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Ausgabe:

1911

Spalte:

8-9

Autor/Hrsg.:

Bauer, Adolf

Titel/Untertitel:

Vom Griechentum zum Christentum 1911

Rezensent:

Wendland, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. r.

Marciontextes verfucht er zu beweifen. Ich muß auch
hier bekennen, daß ich nicht ganz überzeugt bin; freilich
kann fich v. S. darauf berufen, daß neuerdings von
zwei Seiten, von Bruyne und Corffen nachgewiefen fei,
daß in einer ganzen Anzahl lateinifcher Paulushand- !
fchriften Prologe Marcionitifchen Urfprungs fich finden,
und in einer Reihe einzelner Textftellen mag es v. S.
gelungen fein, direkt Marcionitifche Beeinfluffung zu erhärten
. Doch fehe ich nicht ein, weshalb der Text des
Marcion nicht in vielen feiner Eigentümlichkeiten auf
eine ältere Grundlage zurückweifen dürfte, fo daß dann
diefe die gemeinfame Quelle für Marcion und die la-
teinifche Überlieferung gewefen fein könnte. Das kann
man nur leugnen, wenn man die Überlieferung des
Marcion von vornherein für durchaus fekundär und willkürlich
halten würde. Das aber kann doch nur da angenommen
werden, wo dem Marcion fichtlich dogmati-
fche Korrekturen nachzuweifen find, nicht aber für die
gefamte Eigenart feines Textes.

Befonders haben mich die Ausführungen v. Sodens
über die Apokalypfe intereffiert, weil ich hier felbft einmal
eingehende Minuskelforfchungen vorgenommen habe
und mich hier zur Beurteilung befonders kompetent fühle.
Mit einer gewiffen freudigen Genugtuung kann ich hier
konftatieren, daß ich feinerzeit auf Grund eines viel be-
fchränkteren Materials doch zu denfelben Hauptthefen
gekommen bin, die fich nun in der vorliegenden Arbeit
beftätigen. Und diefe Übereinftinimung in den Refultaten
dürfte auch andererfeits wieder der Sicherheit der v. So-
denfchen Forfchungen zugute kommen. Auch ich habe
feinerzeit drei Texttypen im wefentlichen konftatiert; zu-
nächft unterfchied auch ich die ägyptifche Gruppe H (st AC).
v. S. ftellt hierher noch die Majuskel P, gibt aber felbft
zu, daß diefe von dem im folgenden zu befprechenden
Andreastypus ftark beeinflußt fei; man könnte fie alfo
ebenfo gut auch dorthin ftellen. Dann war natürlich
auch früher fchon bekannt, daß die große Maffe der
Zeugen: Q und die Mehrzahl der Minuskeln einem Typus
angehören, den man als die Koivr bezeichnen kann.
Endlich fchied fich als dritte Gruppe die Andreasgruppe
ab, d. h. Texte, die im Zufammenhang mit dem Andreaskommentar
überliefert waren, teilweife auch für fich allein
(landen. Auch bei den Unterabteilungen, die ich für die
Andreasgruppe bereits konftatierte, zeigt fleh höchft erfreuliche
Übereinftinimung zwifchen v. Soden und mir.

Ich unterfchied als Gruppe I die Minuskeln nach alter Zählung
1, 12, 36, 72, 152. Die Minuskeln I (An. 20) und 152 (An. H) finde
ich auch bei v. S. in feiner Aufzählung der Andreastexte als eng verwandt
dicht nebeneinander. Die Minuskel 72 (An. 6") fleht allerdings
von ihnen ziemlich entfernt bei v. S., aber doch unter den Andreastexten
. Minuskel 12 (1578) gibt v. S. unter den An. Texten an, mit
dem Vermerk, daß fie nirgends anzugliedern fei (S. 2052); ich möchte
hier doch zunächft an meiner Klaffifikation fefthalten. Über 36 (An. 3I))
fagt v. S., fo weit ich fehe, nichts. Als zweite Untergruppe heftimmte
ich die Min. 79, 28, 73; ich finde fie bei v. S. mehr oder minder dicht
nebeneinander. Die dritte bildete 10. 17. 37. 49. 91. 96. 154. 161. Die
meiden davon: 10 (1594), 37 (501), 49 (An. 5«), 154 (1588), 161 (An. 6i2)
flehen auch bei v. S. dicht nebeneinander, 17 (309) fleht in der Nähe
von 1, 152. Als vierte Gruppe faßte ich zufammen 35. 87. 121. 34. 151.
Sie dehen bei v. S. alle nebeneinander, zu ihnen gefeilt fich noch die
von mir unbedimmt geladene Min. 38 (1573); nur 35 (An. 46) findet
fich hier nicht, aber v. S. bemerkt an anderer Stelle, daß der Text
diefer Handfchrift nicht näher fedgelegt fei. Ich glaube, ein Blick in
Tifchendorfs Apparat hätte ihm beweifen können, daß 35 an der von
mir genannten Stelle richtig deht. Endlich die fünfte Gruppe, die wegen
ihrer eigentümlichen fingulären Lesart befonderes Interede verdient, 7.
16. 39. 45. 69, wird wiederum durch v. S. bedätigt, drei von ihnen
finden fich auch bei ihm in einer befonderen Gruppe zufammen
7 (io3). 45 (104), 69 (400); über 16 (500) und 39 (403) habe ich bei
v. S. nichts erfahren können. Ferner möchte ich noch erwähnen, daß
ich unter den K-Texten eine befondere Gruppe abfehied: 9. 13. 23. 27.
93. Von ihnen dehen bei v. S. 13 (107), 9 (in), 27 (214), unmittelbar
nebeneinander. Endlich kondatierte ich noch einen bemerkenswerten
Texttypus: 6. n (jetzt verloren), 31. 32. 48. Ich finde bei v. S. S. 2049
diefe Gruppe als eine fog. Ökumenius-Gruppe in allen ihren Gliedein
wieder. Allerdings vermerkt v. S. im Widerfpruch mit der Aufzählung
S. 2049 auf S. 2052, daß Min. 31 (1579) zu den An.-Texten gehöre,
die nirgendwo anzugliedern feien. Nach meinen Forfchungen be-
deht die erdere Behauptung und nicht die letztere zu Recht. Und diefe

Beobachtung gibt mir auch den Mut zu der Meinung, daß ich die Min.
12 (1578), von der oben die Rede war und die v. S. ebenfalls als nicht
näher beftimmbar behauptet, richtig bedimmt habe.

