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Ausgabe:

1911 Nr. 1

Spalte:

346

Titel/Untertitel:

Das Evangelium Christi. Mit einigen erläuternden Anmerkungen von Carl Hilty 1911

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Seite 1

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345

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. II.

die doch durchaus relativ find und uns deswegen die
reine Wahrheit verbauen. Sollten ihm bei diefer letzten
wunderlichen Feffel dunkel, fehr dunkel, Kants apriorifche
Verftandesbegriffe vorgefchwebt haben? So dilettiert und
phantafiert das weiter. In großen Sätzen fpringt der
vielleicht nicht ganz unbelefene Schriftfteller von Sokrates
zur .Weisheit Odins', von Mohammed zu Karl du Prel,
und fo fort. Auch für den Theologen fallen gleich vorne
einige Brofamen ab: Luther hat die Verbrennung Servets
höchlich gelobt und gepriefen (! S. 25); die fanatifche
Seite im Charakter Jefu Chrifti, feine Intoleranz, war wohl
nur eine Verirrung feiner letzten Jahre, in feiner guten
Zeit, der Zeit der Bergpredigt, hielt er fich davon vielleicht
ganz frei (! S. 26). Nachdem wir in der Vorhalle
des Tempels verfchiedentlich und gefährlich geftolpert
find, wäre es höchft unbefonnen, wollten wir uns auch in
das Heiligtum und gar das Allerheiligfte hineinwagen.
Nur fo viel fei mitgeteilt, daß fich dort ein feltfam aus-
ftaffierter, fpiritualiftifch-materialiftifcher Pantheismus breit
macht

Fallersleben. Wilhelm Thimme.

Riem, Dr. Johannes: Natur und Bibel in der Harmonie ihrer
Offenbarungen. Ein Handbuch moderner Forfchung, in
Verbindung mit Prof. Dr. Otto Hamann und Dr. Karl
Hauferherausgegeben. Mit 17Bildertafeln. Hamburg,
Agentur des Rauhen Haufes 1910. (XVI, 365 S.) gr. 8°

M. 4.50; geb. M. 5 —

Drei Verfaffer geben fich hier die vergebliche Mühe,
die Weltanfchauung heutiger Naturforfchung mit dem
,biblifchen' Weltbilde auszugleichen, und machen aufs neue
den verhängnisvollen Fehler, das letztere durch möglichfte
Umdeutung, Erweiterung und Umgeftaltung fo zu ftrecken
und zu dehnen, daß heutige Kosmologie, Phyfik und
Biologie fich nicht zu fehr mit ihm ftößt. Das nennen
fie eine .Harmonie', und noch dazu eine Harmonie von
.Offenbarungen', fo daß das alte Mißverftändnis aufs neue
geftärkt wird, als ob die .Offenbarung' fich irgendwie
auch auf Vorwegnahme von Erkenntniffen erftrecke, die
zu finden Sache naturwiffenfchaftlicher Forfchung ift. Der
Untertitel ,ein Handbuch moderner Forfchung' ift anmaß-
lich. Am bedauerlichften ift der Abfchnitt über den
Offenbarungscharakter der Sintflut-Erzählung. Völlig
ahnungslos gegenüber den Methoden und Ergebniffen der
Erforfchung des primitiven Mythus wird hier der ,con-
sensus gentium' — nach bequemen vorliegenden Sammlungen
— abgefragt, der mit Leichtigkeit nicht nur für
Sintflutfagen, fondern ganz ebenfo für jeden charakteri-
ftifchen Beftandteil des primitiven Mythus aufzutreiben
ift. Urquhart wird als Autorität zitiert. Und eben fo
kenntnislos wie die Mythenkunde wird die Geologie behandelt
, und die Schwemmfande und Breccien, die in
jedem geologifchen Zeitalter gebildet und von jedem
folgenden zu beliebigen Höhenlagen aufgeftaucht werden
konnten, muffen für die .Sintflut' zeugen.

