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Ausgabe:

1911

Spalte:

311

Autor/Hrsg.:

Mugdan, Bertha

Titel/Untertitel:

Die theoretischen Grundlagen der Schillerschen Philosophie 1911

Rezensent:

Lewkowitz, Albert

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 10.

312

Mugdan, Dr. Bertha: Die theoretifchen Grundlagen der
Schillerfchen Philofophie. (Kantftudien. Ergänzungshefte.
Nr. 19.) Berlin, Reuther & Reichard 1910. (V, 86 S.)
gr. 8° M. 3 —

Aus dem Verlangen nach einer wiffenfchaftlich gerechtfertigten
idealiftifchen Lebensanfchauung hat unfere Zeit
die Kantifche Philofophie zu neuer Wirkfamkeit gebracht.

Und wie die Erneuerung der Kantifchen Philofophie
das Erwachen des idealiftifchen Geithes bedeutet, hat fie
zugleich und infolgedeffen dem deutfchen Volke das
Verftändnis für feinen vielleicht reinften Idealiften, Kants
großen Schüler Schiller, wieder erfchloffen.

Diefer Zufammenhang wird deutlich in der großzügigen
Darftellung der Schillerfchen Perfönlichkeit und
feiner Weltanfchauung in den Werken ,Kants und Schillers
Begründung der Äfthetik' und ,Schiller' des Neukantianers
Kühnemann.

Auf den Arbeiten Kühnemanns fußend, erbringt nun
die oben genannte Mugdansche Schrift den vollgültigen
philologischen Beweis für die Innigkeit des Zufammen-
hanges der Kantifchen und Schillerfchen Philofophie.

Mit ficherer Beherrfchung des Kantifchen Syftems und
torgfältiger Beibringung des Materials wird gezeigt, wie
Schiller das Syftem des Kritizismus in Logik, Ethik und
Äfthetik Sich innerlich zu eigen gemacht hat. Treffend
wird — in Übereinftimmung mit Kühnemann — hervorgehoben
, daß auf dem Grunde der Anerkennung von Kants
theoretischer Fundierung der Philofophie die Schillerfche
Fortbildung des Kantianismus die notwendige Umbildung
ift, ,die die_ reine Lehre Kants erfahren mußte, fobald
Ethik und Äfthetik in das Zentrum des Intereffes rückten,
und befonders, fobald es fich nicht mehr um die kritifche
Begründung der philofophitchen Methode, fondern um
die Anwendung der durch diefe gewonnenen Refultate,
um die Darfteilung des neuen Kulturbegriffs handelte'.
(S. 86.) Die Schrift fchließt mit einer Skizzierung des Verhältnisses
Schillers zu Reinhold und Fichte.

Da wir mit der in der klaren und gründlichen Arbeit
vertretenen Thefe und ihrer Begründung einverftanden
find, befchränken wir unfere Kritik auf die Andeutung
einiger Schwierigkeiten im einzelnen der Ausführungen.
So können wir in Schillers metaphyfifcher Freiheitslehre
nicht ein Abweichen von Kant, fondern im Gegenteil nur
eine Anerkennung feiner Lehre vom intelligiblen Charakter
erblicken. Auch wäre uns ein ftärkeres Betonen des
metaphyfifch-teleologifchen Naturbegriffs, wie er gerade
in Schillers reifften Abhandlungen hervortritt, erwünfcht
gewefen. Denn diefe Schillerfche Naturbetrachtung ift
für die folgende Spekulation von großer Bedeutung geworden
. Diefe Ausftellungen im Detail nehmen der
M.'fchen Arbeit aber nichts von ihrem oben charakteri-
fierten Wert.

Breslau. Albert Lewkowitz.

Künzle, Prof. P.Dr.Magnus, O. M. Cap.: Ethik und Aefthetik.

