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Ausgabe:

1911 Nr. 12

Spalte:

372-373

Autor/Hrsg.:

Lasson, Georg

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Hegel-Forschung. 2. Heft. III. Fünf Briefe Hegels an Nanette Endel. IV. Aus Hegels Berliner Zeit. V. Kleine Notizen 1911

Rezensent:

Dorner, August

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 12.

372

handelt es lieh vielmehr, daß die Offenbarungswahrheiten
,hiftorifch' betrachtet werden. Diefe Einrangierung der
Dogmen in den hiftorifchen Gefamtverlauf ift allerdings
,von der Philofophie diktiert', aber nicht die einzelnen
hiftorifchen Ergebniffe. Wenn H. zugibt, daß die Enzyklika
zunächft deutfehe Verhältniffe nicht im Auge hatte,
fo fagt er doch auf der anderen Seite, daß die päpftliche
Kundgebung auch für die deutfehen Verhältniffe,ihre hochaktuelle
Bedeutung' befitzt. Das zielt auf den Reformkatholizismus
, auch auf die katholifch-theologifchen Profef-
foren die in der internationalen Wochenfchrift' über die
Enzyklika fchrieben (Schnitzer und Ehrhard; Mausbach
wird ausdrücklich ausgenommen). ,Deshalb Rheinen auch
einzelnen deutfehen katholifchen Gemütern die Ausführungen
der Enzyklika, befonders deren Maßregeln gegen
den Modernismus, fehr unbequem zu fein'. Pofitiv hat die
Verwerfung des Modernismus diefe Wirkung: ,der Bankrott
aller Verfuche, eine Ausföhnung des chriftlichen
Dogmas mit den Grundfätzen des modernen Denkens
herbeizuführen, hat fich für den Einfichtigen längft heraus-
geftellt'; a priori .dürfen die Grundlagen des Chriftentums
unter keiner Bedingung irgendwie preisgegeben oder
verändert werden'. Man könnte diefem — in der Tat
korrekt kotholifchem — Standpunkte gegenüber fragen,
ob nicht gerade hier erft recht ,die hiftorifchen Ergebniffe
von der Philofophie diktiert' feien; fagt doch H. klipp
und klar: ,die äußerften Grenzlinien find durch das Dogma
feftgelegt'. Wer fich innerhalb ihrer hält, ,kann vollftändig
nie in die Irre gehen'. Aber das ift für den Katholiken
Alles einfach felbftverftändlich und kein Problem, nur
möchte ich zweifeln, ob es felbft den katholifchen Apologeten
in ihrer Haut behaglich wird, wenn H. ihnen kurzweg
den Bankerott aller Ausföhnungsverfuche des Dogmas
mit den Grundfätzen des modernen Denkens erklärt. Hat
dann die Apologetik überhaupt noch Zweck?! —

Wenn die Enzyklika die fcholaftifch-thomiftifche Philofophie
empfohlen hat, fo fucht H. zu zeigen, daß es fich
,nicht um eine bloße Repriftinierung' handelt; ja ,auch
nicht eine Spur eines Eingriffes in die Freiheit der philo-
fophifchen Wiffenfchaft, zumal in den ftaatlichen Anftalten
oder Univerfitäten oder überhaupt in das Studium der
profanen Disziplinen findet fich hier'. Das kann freilich
nur dadurch behauptet werden, daß die gefamte philo-
fophifche Wiffenfchaft mit alleiniger Ausnahme der Scho-
laftik, die ,die einzige, wahrhaft dauerhafte theologifche
Richtung der Vergangenheit gewefen ift', nichts leiftet; fo
lohnt es fich nicht, fich mit ihr zu befchäftigen. Was aber
die fogenannte Vorausfetzungslofigkeit der Wiffenfchaft
betrifft, fo darf man (nach H.) behaupten, der katholifche
Forfcher ,befitze fie ceteris paribus in höherem Grade,
denn er muß notwendig vorfichtiger in feinen Schlüffen,
mißtrauifcher in die Sicherheit feiner eigenen Refultate
fein als derjenige, welchem die individuelle und deshalb
fehlbare Vernunft die höchfte Instanz bildet'. Ergo ift
Rückkehr zu den Prinzipien des h. Thomas kein Rück-
fchritt, fondern Fortfehritt. Ein Widerfpruch zwifchen
Chriftentum (d. h. katholifchen Dogmen) und wie H. fagt,
.wirklich exakter Wiffenfchaft' kann a priori nicht beliehen
; von da aus verlieht es H. überhaupt nicht, wie
ich in meinen Artikeln über die Encyklika in der .Chriftl.
Welt' von einer gebundenen Wiffenfchaft reden mußte.
Die gibt es für ihn gar nicht, Urheber der natürlichen
und übernatürlichen Ordnung ift ein und derfelbe Gott,
der kann fich nicht widerfprechen. ,Wo Widerfprüche
hervorzutreten Rheinen, da beruhen diefe entweder auf
einem Fehler der Forfchung oder auf falfcher Interpretation
der Offenbarung. Beide Wiffensgebiete müffen
fich miteinander vereinigen laffen.' Wohin das führt,
zeigt einer der tüchtigften katholifchen Forfcher, Was-
mann, der gerade am entfeheidenden Punkte, der natürlichen
Entwicklung des Menfchen aus tierifchen Formen,
abfehnappt und auf das Dogma von der göttlichen
Schöpfung rekurriert. Tatfächlich korrigiert die Offenbarung
die Vernunftwiffenfchaft, und nicht umgekehrt,
weil dem Katholiken nie der Gedanke kommen darf, daß
diefe Offenbarung keine objektive Realität, vielmehr fub-
jektive Meinung ift.

