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Ausgabe:

1911 Nr. 12

Spalte:

364-366

Autor/Hrsg.:

Brewer, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Frage um das Zeitalter Kommodians 1911

Rezensent:

Dräseke, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 12.

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auf die Gnofis als folche bezeichnet .. ., fo entfteht nicht
nur eine feltfame Verfchiebung des Intereffes aus dem Zentrum
in die Peripherie, fondern die Kirchengefchichte fteht
auch in Gefahr, zugunften inferiorer ,religionsgefchicht-
licher' und inferiorer literarifcher Gefichtspunkte um ihren
eigentlichen Inhalt gebracht zu werden. Dann mögen
die Mandäer wichtiger werden als die Marcioniten und
Athenagoras wichtiger als Juftin. Gewiß wird der Ver-
faffer vor folchen Konfequenzen zurückfchrecken; aber
in der Freude, in abgelegene Höhlen einzudringen, über-
fchätzt er den Wert der Funde, die dort zu machen find.'
Das find die Sätze, die ich und viele andere mit mir
als unbillig empfunden haben. Mir fcheinen fie, falva
reverentia, fogar unrichtig zu fein. Wer Bouffets Hauptprobleme
lieft oder feine Auffaffung jetzt in der konzentrierten
Form des Artikels auf fich wirken läßt, der
kann oder follte wirklich nicht auf den Gedanken kommen,
daß dabei ,inferiore' religionsgefchichtliche oder litera-
rifche Gefichtspunkte eine Rolle fpielen. Es find tat-
fächlich höchft wichtige Probleme, die da zur Sprache
kommen, recht eigentlich Ur-, Grund- und Hauptprobleme.
Und es kann doch weiter auch nicht geleugnet werden,
daß diefe Probleme geftellt und in beftimmter Weife
gelöft worden find ganz unabhängig vom und ganz ohne
Rückficht auf das Chriftentum. Es will mir fcheinen,
als dränge fich in Harnacks Kritik zu Unrecht der
kirchengefchichtliche Standpunkt an einer Stelle vor, an
der nur der religionsgefchichtliche berechtigt ift. Die
Gnofis ift tatfächlich eine Religion für fich, die fich vom
Chriftentum deutlich abhebt. Erkennen wir das an, und
ich wüßte nicht, daß Harnack es nicht täte, fo müffen
wir fie auch aus fich felbft heraus zu verftehen fuchen.
Daß uns dann von unferem (hoffentlich) geläuterten Standpunkt
manches Problem, mit dem die Gnoftiker fich herum-
fchlugen, mindeftens in der Geftalt, die fie ihm gaben,
als inferior erfcheinen mag, ift eine Sache für fich.

Stelle ich mich nämlich — und damit komme ich
zum Dritten, was mich hier intereffiert — auf den kirchen-
gefchichtlichen Standpunkt, fo erfcheinen mir die Dinge
gleich anders. Da wird in der Tat das, was Bouffet in
Nr. I5(bz. 14)—19 bringt, zur Hauptfache. Nicht, als
follte der Inhalt von 5—13 jetzt geringer gefchätzt werden,
aber er muß es fich gefallen laffen, nunmehr in die Beleuchtung
von Nr. 15—19 gerückt zu werden. 5—13
werden jetzt die Vorausfetzungen zu 15—19, und diefe
Paragraphen werden naturgemäß gegenüber jenen einen
ganz anderen Umfang und eine ganz andere Bedeutung
gewinnen. Ob Bouffet das beftreiten wird? Sicher nicht.
Aber ich möchte nun meinerfeits auf das fchärffte betonen
, daß der Kirchenhiftoriker es fich mit Fug verbitten
müßte, wenn nun etwa die Herren Religions-
hiftoriker feinen Standpunkt und feine Gefichtspunkte als
inferior bezeichnen wollten. Und hier ift m. E. die Ge- !
fahr, die Harnack fo ftark empfindet, bei gegenwärtiger i
Lage der Dinge nicht zu verkennen. Hier kann wirklich
eine ,feltfame Verfchiebung des Intereffes aus dem Zentrum
in die Peripherie' eintreten, nämlich dann, wenn man dem
Kirchenhiftoriker zumutet, die Mandäer für wichtiger zu
halten als die Marcioniten. Ich flehe gar nicht an, zu
fagen, daß für meine Vorlefungen nicht nur, fondern auch
für meine wiffenfchaftliche Arbeit das volle Intereffe an
der Gnofis erft einfetzt, wo fie vom Chriftentum beeinflußt
wird oder es ihrerfeits beeinflußt. Würde das inferior
fein? Mag, um ein Beifpiel zu wählen, ,die Einführung
der Erlöfergeftalt Jefu in ein vorhandenes Syftem
bei den Gnoftikern des Irenäus und den Valentinianern'
(Bouffet 1525 f.) dem Religionshiftoriker ,künftlich' erfcheinen
, der Kirchenhiftoriker wird hier anders urteilen
und ficher nicht unrichtig. Mit demfelben Recht könnte
von der Warte deffen, der außerhalb des Chriftentums
feinen Standpunkt nimmt, die Synthefe von Logos und
Jesus beim 4. Evangeliften als ,künftlich' in Anfpruch genommen
werden, während fie einer anderen Betrachtung |

