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Ausgabe:

1911 Nr. 11

Spalte:

327-329

Autor/Hrsg.:

Denney, James

Titel/Untertitel:

Jesus and the Gospel. Christianity justified in the Mind of Christ 1911

Rezensent:

Wernle, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. II.

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tannaitifchen Zeit' zu bezeichnen. Den Tannaiten
Jofua (S. 46) und Meir (S. 60) gibt er den Titel ,Rab',
der nur den Namen der babylonifchen Amoräer vorgefetzt
wird. In der Mifchna, Kethub. I, 5 (12 a) wird ein
eherechtlicher Ufus des alten priefterlichen Gerichtshofes
(natürlich aus der Zeit des Tempels) berichtet; der Ver-
faffer fieht darin einen Bericht aus ,der Zeit der Redaktion
der Mifchna'. Von diefen und ähnlichen Fehlern abge-
fehen, verdient der Verfaffer die Anerkennung, eine prä-
zife Darfteilung des talmudifchen Eherechtes geboten zu
haben, bei der er auch vielfach die Meinungen der
fpäteren Deciforen heranzieht. Der in 11 Kapiteln zerfallenden
Darftellung (S. 23—78) fendet er zwei einleitende
Kapitel voraus, in denen er namentlich die in Z. Frankels
Grundlinien des mofaifch-talmudifchen Eherechtes fich
findenden Anfchauungen vom Begriff der jüdifchen Ehe
kritifiert. Es ift hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen
; aber es muß betont werden, daß der Verfaffer
weder Z. Frankel, dem er vorwirft, feiner ,Phantafie' gefolgt
zu fein, noch dem jüdifchen Ehebegriffe gerecht wird.

Ein bedauerliches Verfehen läßt (ich der Verfaffer (S. 73) in der
Wiedergabe von M. Kethub VII, 6 zu Schulden kommen, indem er für
Itlill lieft: VIP^ und überfetzt: ,feine Kinder'. Sonderbar ift der
Plural Berajoth (S.' 30, 52) ftatt Barujthoth. Ein Hörendes Kuriofum ift
die konfequente, unzähligemale vorkommende Schreibung „Gemarha"
(ft. Gemara), ferner fchreibt Verf. ftets Mifna für Mifchna. Der Talmud-
kommeutar Rafchi heißt bei ihm Rafi, und er bekommt (S. 7, Anm. 20)
das grundlofe Epitheton: ,ein berühmter Arzt'.

Budapeft. VV. Bacher.

Denney, Prof. James, D. D.: Jelus and the Gospel. Chri-
stianity justified in the Mind of Christ. London, Hod-
der&Stoughton MCMVIII. (XVI, 418 S.) gr. 8° s. 10.6

Der Verfaffer, Profeffor am United Free Church College
in Glafgow, verfolgt mit feinem Buch einen praktifchen
Zweck, der im Schlußabfchnitt deutlich hervortritt. Er
möchte die zerfplitterte ,evangelifche' Chriftenheit in
Großbritannien dem Ziel der religiöfen Einigung näher
führen durch die Forderung der Aufhebung der be-
ftehenden Bekenntnisverpflichtung in allen evangelifchen
Kirchen und den Vorfchlag eines einfachen, nicht doktrinären
, fondern religiöfen Glaubensausdrucks etwa in
der Formulierung: ich glaube an Gott durch Jefus Chri-
ftus, feinen einen Sohn, unfern Herrn und Erlöfer. Die
Unterfcheidung des Glaubens an Jefus und der diefen
Glauben verarbeitenden Chriftologie ift für ihn von der
größten Wichtigkeit; Einheit des Glaubens bei größter
Verfchiedenheit der Chriftologien ift der im NT. ihm
überwältigend entgegentretende Tatbeftand. Auch in
der Gegenwart wiffen fich alle evangelifchen Chriften im
Glauben an Jefus einig, wenn fie noch fo verfchiedene
Chriftologien vertreten. Darum tue man den entfcheidenden
Schritt, binde die Pfarrer allein an die chriftliche Glaubens-
ftellung zu Jefus und laffe fie im übrigen frei, ihren Glauben
fich individuell und mannigfaltig auszubilden. Diefe Freiheit
allen hiftorifchen Bekenntniffen gegenüber wird keineswegs
zu einer Geringfehätzung derfelben führen, im Gegenteil
, es ift gerade die gegenwärtige Verweigerung der
Freiheit, welche die Menfchen ungerecht gegen die Vergangenheit
macht. ,Nichts erzeugt ein ftärkeres Vorurteil
gegen ein Glaubensbekenntnis, zumal ein hoch entwickeltes
und fein ausgearbeitetes, als der Zwang, es unterfchreiben
zu müffen als Bedingung der Zulaffung zum kirchlichen
Dienft.' Daß freilich gegen feine vorgefchlagene Formulierung
fich alsbald ähnliche Einwände erheben würden,
wie er fie gegen die geltenden Bekeniftniffe erhebt, verhehlt
fich der Verfaffer nicht; fchon die Interpretation,
die er felbft feiner Formel zu geben fich genötigt fieht,
läßt uns ahnen, in welches neue Labyrinth wir mit feinem
Vorfchlag geraten würden. Er glaubt ihn jedoch hinlänglich
gedeckt durch das gefamte Zeugnis des NTs.
und durch Jefu Selbftzeugnis, und diefen beiden Inftanzen
darf nach ihm nichts abgezogen werden. Chriftlicher

Glaube ift nun einmal Glaube an Gott durch Chriftus,
das fleht für ihn hiftorifch einfach feft, und fein dickes
Buch will, indem es eben dies Hiftorifche ficher zu ftellen
fucht, dartun, daß es für die Gegenwart bei diefem be-
ftimmt chriftlichen Glauben zu bleiben habe.

