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Ausgabe:

1911 Nr. 12

Spalte:

358-360

Autor/Hrsg.:

Steinmetzer, Franz X.

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der Geburt und Kindheit Christi und ihr Verhältnis zur babylonischen Mythe 1911

Rezensent:

Gunkel, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 12.

358

Cafpari, Lic. Dr. Wilh.: Vorltellung und Wort „Friede" im
Alten Teltament. (Beiträge zur Förderung chriftlicher
Theologie. XIV, 4.) Gütersloh, C. Bertelsmann 1910.
(168 S.) 8» M. 3 —

Den Beiträgen zur altteftamentlichen Wortforfchung,
die feit etlichen Jahrzehnten die organifche Belebung der
hebräifchen Lexikographie zu fördern begonnen haben —
Kautzfeh: sdq; Baudiffin: qds, Krätzfchmar: Berith u. a. —
fchließt fich Cafpari, wie fchon früher mit feiner Abhandlung
über die Wortfippe kbd, fo auch mit der vorliegenden
Schrift an. Aber in eigenartiger Weife. Nicht vom
Wort salöm nimmt er feinen Ausgang, fondern von zwei
anderen Orientierungspunkten. Einmal von der als bekannt
und deutlich vorausgefetzten Gemeinvorftellung, die
mit dem Worte Friede verbunden zu werden pflegt: auch
ohne die Bezeichnung salöm begegne fie im A. T., als
Naturfriede, Völkerfriede, Gottesfriede (Jef. u,6ff. 2,2ff.
4,2 etc.); jene Bezeichnung fei nicht urfprünglich für fie
gefchaffen, fondern .irgendwann' geeignet gefunden worden,
ihren Inhalt auszudrücken (S. 37). Den andern Ausgangspunkt
bildet der abfchließende Gebrauch des Wortes
elQTjvrj im N. T.: Friede der .Inbegriff der Segnungen der
meffianifchen Zeit', deffen konzentrierten Ausdruck C. in
Luc. 2,14 findet (S. 41 ff.). So formiert fleh für den Vf.
die Aufgabe, die .tiefen Wurzeln diefes Neuteftament-
lichen Begriffs in der vorausgegangenen jüdifchen und
israelitifchen Geiftesgefchichte' aufzudecken (S. 37. 43).
Eine Aufgabe deren Lösung naturgemäß nicht auf chrono-
logifch voranfehreitendem, fondern auf retrogradem Wege ,
zu fuchen fei. Diefen Weg verfolgt der Verf. über die
griechifch-jüdifche Literatur, die nachexilifche und vor-
exilifche Prophetie und die Pfalmen hinauf bis Jefaja. Die
Momente des äußeren Wohlftandes, der Harmonie im
privaten und öffentlichen Leben, der Stiftung und Garantie
durch Gott treten, bald das eine bald das andere in
den Vordergrund des Begriffs. Beiläufig erfahren wir, daß
daneben bei Jeremja auch das Moment der Unverfehrt-
heit, Genefung, Heilung begegnet; abfchließend wird das
unbeftimmte .Irgendwann' der Aneignung des Wortes
salöm für den Gefamtbegriff durch Jef. 9,1—6 gefchicht-
lich fixiert. Erft hier, im zehnten Kapitel der Abhandlung
, fchließt fich die philologifche Unterfuchung an; von
dem Intenfiv- und dem Kaufalftamm ausgehend gelangt
fie über das Kai und das Adjektivum salem zum Nomen
salöm und deffen Verwendungen in Perfon-, Orts- und
Gottesbezeichnungen, im Gruß und verwandten Formeln.
Ein Schlußkapitel ergänzt die retrograde Betrachtung
durch eine Skizze des Bildes, das fich von ihr aus für
die gefchichtlich fortfehreitende ergibt. In vorgefchicht-
licher Zeit als Ausdruck für unverfehrten Zustand gebraucht
, aber fchon früh, wie der Gruß zeigt, in den
Vorftellungsrahmen eines Verhältniffes zwifchen zweien
gefaßt und durch Verknüpfung mit der Vertragsweihe
religiös gefärbt, hat die Friedensvorftellung beim Seßhaftwerden
der Israeliten in Kanaan eine ftarke Bedeutung
erlangt. Ihre Zurückdrängung durch den mannhaften und
fiegesfrohen Geift der erften Königszeit bekundet fich
noch darin, daß die epochemachende Aufrichtung des
Vollbegriffs mit dem Namen salöm bei Jefaja doch den
Völkerfrieden mit der Hegemonie des Zion auszustatten
nicht unterläßt. Der weitere Verlauf findet fürs Alte
Testament feine abfchließende Höhe in der Stelle Pf.
85,9, in der Jahve felbft nicht bloß als Geber und Garant
, fondern als Kompaziszent des Friedens eintritt. —
Die kleine Schrift ist reich an Anregungen, an finnigen
Beobachtungen und fcharffinnigen Schlußfolgerungen. Ob
allerdings der vom Verf. gewählte Gang der Unterfuchung
feiner im Vorwort ausgefprochenen Abficht, durch
diefen Beitrag zu einer .genetifch-fyftematifchen' Lexikographie
den .Exegeten und auch den Studierenden eine
Quelle von Vereinfachungen' zu erfchließen förderlich fein
wird, ist mir um fo fraglicher, als die grüblerifche, bald

springende bald zufammenpackende Darfteilung des
Verfaffers Lefung und Uberficht fehr erfchwert.

