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Ausgabe:

1911 Nr. 11

Spalte:

339-340

Autor/Hrsg.:

Opet, Otto

Titel/Untertitel:

Brauttradition und Konsensgespräch in mittelalterlichen Trauungsritualen 1911

Rezensent:

Sehling, Emil

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Seite 1

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339

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. II.

340

wo er auch (wann?) geftorben ift, hat er fich einen Namen
als berühmter Talmudift und Erklärer des jüdifchen
Religionsgefetzes erworben. In einem von Nachmanides
verfaßten Nachruf wird er als ,der Meifter der Tugend,
der Unvergleichliche an Reinheit' gepriefen (S. 12). Sein
Grab in Toledo war längere Zeit eine Wallfahrtsftätte
frommer Juden. Die ganze Wirkfamkeit R. Jona's war
beftimmt durch fein Eintreten in den Kampf um die
Schriften des Maimonides (f 1204). Diefer hatte verfucht,
die griechifche Philofophie mit der jüdifchen Religion zu
verföhnen, wobei den orthodoxen Juden die väterliche
Religion zu kurz zu kommen fchien. R. Jona trat auf
die Seite der Antimaimuniften und fuchte im Unterfchied
zu dem griechenfreundlichen Maimonides, die jüdifche
Religion aus fich felbft heraus zu erklären (S. 17), obwohl
er in feiner Weife auch dem Rationalismus feiner Zeit
feinen Tribut zahlen mußte. Wie fo häufig hat die Nachwelt
einen Kompromiß zwifchen den Antipoden gefchloffen.
Sie läßt den Maimonides als den größten jüdifchen Philo-
fophen des Mittelalters gelten, feiert aber gleichzeitig den Jona
b. Abraham mit dem Ehrentitel ,Rabbenu' und nennt
ihn den Heiligen und Frommen (S. 19). Der von Löwenthal
zum erften Male edierte Proverbienkommentar ift
wichtig für die Kenntnis der Ethik R. Jona's. Die Ethik
der Sprüche ift für R. Jona normativ. Gleichzeitig legt
aber der Verfaffer in die Sprüche feine eigenen ethifchen
Empfindungen hinein, in der — wiffenfchaftlich völlig
haltlofen — Überzeugung, ,daß alles fcheinbar neu Erkannte
im Bibelwort längft angedeutet und enthalten ift'
(S. 19).

Die Herausgabe des Kommentars, durch die fich L.
gewiß ein Verdienft um die jüdifche Literaturgefchichte
des Mittelalters erworben hat, ftützt fich vor allem auf
eine Oxforder Handfchrift. Sie ift ein Torfo. Es fehlt
Kap. 5, von Kap. 6 ift nur Vers 24 kommentiert. Ferner
fehlen Kap. 7—9 und 25—31. Wie es fcheint, hat R.Jona
felbft feinen Proverbienkommentar unvollendet gelaffen,
indem er durch den Tod an der Fertigftellung gehindert
war. Außer der Charakteriftik der exegetifchen Methode
R. Jona's und der von ihm benutzten Quellen in feinem
Kommentar, erhalten wir von L. auch noch einige gelehrte
Nachweife über die Einwirkung unferes Kommentars
auf die exegetifche und ethifche jüdifche Literatur
der Folgezeit.

Heidelberg. Georg Beer.

Opet, Otto: Brauttradition und Konfensgelpräch in mittel
alterlichen Trauungsritualen. Ein Beitrag zur Gefchichte
des deutfchen Ehefchließungsrechts. Berlin, F.Vahlen
1910. (160 S.) 8° M. 3.60

Der Verfaffer hat fich eine recht dankenswerte Aufgabe
geftellt: auf Grund der mittelalterlichen Trauungsrituale
den Urfprung und die rechtliche Bedeutung der
Brautübergabe und des Konfensgefprächs klar zu legen.
Eis führt dies mitten in die grundlegenden Fragen des
Ehefchließungsrechts hinein.

Die priefterliche Tätigkeit bei der Ehefchließung be-
ftand urfprünglich in der Segnung der bereits gültig ge-
fchloffenen Ehe. Einer fpäteren Epoche gehören die
Rituale an, bei denen der Priefter unzweifelhaft eine Brauttradition
vornimmt und zwar ohne vorher die Zuftimmung
der Braut irgendwie zu erforfchen, ähnlich wie dies bei
der älteren germanifchen Ehefchließung der Muntwalt tat.
Diefe geiftliche Brauttradition ift, wie der Verfaffer nachweift
, ein Inftitut von allgemeiner Bedeutung und weiter
Verbreitung gewefen. Wie ift fie zu erklären? Wie ift
diefe Funktion des Priefters hiftorifch erwachfen? Opet
fpricht fich gegen alle bisherigen Anflehten aus; gegen
Sohm und die Communis opinio (der Priefter fei an die
Stelle des gekorenen Vormunds gerückt), gegen Friedberg
(der Vorläufer des Priefters fei der Fürfprecher, der orator,