Von den beiden Thefen, die Denney in pofitivem
Sinn beantworten will, war die eine, die Einheit des
ganzen NTs. im Glauben an Gott durch Chriftus bei aller
Verfchiedenheit der Chriftologie, fehr leicht zu beweifen,
und es wäre fogar für die deutfehe hiftorifche Theologie
nicht unangebracht, diefe grundlegende religiöfe Einheit
des NTs. ftärker zu unterftreichen, als fie tut; wir machen
im allgemeinen viel zu viel Wefens aus den Differenzen
zweiten und dritten Grades. Größere Mühe macht ihm
der Erweis feiner zweiten Thefe, daß diefer gemeinfame
urchriftliche Glaube auf die gefchichtliche Perfon Jefu
felbft fich mit Grund ftützen dürfe. Er fucht zuerft die
Gefchichtlichkeit der Auferftehung Jefu zu erweifen, hauptfächlich
aus ihrer unleugbaren grandiofen Wirkung (die
ganze chriftliche Kirche fleht auf ihr — d. h. freilich aut
dem Glauben an fie, und daß Glaube und Tatfache einander
genau entfprechen, ift ja gerade zu beweifen), fo-
dann aus dem älteften Zeugnis des Paulus in 1 Kor. 15,
zuletzt auch aus den Evangelienberichten, deren Wider-
fprüche er in ihrer Bedeutung möglichft reduziert, ohne
fie geradezu zu leugnen; er gibt hier fogar allerlei Ma-
terialifierungnn (z. B. das Effen des Auferftandenen) und
Symbolifierungen zu. Nun das ift eine Apologetik, fo
gut und fo fchlecht, wie jeder Erweis der Gefchichtlichkeit
der Auferftehung fein muß. Dann folgt das dem
urchriftlichen Chriftusglauben korrelate Selbftzeugnis Jefu,
das lediglich aus Markus und aus Q gewonnen wird; fehr
Anfechtbares ift hier Wahrfcheinlichem und Sicherem
beigemengt in beftändiger Auseinanderfetzung insbe-
fondere mit Schmiedel und Wellhaufen. Der Verfaffer
kennt auch die zwei wichtigen Fänwände gegen feine
chriftozentrifche Pofition: die Unficherheit der hiftorifchen
Berichte von Jefu Selbftzeugnis, die Möglichkeit der Zurücktragung
des Gemeindeglaubens in die Hiftorie, fowie
anderfeits die der Gefchichte gegenüber felbfländige innere
Selbftgewißheit der religiöfen Ideen; er kennt diefe Einwände
, aber er macht fich ihre Abweifung etwas leicht.
Im Hauptergebnis, der einzigartig überragenden Stellung
Jefu nach feinem eigenen Glauben, kann ich mit dem
Verfaffer einig gehen und kann es ruhig abwarten, bis
die deutfehe Theologie aus der augenblicklichen Skepfis
wieder zu einer pofitiven Würdigung des Tatbeftandes
der älteften Quellen gelangt fein wird. Aber was ift
damit für unfern gegenwärtigen Glauben gewonnen? Denney
fcheint einerfeits für das für uns Fremdartige, My-
thifche in Jefu Meffiasglauben gar kein Gefühl zu haben
und anderfeits dem Selbftzeugnis Jefu, das doch zunächft
wieder nur ein hiftorifches Faktum ift, eine für uns autoritative
Bedeutung zuzuerkennen, die das Hiftorifche als
folches für uns heute gerade nicht befitzt. Und darum ift
das Ergebnis feines Buches, felbft wenn man dem Hiftorifchen
nicht widerfprechen wollte, ein höchft wunderliches:
Jefus hielt fich für Gottes Sohn, unfern Herrn und Erlöfer,
feine Jünger, die Männer des NTs. hielten ihn ebenfalls
dafür, alfo, wer ein Chrift fein will, fpeziell chriftlicher
Pfarrer, muß ihn ebenfalls dafür halten. Ich vermute,
Denney felbft meint es innerlicher, er denkt fich immer
die Erfahrung hinzu, das Gefühl des unendlichen Dankes
und der unendlichen Verpflichtung, das der Chrift aus
feiner Lebenserfahrung heraus gegenüber Jefus hat, aber
er fagt dies viel zu fpärlich und undeutlich, er will vor
allem hiftorifch, biblifch verfahren, d. h. autoritativ, ge-
fetzlich, und ob dann letztlich das Glaubensbekenntnis
länger oder kürzer ift, macht für uns keinen wefentlichen
Unterfchied aus, ich wenigftens empfinde in feiner Formulierung
außerordentlich viel Chriftologie und wenig
Religion. Der Verfaffer geht von dem ganz richtigen
Gefühl aus, daß das, was den Chriften zum Chriften macht