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Ausgabe:

1911 Nr. 10

Spalte:

305-306

Titel/Untertitel:

Ao. Do. 1662. Der älteste Text des Oberammergauer Passionsspieles. Nach der Handschrift im Archiv des Hauses Guido Lang hrsg. u. eingel. v. Georg Queri 1911

Rezensent:

Creizenach, W.

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305

Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 10.

306

minismus in den fchlimmften Farben gezeichnet, und hier
wird durch eine ganz einfeitige und befchränkte Auswahl
aus den Quellen ein Bild von Luthers Stimmung und
Haltung in Koburg gegeben, welches in Wahrheit ein
Zerrbild ift.

Diefer Grifar'fche Luther kann nach dem Ausgeführten
nicht für d i e Lutherbiographie gelten, wie fie einft hoffentlich
ein katholifcher Gelehrter fchreiben wird; es fehlt
dem Werke das wefentlichfte Moment, die Anerkennung,
daß Luther ein religiöfer Charakter war und fein Verhältnis
zu Gott das Entfcheidende gewefen ift. Wohl
aber darf man in diefem Buche eine Etappe auf dem
Wege zu einer befferen Würdigung Luthers in der ka-
tholifchen Kirche erkennen — vorausgefetzt, daß die
folgenden Bände nicht noch Überrafchungen bringen. Ich
möchte aber nicht fchließen, ohne an meinem Teile die
moderne Behauptung zu bekämpfen, die nach dem Vorgang
Maurenbrecher's u. A. namentlich Denifle in
Kurs gefetzt hat, und die jetzt häufig nachgefprochen
wird, als fei die Entwicklung Luthers — hauptfächlich
durch Luthers Schuld felbft — bisher von Legenden
verfchüttet gewefen und es zeige fich nun nach Wegräumung
des Schuttes ein ganz anderer Luther. Davon
ift nur fehr Weniges wahr! Welche epochemachenden
neuen Erkenntniffe hat man denn gefunden? Einige
Verfchiebungen in Luthers Erinnerung in Bezug auf feine
Klofterzeit müffen anerkannt werden — fie find ficher
nicht ftärker als die Verfchiebungen in Auguftin's Kon-
feffionen —; was er gelefen hat und wann und wie er es
gelefen hat, ift richtiger ermittelt worden; feine nomina-
liftifche Bildung ift fchärfer hervorgetreten und feine
Unkenntnis des Thomas; daß er Theorie und Praxis
feiner Gegner nicht unterfchieden hat, ift deutlicher als
früher; daß die Epoche der Zeit feiner Gährung extreme
Spekulationen hervorgerufen hat, ift nun offenbar. Aber
darüber hinaus bleibt Alles beim Alten; das kann man
gerade an diefer Grifar'fchen Biographie invito auctore
erkennen. Die ,Lutherlegende' ift felbft eine große
Legende, fobald man von allem Kleinlichen abfieht und
Entdeckungen nicht aufbaufcht. Er bleibt er felbft; er
bleibt, wie wir ihn kannten. Wie ihn die Humaniften
nicht wefentlich beeinflußt haben — auch Grifar erkennt
das an —, fo hat er in die Schriftfteller, die ihn wirklich
beeinflußt haben, mindeftens foviel hineingelefen, als er
ihnen verdankt. Mit dem Kampf gegen die Werkheiligkeit
und Selbftgerechtigkeit — fo hat man es immer gewußt —
hat fein Werk begonnen, und es hat die Stadien ganz
wefentlich in der Abfolge durchlaufen, die die proteftan-
tifche Forfchung nicht erft feit geftern ermittelt hat. Der
neu gefundene Römerbrief-Kommentar ift in Details fehr
wichtig; die große Linie hat er nicht korrigiert.

Daß Grifar die Quellen und die Literatur in weitem
Umfange herbeigezogen hat, braucht nicht befonders betont
zu werden. Das Werk meines Vaters über Luthers
Theologie habe ich vermißt; es wäre befonders bei den
weitfchichtigen Unterfuchungen über Luther's Gottesbegriff
und feine Willenslehre heranzuziehen gewefen.

_ Das Buch ift fehr korrekt gedruckt. S. 62 n. 1 muß es ,1516'
heißen; S. 217 n. 3 lies ebenfalls ,1516'; S. 275 n. 1 ift in der Zahl ein
Druckfehler enthalten, den ich nicht zu korrigieren weiß; S. 497 fehlt
eine Anmerkung; S. 515 ift wiederum ,1516' zu lefen. Zu S. 300 vgl.
mit S. 273 ift zu bemerken, daß Luther nicht am 25. Juli 1518 auf der
Rückreife von Heidelberg in Dresden gewefen fein kann, wenn er ,im
Frühfommer 1518, vielleicht am 16. Mai' fchon wieder in Wittenberg
gepredigt hat.