Nachdem v. S. dann die drei Textgruppen H An. K
benimmt hat, wendet er fich der Unterfuchung der la-
teinifchen Texte zu. Die Vulgata des Hieronymus hat
nach feiner Unterfuchung auch hier wieder den H An. K
zugrunde liegenden Text. Dagegen kann ich auf Grund
meiner Beobachtungen v. S. nun nicht ganz zuftimmen,
wenn er meint, daß die noch den altafrikanifchen Texten
verbleibenden Sondervarianten keine befondere Bedeutung
hätten und kaum, wenn ich ihn richtig verftanden habe,
auf einen anderen griechifchen Texttypus zurückführen.
Nach meinem Eindruck find die in h Cyprian Primafius
und lateinifchen Kirchenvätern vorliegenden Varianten
doch nicht fo einfach beifeite zu fetzen und dürften
auch da, wo fie nebenher von der Vulgata begleitet
werden, auf eigentümlichen Texttypus hinweifen.

Zum Schluß fetzt fich v. S. mit einer Reihe feiner
bisherigen Kritiker, namentlich mit Neftle, Lake und
mir über die Grundvorausfetzungen und die Grundfragen
feiner Kritik noch einmal auseinander und verteidigt hier
die fämtlichen angegriffenen Pofitionen.

Ich bin der Meinung, daß er hier gegen Neftles meiflens belang-
lofe oder nicht zutreffende Einwände glücklich operiert, weniger fchon
bin ich mit manchem, was er gegen Lake ausführt, einverftauden; durch
die gegen mich gerichteten Bemerkungen habe ich mich ebenfalls nicht
überzeugen laffen können: Weder kann ich auch nach v. S.s erneuten
Ausführungen mir einen klaren Begriff von der von ihm vorausgefetzten
Größe H I K machen, noch kann ich mich von dem Recht feiner Tatian-
Hypothefe (weder in den Evangelien, noch in der Ag., übrigens auch
nicht von der Marcion-Hypothefe in den Paulinen) überzeugen. Ich
möchte nach wie vor an der Überzeugung fefthalten, daß es eine von
Tatian ganz unabhängige alte Rezenfion (pLText) der Evangelien und
Apoftelgefchichte gegeben habe, und daß Clemens Alexandrinus, Jüdin,
Marcion teilweife die Zeugen diefes ^-Textes feien. Wenn v. S. die
Stellen, von denen ich bei der Beurteilung der Tatian-Hypothefe ausging
, anders erklärt als ich, fo muß der Streit darüber weiter ausge-
fochten werden. Aber nicht akzeptieren kann ich feinen Einwand, daß
ich bei meinen Varianten - Genealogien von vieldeutigen, datt von eindeutigen
Tatbedänden ausgegangen fei. — Für mich find nach wie vor
die hier vorliegenden Tatbedände eindeutig. Aber es id hier nicht der
Raum, um noch einmal diefe Fragen in einer einigermaßen zureichenden
Ausführlichkeit aufzunehmen.

Jedenfalls bin ich überzeugt, daß wir fehr lange
Zeit gebrauchen werden, um alle Sätze und Anregungen
v. Sodens, die er in fo reichem Maße ausgeftreut hat,
gründlich durchzuarbeiten. Ich möchte daher kurz mit
einem Dank und einem Glückwunfeh zu der Vollendung
diefes Riefenwerkes in feinem erften Teil fchließen
und die Hoffnung ausfprechen, daß dem Verfaffer die
Kraft und die Geiftesfrifche bleibe, um auch den
zweiten ebenfo riefenhaften Teil des Unternehmens
vollenden zu können.

Göttingen. Bouffet.

Bauer, Prof. Dr. Adolf: Vom Griechentum zum Chriftentum.

(Wiffenfchaft und Bildung 78.) Leipzig, Quelle & Meyer
1910. (160 S.) 8° M. 1—; geb. M. 1.25

Das fehr anregende und lefenswerte Büchlein, das
aus Salzburger Hochfchulkurfen hervorgegangen ift, beginnt
mit einigen handgreiflichen Beifpielen des Fortlebens
antiker Kultur in der Gegenwart, die den Laien
auf die tieferen gefchichtlichen Zufammenhänge vorbereiten
, und bezeichnet dann den Hellenismus als die
Epoche der griechifchen Gefchichte, die auf den modernen
Staat und auf das Chriftentum den ftärkften Einfluß ausgeübt
hat. Kap. II—V behandeln dann den helleniftifchen
Staat, die göttliche Verehrung Alexanders und die helleniftifchen
Herrfcherkulte, Übergang helleniftifcher Reli-
gionsanfehauungen und des Herrfcherkultes ins römifche
Reich.

Ich hebe aus diefer Darftellung, die, wie die dazugehörigen
Anmerkungen, auch dem Forfcher manche
Anregungen geben wird, einiges Charakteriftifche heraus.
Die "Verwandtfchaft des helleniftifchen Staates mit dem