als genial erfcheint. So ift auch mir die theologifche
(richtiger theofophifche) Arbeit Valentins ftets als höchft
bedeutfam erfchienen, und, wenn man mich nach meiner
perfönlichen Auffaffung fragt, fo fage ich: der eine
Valentin, der chriftliche Gnoftiker, ift mir wichtiger als die
Mandäer e tutti quanti zufammengenommen. Diefe Auffaffung
foll mich und follte uns alle aber nie dazu verführen
, die religionsgefchichtlichen und literarifchen Probleme
, die uns die Gnofis als Gefamterfcheinung aufgibt,
gering zu achten. Auch nicht in der Vorlefung. So
gewiß hier der Nachdruck auf dem liegen muß, was
Bouffet in Nr. 15—19 ausführt, und zwar unter lebendigfter
Berückfichtigung der Einzelperfönlichkeiten, die in B.s
Überficht wohl fchon deshalb nicht hervortreten, weil fie
befondere Artikel erhalten werden, fo gewiß wollen wir
nicht vergeffen, unfere Studierenden mit dem vertraut
zu machen, was Bouffet m. E. mit vollem Recht als
,Hauptprobleme' der Gnofis bezeichnet hat, und ihnen fo
die Augen dafür zu fchärfen, von welchem Hintergrund
fich die Löfungen der Probleme abheben, die wir als die
reiferen und tieferen aufzufaffen aus der Gefchichte gelernt
haben.

Gießen. G. Krüger.

Brewer, Dr. Heinr., S. J.: Die Frage um das Zeitalter Kommo-
dians. (Forfchungen zur chriftlichen Literatur- und
Dogmengefchichte. X. Bd., 5. Heft.) Paderborn, P
Schöningh 1910. (IX, 71 S.) gr. 8° M. 2.60

Daß Brewers Ergebniffe in feiner glänzenden Unter -
fuchung vom J. 1906 über Kommodian von Gaza, die
diefen mit zwingenden Gründen als einen Arelatenfifchen
Laiendichter aus der Mitte des S.Jahrhunderts und deffen
Schriften als zwifchen 458 und 466 entftanden erwies,
vonfeiten katholifcher Forfcher, unter denen fich, mehr
noch als auf proteftantifcher Seite, öfter ein dem Fort-
fchritt nicht fonderlich geneigtes wiffenfchaftliches Beharrungsvermögen
geltend macht, angefochten und zurück-
gewiefen werden würden, konnte man mit einer gewiffen
Beftimmtheit vorausfehen. Es ift aber fehr erfreulich,
daß der Verf. Gelegenheit gefunden hat, in der vorliegenden
Schrift auf diefe für die Gefchichte des lateinifchen
Schrifttums fo wichtige, ja grundlegende Frage noch einmal
zurückzukommen und mit den jüngften Vertretern
der alten Anficht, welche Kommodian dem 3. Jahrhundert
zuwies, Lejay,Weyman und Zeller, fich auseinanderzufetzen.
Mit Recht fieht Brewer in der fchroffen Gegenfätzlichkeit
der von den genannten Gelehrten geäußerten Anflehten
und Urteile einen Hinweis darauf, daß in deren Vorausfetzungen
oder Schlußfolgerungen nicht unerhebliche
Fehler verborgen fein müffen. Darum hat er es für feine
Pflicht gehalten, der Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit
der Ergebniffe, der Zuverläffigkeit oder Mangelhaftigkeit
des angewandten Beweisverfahrens durch erneute Prüfung
fich zu verfichern. Zum Zwecke der Ergänzung und
weiteren Ausführung einiger in feinem größeren Werke
nur kurz oder überhaupt nicht berührter gefchichtlicher
Tatfachen, hat er im erften Abfchnitt der vorliegenden
Schrift (S. 1—20) dem Gebrauch des Wortes iudex als
Amtstitels für kaiferliche Statthalter, der Klage über die
,feit lange alle marternden tributa', der von Kommodian
erwähnten geringen Zahl und Armut der Götzenpriefter,
dem freiwilligen Rückfall ins Heidentum und feiner Be-
ftrafung, der Benutzung der ,Apoftolifchen Konftitutionen'
in den Dichtungen, fowie dem formellen Gegenfatz Kom-
modians zum Semipelagianismus und feinem Anfchluß
an die Gnadenlehre Auguftins — befondere Unter-
fuchungen gewidmet, die das, was er fchon 1906 überzeugend
dargetan, zur vollen Klarheit und zur Gewißheit
der Erkenntnis erheben, ,daß der Dichter weder in cypri-
anifcher Zeit, noch zu Anfang des 4. Jahrhunderts, fondern
im 5. und zwar in deffen Mitte gelebt hat'. In einem