Berlin-Grunewald. Adolf Harnack.

Ao. Do. 1662. Der ältelte Text des Oberammergauer Paffions-
Ipieles. Nach der Handfchrift im Archiv des Haufes
Guido Lang herausgegeben (und eingeleitet von Georg
Queri). Oberammergau, G. Lang fei. Erben 1910.

(XLV, 171 S. m. Fakfms. u. Holzfchnittreprod.) 8°

Geb. M. 8 —

Schon im J. 1880 hatte A. Hartmann in feiner Schrift
,Das Oberammergauer Paffionsfpiel in feiner älteften Ge-
ftalt' nachgewiefen, daß die frühefte erhaltene Verfion des
Oberammergauer Paffionsfpiels aus dem J. 1662 aus zwei
verfchiedenartigen Beftandteilen zufammengefetzt ift, nämlich
einem Augsburger Paffionsfpiel aus dem 15. Jahrhundert
und einem Paffionsfpiel des Augsburger Meifter-
fängers Sebaftian Wild, das im J. 1566 im Druck erfchien.
Hartmann hatte diefe beiden Stücke herausgegeben und
umfängliche Proben aus dem Text von 1662 mitgeteilt,
wobei er auch deffen geringe Selbftändigkeit gegenüber
den Vorlagen betonte. Die vorliegende Publikation enthält
nun einen vollftändigen Abdruck des Textes von
1662 in künftlerifcher typographifcher Ausftattung, mit
Pakfimile-Proben der Handfchrift und Reproduktionen
Dürerifcher Paffionsbilder, doch wäre es wohl beffer gewefen
, wenn man für den Abdruck nicht Antiqua- fondern
Frakturbuchftaben gewählt hätte. Die Vorgefchichte des
Textes wird in der Einleitung auf Grund der bekannten
Tatfachen dargeftellt; doch find die Angaben über den
Tegernfeer Antichrift falfch und die von Bolte nachge-
wiefene Benutzung von Grimalds Chriftus redivivus in
Wilds Paffionsfpiel bleibt unberückfichtigt.

W. Creizenach.

Basmajian, K. H.: Life in the Orient. With numerous
illuftrations. New York, American Tract Society (1910).
(277 p.) 80 t x _

Das mit zahlreichen Abbildungen aus dem kirchlichen
und politifchen Leben der Türkei und fonderlich
der Armenier ausgeftattete Buch bietet wenig Neues zur
armenifchen Gefchichte, wohl aber eine wertvolle Schilderung
und Beurteilung der jüngften Armenierverfolgungen.
Nachdem der Verf., ein in Adrianopel von orthodoxen
Armeniern geborener, zu den proteftantifchen Armeniern
übergetretener Miffionar, aus feinem Lebensgang berichtet,
bringt er fkizzenhafte Einzelfchilderungen der Zuftände
der gemifchten türkifchen Bevölkerung fowie der kirchlichen
Gebräuche der Armenier mit Seitenblicken auf
die anderen orientalifchen Konfeffionskirchen. Bietet
auch dies alles dem Fachmanne kaum einige Belehrung
und find auch die Bemerkungen über die ältere Kirchen-
gefchichte des armenifchen Volkes fowie über den Islam
durchaus anfpruchslos gehalten, fo tritt doch manches in
eine eigentümliche Beleuchtung. Zweierlei hebe ich hier
als wichtig hervor und finde dadurch meine früheren
Urteile beftätigt. Erftlich nennt auch der Verf. bei der
Aufzählung der nach Nationen verteilten Konfeffionen
unter den Griechen keine römifch-unierten; das ift noch
immer die Wahrheit gegenüber anders lautenden katho-
lifchen Behauptungen. Sodann ift das Urteil des Orientalen,
der mit ganzem Herzen Proteftant zu fein angibt, in-
tereffant, die Organifation des Proteftantismus unter den
Armeniern zu einer von der Nation getrennten Gemein-
fchaft fei einer der härteften Schläge. Die bekannte Tatfache
, daß die ruffifchen Anatolifch-Orthodoxen nur zu
verfchwindendem Bruchteile kirchlich find gegenüber der
naturaliftifchen und indifferenten Majorität, ergänzt Basmajian
bezüglich der armenifchen Kirche dahin, daß hier
der von der Kirche abgekehrte Indifferentismus kaum
weniger verbreitet, nur auf feinerer Bildung gegründet
ift. Bezeichnend ift jedoch, daß auch diefer ,proteftan-
tifche' Armenier das Heil feiner Kirche nicht in einer
eigentlichen Reformation findet, fondern in der Zurück-
führung der Maffe zum älteften Standpunkt

Wien. Beth.