Eine Menge nützlicher Kenntniffe aus neuerer For-
lchung, Erkenntnis und Hypothefe ift eingearbeitet. (Das
bei weitem Befte leiftet in diefer Hinficht Hamann im
dritten Teile mit feiner vorfichtigen, zugleich durchaus
auf den Boden einer befonnenen Entwicklungshypothefe
tretenden Abhandlung über Herkunft und erftes Auftreten
des Menfchengefchlechtes. Er hat fich fchon vor 19
Jahren in einem zu wenig gelefenen Werke .Entwicklungslehre
und Darwinismus' fehr verdient gemacht um eine
Korrektur der Darwiniftifchen Formen der Abftammungs-
lehre, und man darf fagen, daß faft alle feine damals
gemachten Auf- und Ausftellungen in der jüngeren bio-
Iogifchen Richtung von heute fich mehr und mehr gegenüber
dem Darwinismus durchfetzen.) Aber eine tiefere
Behandlung der Frage nach dem Verhältniffe des Überweltlichen
zum Weltlich-Kreatürlichen fehlt durchaus. Und

was aus allem offenbar wird, ift eben diefes, daß auch
für Forfcher diefer Richtung das .biblifche', nämlich das
primitive, vorwiffenfchaftliche Weltbild fchlechterdings und
unwiderrufbar dahin ift. Nicht das ift die Aufgabe der
Apologetik von heute, die Vereinbarkeit heutiger Weltanficht
mit diefem nachzuweifen ■— eine unnatürliche
Aufgabe — fondern feine Vereinbarkeit mit dem Gottesglauben
felber. Im Grunde meinen die Verfaffer auch
weiter nichts als diefes und brauchen dafür nur einen
verfänglichen und falfchen Titel. Und zugleich behandeln
fie diefe große und für unfere Zeit fo wichtige Frage
mit ganz unzureichenden Mitteln.

Göttingen. R. Otto.

Das Evangelium Chrifti. Mit einigen erläuternden Anmerkungen
von Prof. Dr. Carl Hilty. (Beftimmungsgemäß
nach Prof. Hiltys Tode herausgegeben von A. R.)
Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. — Frauenfeld
, Huber & Co. Verlag 1910. (XV, 316 S.) 8°

M. 3—; geb. M. 4 —; in Leder M. 5.50

Auer, Heinr.: Carl Hilty. Blätter zur Gefchichte feines
Lebens und Wirkens. Gefammelt und zum Kranz gewunden
. Bern, K. J. Wyß 1910. (III, 217 S. m. 1
Bildnis.) 8° M. 3.20; geb. M. 4 —

1. Im Anfchluß an die Überfetzung des N. T. von B.
Weiß hat H. in 113 Stücken ein .Leben Jefu' zufammen-
geftellt, das er mit 5 weiteren Stücken aus der Apoftel-
gefchichte (Himmelfahrt) und der Offenbarung (Send-
fchreiben an die Gemeinden und Schluß) abfchließt. Das
Wichtigfte an diefem Buch ift weniger die Art der Zu-
fammenftellung aus den vier Evangelien als die Fülle
von Anmerkungen unter dem Text. Sie geben uns den
ganzen Hilty. Er ift immer derfelbe feine, tiefe und
felbftändige Geift.

Er ift bald ftachlig gegen die Orthodoxen, und dann
wieder verfteht er die Grundtiefe der Orthodoxie aus-
zufprechen, bald äußert er fich fcharf gegen liberale
Meinungen, und dann ift er wieder fo ganz Geift vom
Geift der neuern hiftorifchen Theologie. Ahnlich ftellt er
fich zu Pietismus und Gemeinfchafts-Chriftentum. Immer
faßt er das Evangelium ganz tief und ftellt es mit einer
Fülle von feinen Bemerkungen mitten in unfer Menfchen-
und Weltleben hinein. Befinnliche Leute werden ihre
große Freude an dem Buche haben, und daß durch den
Wegfall der Verszahlen und der abgeteilten Verfe der
Text des N. T. eine andere Geftalt als die gewohnte
zeigt, bedeutet für viele von folchen Befinnlichen ficher
eine erfrifchende Neuerung.

2. Wer Hilty manches verdankt, intereffiert fich um
fo mehr für feine Perfönlichkeit, als fie in ihrer Eigenart
und Kraft das Hauptwerkzeug für feine Wirkfamkeit und
die Quelle jener dankenswerten Wirkung gewefen ift und
bleibt. A. hat uns aus intimer Kenntnis heraus ein Bild
von H. gezeichnet. Es ift im bellen Sinne erbaulich.
Seiner äußeren und inneren Entwicklung geht A. nach.
Man bekommt einen Eindruck von H.s Wirken als Gelehrter
, Politiker, Schriftfteller und Menfch. A. läßt ihn reichlich
felbft zu Worte kommen. Das Ganze ift weniger
eine Biographie im ftrengen Sinne des Wortes als eine
begeifterte und dankbare Schilderung des Eindrucks und
Einfluffes, der von ihm ausging. Vielleicht wird diefes
Gewand der Geftalt Hiltys felbft mehr gerecht als eine
Biographie, die er fich felbft verbeten hatte.

Heidelberg. F. Niebergall.