftrebt bin. Auch hätte man aus
meinen älteren Veröffentlichungen erfehen können, daß ich in jenem
einem Punkt früher felbft fo, wie die meiften jetzt, urteilte; ich glaube
aber durch genaueres Zufehen erkannt zu haben, daß das in diefem
Maße nicht richtig war.

Schumacher, Dr. Rudolf: Der Diakon Stephanus. (Neu-
teftamentliche Abhandlungen. III. Bd. 4. Heft.) Mün-
fter i. W., Afchendorff 1910. (XI, 136S.) gr.8° M. 3.70

Da die katholifche Wiflenfchaft keine Monographie
über Stephanus befitzt, da die letzte proteftantifche Einzel-
fchrift bereits 1882 erfchien (Woldemar Schmidt), da aber
der Stoff" felber in weiteren und engeren Zufammenhängen
oft behandelt worden ift und fleh dabei eine große Mannigfaltigkeit
von Anfchauungen herausgebildet hat, fo möchte
Sch., ein Schüler von Bludau, in diefer feinem Lehrer
gewidmeten Schrift eine Darfteilung und Verwertung der
vorgetragenen Anfchauungen geben. In der Tat hat Sch.
mit großem Fleiße und mit Heranziehung der umfangreichen
Literatur eine Überficht über wichtige neuere

Anfchauungen zu verfchiedenen in Betracht kommenden
Problemen gegeben. Auch feine eigenen Anflehten und
Entfcheidungen teilt Sch. dem Lefer mit; fie find vorflehtig
gehalten, liegen alle nach der konfervativen Seite hin,
laffen indeß ein gewiffes Maß von Kritik nicht vermiffen.

Nach der Einleitung, die fehr fchwungvoll gefchrieben
ift und daher öfters über die Grenze des ficher zu Wiffenden
hinausgeht (woher weiß Sch., daß Stephanus im jugendlichen
Alter ftarb, und hält er die Auffindung feiner
Reliquien zu Kaphar-Gemala für echt?), handelt § 2 von
der Quellenfcheidung in Apgfch. 6,1—8,3. Sch. gibt eine
Überficht über eine Reihe von vorgetragenen Quellen-
fcheidungen, ohne felber eine neue aufzuftellen: eine
fichere Erkenntnis der von Lukas benützten Quellen ift
nicht zu erreichen, nur daß Quellen, vor allem in der
Wiedergabe der Rede benützt find, kann als gewiß gelten.—
§ 3 die Einfetzung der ,Siebenmänner' erzählt die Ereig-
niffe nach der Quelle Apgfch. 6, i ff. und nach einer recht
guten Kritik, die Sch. an der Anfchauung ausübt, es
würden hier die erften ,Diakonen' im fpäteren Sinne eingefetzt
, bleibt er am Schluffe doch dabei, daß die Tradition
Recht habe, die hier die Ernennung der Diakonen erkennt,
nur hätten fich im Laufe der Zeit die Befugniffe diefer
Gemeindebeamten geändert. § 4, Auftreten des Stephanus
und Anklage, möchte die Anfchauung des Stephanus,
die den Grund für den Angriff auf ihn abgab, dahin
beftimmen, daß er lehrte, der Atlichen Offenbarung komme
nur die Bedeutung einer Wegebereiterin für die Ntliche
zu, und die gefetzlichen Opfer feien bereits hinfällig, der
Tempel überflüffig geworden — eine wie mir fcheint in
Form und Sache nicht fehr glückliche Wiedergabe der
Lehre diefes Helleniften. Die folgenden Paragraphen
hängen eng miteinander zufammen, weil fie alle fich mit
der Rede des Stephanus befaffen. Sch. überfetzt die Rede
und legt fie gloffatorifch aus, gibt dann einen Überblick
über die Auslegungsverfuche, d. h. über die verfchiedenen
Beurteilungen, die die Kritik ihr hat zuteil werden laffen,
weiter über die Verfuche, ihre Einheitlichkeit in Frage
zu Mellen. Als die leitenden Ideen ihres Gedankenganges
nennt er Tempel, Gefetz und Jefus: nicht bloß im heiligen
Lande hat fich Gott offenbart, darum hat auch der Mittelpunkt
des Landes, der Tempel, keinen einzigartigen Wert;
darum hat weiter der Tempelkult und damit das ihn vor-
fchreibende Gefetz keine ab (blute Giftigkeit: über Jefus ausführlicher
zu reden, wurde Stephanus am Ende feiner
Rede gehindert. Die Rede ift in dem Sinne echt, daß
fie zwar keine bis aufs Wort genaue Wiedergabe des
von Stephanus Gefprochenen ift, aber die von ihm vorgetragenen
Gedanken getreu erhalten hat; fie ift darum
ein wertvolles Dokument aus der Zeit der älteften Kirche.
In § 10, die Steinigung des Stephanus, fchließt fich Sch.
der Meinung an, daß die Hinrichtung im Volkstumulte
erfolgt fei, wobei die Anrufung des Prokurators nicht
in Frage kam. Die Notiz, die ganze Gemeinde habe fich
zerftreut, möchte er als Hyperbel anfehen; nur ein Teil
floh, der, den die Verfolgung am meiften traf, und das
waren nicht bloß die Helleniften. § 11, der Prozeß des
Stephanus in feiner Beziehung zum Prozeffe Jefu, behandelt
die Frage nach den Parallelen der beiden Berichte. Nicht
hat die Erzählung vom Tode Jefu auf den Bericht vom
Ende des Stephanus eingewirkt, fondern der Jünger hat
mit feinen letzten Worten den Meifter nachgeahmt. Im
Schlußparagraphen endlich wird die Anfchauung des
Paulus von Jefus, Gefetz und Heidenmiffion an die Anfchauungen
des Stephanus angeknüpft: bei Stephanus
war manches keimhaft vorhanden, was fpäter bei Paulus
Geftaltung gewann.

Wien. Rudolf Knopf.

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