gewefen), gegen Brandileone und v. Hörmann (Priefter =
Trauungsmittler). Nach Opet ift die Brautübergabe bereits
im Ausgange der römifchen Kaiferzeit ein Beftandteil
des chriftlichen Ehezeremoniells gewefen und als folches
mit der Chriftianifierung der Germanen von diefen rezipiert
worden. Obfchon das vom Verfaffer vorgebrachte reiche
Material volle Würdigung beanfprucht, habe ich mich
von feinen Ausführungen doch nicht voll überzeugen laffen
können. Der zweite Teil behandelt das ,Konfensgefpräch'.
Diefes foll nach Opet kein auf kirchlicher Grundlage er-
wachfener Beftandteil des Eherituals fein, vielmehr aus
weltlicher Rechtsfitte rezipiert, Nachahmung einer Konfens-
befragung der Verlobten fein, die bereits zu Beginn des
11. Jahrhunderts Gemeingut folcher Germanenftämme gewefen
fei, deren Rechtsordnung die Gefchlechtsvormund-
fchaft ablehnte. Meiner Anficht nach muß diefer zweite
Beftandteil der Ritualien in einen hiftorifchen Zufammen-
hang zum erftbehandelten gebracht, und daraus die
Stellung des Priefters hiftorifch abgeleitet werden —
worauf aber an diefer Stelle nicht näher eingegangen
werden kann. — Die gelehrten und gediegenen Unter-
fuchungen Opets, die einer bisher vernachläffigten Quellengruppe
gerecht werden, verdienen in vollftem Maße Beachtung
und Anerkennung.

Erlangen. E. Sehling.

Knodt, Dir. Prof. D. Emil: Die Bedeutung Calvins und des
Calvinismus für die proteltantilche Welt im Lichte der
neueren und neueften Forfchung. (Vorträge der theo-
logifchen Konferenz zu Gießen 30. Folge.) Gießen,
A. Töpelmann 1910. (71 S.) gr. 8° M. 1.80

Ein Rundgang durch die neue und neuefte Calvin-
forfchung, der nach den zahlreichen Veröffentlichungen
des Calvinjahrs dankbar zu begrüßen ift. Nach der Aufzählung
einer ftattlichen Reihe von Unterfuchungen, Darftellungen
und Vorträgen, deren Charakteriftik in den wertvollen
Anmerkungen (S. 50—71) gegeben wird, verweilt
Kn. befonders bei den Schriften, die Calvins Bedeutung
für die proteftantifche Welt, für die moderne Kultur und
das wirtfehaftliche Leben beleuchten. In diefem Zufammen-
hang erfahren die Arbeiten Kuypers, Webers, Rachfahls
und Troeltfchs eine eingehende Beurteilung. Zuletzt bringt
der Vf. eine gedrängte Überficht der ,dauernden Segensfrüchte
des Calvinismus für die proteftantifche Welt'. Zu
denfelben rechnet er folgende: Die ernfte Auffaffung der
chriftlichen Religion nach der fittlichen Seite, als Gehorfam
neben dem Vertrauen; die Bedeutung des chriftlichen
Lebens im Kirchenbegriff (Kirchenzucht) und dieElrziehung
der Gemeindeglieder zur Selbftändigkeit und zur Mitarbeit
in den Gemeinden; die Betonung der Notwendigkeit der
Gemeindediakonie, befonders der Armenpflege; Anbahnung
und Pflege der äußeren und inneren Miffion; Pflege des
ökumenifchen Sinnes in der evangelifchen Kirche und
Beförderung der Miffionsbeftrebungen; konfequenter, radikaler
Bruch mit dem römifch-katholifchen Chriftentum;
Geltendmachung der Gewiffensfreiheit und Toleranz im
Bunde mit dem dem Calvinismus verwandtenlndependentis-
mus, Baptismus und Quäkertum; Einwirkung des religiöfen
Faktors auf das ftaatliche und kommunale Leben; Betonung
des fittlichen Charakters der Arbeit, Wertfehätzung des
Handels und der Induftrie, Bekämpfung des Verbots des
Zinsnehmens; Einfluß auf Kunft und Wiffenfchaft, befonders
auch auf Theologie, fpez. Exegefe; Pflege des Wirklichkeits-
finnes, befonders bei holländifchen und englifchen Gelehrten
und Naturforfchern. In diefer allgemeinen Formulierung
werden manche diefer Thefen wohlbegründeten Wider-
fpruch, oder mindeftens berechtige Bedenken hervorrufen.
So dürfte das oft gehörte Urteil, das Rembrandts Kunft
auf calviniftifche Einflüffe zurückführt, nicht einwandfrei
fein (S. 15—17); auch Kuypers Hinweis auf,Bourgeois und
Goudimel, Paleftrinas Lehrmeifter, die in derTonkunft Un-