Berlin. P. Kleinert.

Steinmetzer, Priv.-Doz. Prof. DD. Franz X.: Die Gefchichte
der Geburt und Kindheit Chrilti u. ihr Verhältnis zur
babylonifchen Mythe. Eine religionsgefchichtl. Unter-
fuchg. (Neuteftamentliche Abhandlgn.II.Bd. 1.—2.Heft.)
Münster i.W.,Afchendorff 1910. (VIII, 218 S.) gr.8° M.5.70

Der Verfaffer unterfucht, ob zwifchen der Geburts-
gefchichte Christi und dem Babylonifchen eine Beziehung
anzunehmen ist. Sein Ergebnis ist im allgemeinen ein
negatives. Die Idee der Jungfrauengeburt läßt fich in der
babylonifchen Uberlieferung überhaupt nicht nachweifen.
Die Erzählung vom bethlehemitifchen Kindermord ist
Gefchichte und geht weder auf einen babylonifchen
Mythus zurück noch hängt fie mit den übrigen ähnlichen
Erzählungen, die man verglichen hat, zufammen. Dem
bekannten Kapitel Ap. Joh. 12 liegt keine Tradition zugrunde
; an eine Entlehnung aus einem babylonifchen,
ägyptifchen oder griechifchen Mythus kann nicht gedacht
werden; nur die Gestalten des Sonnenweibes und des
fiebenköpfigen Drachen find wahrfcheinlich von Babylon
her beeinflußt. Auch die Erzählung vom 12jährigen Jefus
ist Gefchichte und hat keine heidnifchen Vorbilder.

Unfere katholifchen Kollegen machen es uns nicht
ganz leicht, ihre biblifchen Studien zu beurteilen. Denn
einerfeits find fie ganz geworden wie unfer einer: fie lefen
unfere Bücher aufs eifrigste, gehen auf unfere Beweisführungen
ein und fuchen uns mit unferen eigenen Waffen
zu fchlagen. Sieht man aber auf den Kern der Sache,
fo bleiben fie eben auch als Bibelforfcher an die Lehre
ihrer Kirche gebunden. Wenn fie fich alfo in biblifchen
Fragen auf die Auseinanderfetzung mit der modernen
Forfchung einlaffen, fo tun fie es nicht, weil fie in eine
wirkliche Unterfuchung über die Wahrheit der kirchlichen
Auffaffungen eingehn wollen, fondern um zu zeigen, daß
diefe Wahrheit, die ihnen ja fchon aus anderen Gründen
feftfteht, auch durch folche Argumente bewiefen werden
kann, ,die der Wiffenfchaft entnommen find und von den
Gegnern anerkannt werden' (Zapletal, Uber einige Aufgaben
der katholifchen altteftamentlichen Exegefe S. 9).
Sie müffen aber fchon entfchuldigen, wenn wir unferfeits
dies Verfahren nicht für eigentlich wiffenfehaftlich halten.
Denn wir können eine wiffenfehaftliche Verhandlung nur
dort finden, wo es fich um ein Suchen nach Wahrheit
handelt und das Ergebnis weder im einzelnen noch im
anzen durch irgend eine Autorität vorher gegeben ist.
o fehr wir alfo auch Gelehrfamkeit, Scharffinn und alle
anderen, noch fo guten Eigenfchaften unferer katholifchen
Bibelforfcher anzuerkennen bereit find, fo darf es fie doch
nicht wundern, wenn unfere Freude an ihrer Mitarbeit
eine gedämpfte ist.

Auch dem Verfaffer feien gerne alle Ehrenprädikate
zugebilligt: eine anerkennenswerte Kenntnis der modernen
Forfchung, tüchtige Sprachkenntnis: er ist in der Lage,
Babylonifch.es in eigener Uberfetzung zu geben, musterhafte
Übersichtlichkeit und Klarheit, gefchickte und zugleich
vornehme Polemik, auch gegen den Unterzeichneten
. Aber nicht zu verhehlen ist, daß er feinen Problemen
nicht in voller Freiheit gegenübersteht. Denn
nach katholifcher Auffassung find die evangelifchen Erzählungen
von der Geburt Jefu eine hiftorifche Wirklichkeit
, nicht Sage; und die jungfräuliche Geburt Jefu ist gar
ein Dogma, das der Katholik anerkennen muß. Dies
Dogma kann alfo nach katholifcher Lehre gar nicht aus
dem Babylonifchen stammen, und die Geburtsgefchichte
Jefu kann nicht eine Rezension einer auch bei anderen
Völkern vorhandenen Sage fein. Demnach müffen die
beiden Stammbäume Jefu fich irgendwie vereinigen laffen
(S. 8 ff.). Und die Vifionen der Apokalypfe find nach

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