Die Eidesfrage der Theologieprofefforen auch an den
ftaatlichen Univerfitäten erledigt fich nach H. als ,eine
felbftverftändliche Sache'. .Unfere theologifchen Fakultäten
fühlen fich gerade fo frei nach dem Erfcheinen
der Enzyklika fowie des Motu proprio Pius' X. als dies
vorher der Fall war'. H. hat übrigens den Text des
Eides beigegeben mit einer Überfetzung, bei der man
zu feiner Ehre wird annehmen müffen, daß fie nicht von
ihm felbft flammt. Im anderen Falle: o si taeuisses!
Sie wimmelt von tollften IRhlernl Wie gewöhnlich wird
das Bücherverbot gerechtfertigt mit dem Unheil, das
,fitten- und glaubenslofe Bücher' ftiften! Man muß fich
nur klarmachen, daß dazu z. B. auch Kant's Schriften
gerechnet werden. Das bekannte Zeitfchriftenverbot foll
.nicht direkt (aber doch wohl indirekt?) für Riehe Anftalten
gelten, deren innere und äußere Verhältniffe auf
Vereinbarungen zwifchen Kirche und Staat beruhen'.
Das Verbot der Priefterkongreffe rechtfertigt fich, weil
diefe oft ,man möchte fagen, faft fozialdemokratifches
Gepräge' trugen. ,Die Kirche ift eben keine Demokratie;
mit ihrer monarchifch - ariftokratifchen Verfaffung fleht
und fällt die Kirche'. Es gibt ja auch keine Offiziers-
kongreffel — ein feines Eingeftändnis, daß die katholifche
Religion Disziplin in erfter Linie ift.

Zu diskutieren ift mit H. nicht. Die ganze Enzyklika
ift ja nur ,felbftverftändlich', .vernünftig', .ungefährlich
'. Wenn ich meinen .Optimismus' auf die äußerfte
Höhe fchrauben will, fo vermag ich allenfalls zuzuge-
ftehen, daß fie das Alles fein kann, wenn nämlich ein
anderer Spiritus rector hinter ihr fleht als Pius X. Dann
kann fie das werden, was jetzt der alte Syllabus ift, ein
Grenzwächter, der zu Zeiten einlullen kann, zu Zeiten
aufwacht. Und es ift tröftlich, daß der offiziöfe Kommentator
der Enzyklika S. 99 felbft die Möglichkeit ins Auge
faßt, daß die Vorfchriften, weil fie rein disziplinarer Natur
find, ,bei veränderten Umftänden wieder aufgehoben oder
fonftwie in Wegfall kommen können'1. Aber gegenwärtig
jene Prädikate der Enzyklika zuzubilligen, ift mir
unmöglich, und wenn H. fehr entrüftet ift über meine
Klage, daß die Disziplinarvorfchriften der Enzyklika ein
Spitzelfyftem züchteten, den Charakter verderben ufw.,
fo ift der belle Beweis für die Richtigkeit diefer Klage —
Auditore Heiner felbft.

Zürich. Walther Köhler.

1) Nach der im Anfchluß an die Herrenhausrede von Geh. Rat
Kiifter entftandenen Preßdebatte ift dazu freilich nicht allzu viel Ausficht.

LaHon, Paftor Georg: Beiträge zur Hegel-Forfchung. 2. Heft.
III. Fünf Briefe Hegels an Nanette Endel. IV. Aus
Hegels Berliner Zeit. Gedrucktes und Ungedrucktes.
V. Kleine Notizen. Berlin, Trowitzfch & Sohn 1910.
(51 S.) gr. 8° M. 1.60

Die in diefem Heft zufammengeftellten Beiträge zur
Hegelforfchung enthalten fünf Briefe Hegels an Nanette
Endel, zu denen Laffon einige Erläuterungen gibt. Er
glaubt hiermit einen Beitrag zu geben, zu der Einficht
in das Verhältnis Hegels zu dem weiblichen Gefchlecht.
David Strauß, der diefe Briefe gelefen hat, bemerkt, wie
Laffon fagt, daß fie faft nur komifches Intereffe haben,
und in der Tat will es mir Rheinen, daß fie zur Hegelforfchung
nicht gerade allzuviel beifteuern. Immerhin
find einige Sätze in diefen Briefen charakteriftifch, wenn
er zum Beifpiel fagt: ,Was ift denn Lebendiges auf der
Welt, wenn der Geift des Menfchen ihm nicht lebendigen
Odem einhaucht. Was ift denn ftumm als das, dem der
Menfch feine Sprache nicht leiht'. Laffon betont mit
Recht, daß Hegel weit mehr Intereffe für das konkrete