Freiburg i. B., Herder 1910. (XV, 387 S.) gr. 8°

M. 7.50; geb. M. 8.50

Ein zeitgemäßes Thema wird in diefer Schrift eingehend
und mit umfaffender Literaturkenntnis erörtert.
Der katholifche Standpunkt des Verf. verbirgt fich nicht.
Eine von der Religion bezw. vom Dogma unabhängige
Sittlichkeit wird nicht anerkannt. Dies zeigt fich in der
abfprechenden Beurteilung Kants; fein kategorischer Imperativ
wird S. 8 als ,unwahr und unrein, kraftlos und
unfruchtbar' bezeichnet und S. 101 ift gar — wenig ge-
fchmackvoll — von dem ,mit dem Gas menfchlicher Auf-
geblafenheit gefüllten Ballon des kantifchen Imperativs'
die Rede. S. 187 t wird für die katholifche Weltanfchauung
ftrenge Beweisbarkeit und allgemeine Gültigkeit in Anspruch
genommen. Auch die äfthetifchen Grundbegriffe
werden in engem Anfchluß an die fcholaftifchen Autoritäten
entwickelt. Das Ergebnis ift ein ftark intellektua-
liftifcher Schönheitsbegriff. Schönheit ift .lichtvolle, all-
feitige Wahrheit des Gegenftandes', .ftrahlende Einheit in
der Mannigfaltigkeit'; die Kunftfchönheit befteht in der
.ftrahlenden Proportion eines Kunftwerks' (S. 72). Der
Verf. glaubt darin auch mit der modernen Äfthetik zu-
fammenzutreffen und es erfüllt ihn mit Genugtuung, daß
fchon Ariftoteles, Thomas, Bonaventura und andere große
Lehrer die Einficht der Heutigen vorweggenommen haben.
Er überfieht aber dabei, daß die neuere Äfthetik nicht
metaphyüfch fondern empirifch-pfychologifch zu Werke
geht und dabei Gefühl und Phantafie in den Vordergrund
ftellt, deren Würdigung den Alten noch unbekannt war.
Die Folge ift, daß der Äfthetik der Antike von der künft-
lerifchen Produktion nur die intellektuelle und die tech-
nifche Leiftung übrig bleibt, was auch in der Kunfttheorie
des Verf. gelegentlich nachwirkt. Gleichwohl muß man
ihm zugeftehen, daß er fich um eine unbefangene Würdigung
der Kunft und ihrer Aufgabe bemüht, die auch
folche anzuerkennen vermögen, die von anderen Voraus-
fetzungen herkommen. Wiederholt bezeichnet er als die
Wirkung des Kunftwerks die .Lebenserhöhung' (S.93.3 37 ff),
womit er feine intellektualiftifche Theorie einigermaßen
felbft korrigiert. Weit gehaltvoller als die prinzipielle
Unterfuchung der ethifchen und äfthetifchen Werte im
1. Hauptteil ift das, was im zweiten über die Wechselbeziehung
von Ethik und Äfthetik gefagt wird. Ihn eröffnet
eine Überficht der möglichen Standpunkte. Nach
Künzle gibt es deren 3 oder eigentlich 4. I. Die Äfthetik
hat mit der Ethik gar nichts zu tun — vom Verf. als
Aethismus bezeichnet; II. Die Äfthetik ift auch der Ethik
übergeordnet — Panäftheticismus; III. Der Zweck des
Äfthetifchen liegt im Ethifchen — Teleoethismus; IV. Das
Äfthetifche ift unbefchadet einer gewiffen Selbftändigkeit
doch dem Ethifchen verwandt bezw. feiner Norm unter-
ftellt — gemäßigter Teleoethismus oder Synethismus.
(S. 85 f.). Den letztgenannten Standpunkt vertritt der Verf.
Die Darlegung felbft verläuft jedoch nicht nach diefem
abftrakten Schema, fondern folgt einer mehr fachlichen
Gliederung. Das Verhältnis des Schönen überhaupt und
fpeziell des Kunftfchönen zum Sittlich Guten wird erörtert
und dann das äfthetifche Genießen und Schaffen auf fein
Verhältnis zum Sittengefetz unterfucht (Abfchn. I—VI).
Dabei ergibt fich zwar nicht die Identität wohl aber eine
Verwandtschaft des Schönen mit dem Guten. Das Gute
ift als Tat der Freiheit zugleich fchön; aber es füllt die
Kategorie des Schönen nicht allein aus. Auch die böfe
Handlung, z. B. die Kraftentfaltung der Leidenfchaft, kann
äfthetifch fchön und deshalb Gegenstand der Kunft fein.
Denn die Sittliche Verkehrung des Willens hebt den Adel
der gottgefchaffenen Natur nicht auf. Allein für das
fubjektive Urteil wird der äfthetifche Eindruck doch durch
die ethifche Mißbilligung durchkreuzt und geftört (S. 120).
Äfthetifche und Sittliche Gefichtspunkte laffen Sich zwar
in abftracto unterfcheiden, aber fofern der Schaffende
Künftler wie der feine Schöpfung genießende Kunftfreund
zugleich Sittliche Wefen find, Stehen Sie unvermeidlich
zugleich unter einer ethifchen Vorfchrift. Nur die Sittliche
Haltung gibt überdies dem Künftler die Freiheit,
Zartheit und Fettigkeit, deren er bedarf, um etwas Vollkommenes
zu Schaffen (S. 211). Kann man diefen Sätzen
beistimmen, fo fließt das weitere Urteil, der Schöpfung
eines unfrommen oder unfittlichen Künftlers fehle notwendig
,die höchfte objektive Wahrheit' (S. 189) aus der
fchon bezeichneten intellektualiftifchen Theorie, die vom
Kunftwerk den Ausdruck metaphyfifcher und religiöfer
Wahrheiten verlangt. Aus derfelben Anfchauung ergibt
Sich auch die vom Verf. ausgesprochene Verurteilung aller
mythologischen Stoffe (S. 152.) Mit Plrnft und Umficht
wird fodann in Abfchn. VII das Recht Sexueller Motive
und die Darftellung des Nackten in der Kunft besprochen
(S. 214—312). Auch hier bemüht Sich der Verf., den Aufgaben
und Forderungen der Kunft Rechnung zu tragen.