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Ausgabe:

1911 Nr. 9

Spalte:

266

Autor/Hrsg.:

Pell, G.

Titel/Untertitel:

Jesu Opferhandlung in der Eucharistie. 2. Aufl 1911

Rezensent:

Goetz, Karl Gerold

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 9.

266

einleitenden Ausführungen bietet er unter der Überfchrift
„Das urfprüngliche Kaddifch" Erörterungen über die
9 aus verfchiedenen Zeiten flammenden Abfchnitte,
welche zum K. in verfchiedenen Zufammenfetzungen und
Verwendungen gehören, und zwar zerfällt jede diefer
9 Abteilungen in drei Teile: 1. Darbietung des Textes
mit Varianten; 2. Allgemeines über die Abfaffungszeit
und den Urfprung des betreffenden Stückes; 3. Sprachliche
Analyfe des betreffenden Abfchnitts des K. S. 100 ff.
folgen dann noch 5 Anhänge: der Name Kaddifch, das
K. im Synagogengottesdienft, das K. und das Vaterunfer,
refpondierende Rezitation des K., das fog. .Begräbnis-
kaddifch'. Diefe Art der Anordnung läßt, wie fich fchon
aus den Anhängen ergibt, mancherlei im unklaren. Der
Urfprung der einzelnen Teile diefes wie anderer Gebete
ift doch nicht identifch mit dem Gebet als Ganzem!
Bei keinem Gebet ift die liturgifche Verwendung und
deren Einfluß auf die Form des Gebets fo groß und
reichhaltig wie beim K., verdankt es ja doch feinen
Urfprung fynagogalen Bedürfniflen. Dann darf aber diefe
fynagogale Verwendung nicht bloß im Anhang geftreift
und in der Einführung nur für die älteften Zeiten angegeben
werden. Für eine Überficht über die Texte genügt
die zerftückelte Angabe von Varianten keineswegs,
fondern nur ihre Begründung aus Zeit, Ort und Ver-

a priori findet er es fogar ,gar nicht unglaublich, daß eine
erbauliche Anwendung aus der Apoftelzeit fpäter der
Überlieferung Jefu hinzugefügt wurde, auch nicht, daß
einige Züge einem Gleichnis hinzugefetzt wurden' (S. 48).
Aber er macht keinen Gebrauch von diefer Freiheit; man
erfährt nichts von den, z. Tl. doch höchft bedeutsamen
Unterfchieden im Verftändnis der Gleichniffe zwifchenJefus
und denEvangeliften: natürlich kommt folche Vermifchung
immer dem fpäteren Factor zu gut; die fcharfen Züge aus
Jefu Worten werden verwifcht, und ftatt der .Beleuchtung'
gibts friedliche Dämmerung.

Marburg i. H. Jülicher.

Pell, Prof. Dr.G.: Jefu Opferhandlung in der Euchariftie. Noch
ein Löfungsverfuch zur Meßopferfrage unter Revifion
des Opferbegriffes. 2.Auflage. Paffau, G. Kleiter 1910.
(62 S.) gr. 8° M. 1.20

Vorgenannte Abhandlung ift bei ihrem erften Er-
fcheinen nicht angezeigt worden. Daß fie in zweiter Auflage
herauskommt, dürfte die innere Vorzüglichkeit der
Theorie des Verfaffers bewirkt haben und die virtuofe
Dialektik, mit welcher er fie dem römifchen Dogma abzugewinnen
weiß. Pell faßt die römifche Meßopferlehre
in die zwei Sätze: 1) Wir haben in der Meffe eine in
Wendung des Gebets Zweckmäßiger wäre es alfo ge- praesenti fich vollziehende Opferhandlung Jefu, weil einen
wefen, wenn der Verfaffer, ftatt von dem einzelnen Stuck f„;ru,1vhf.n rWernt-t W,.* rmda mmmmnntin Kr«,,.

des Gebetes auszugehen und danach einzuteilen, eine
Gefchichte des Kaddifchgebetes dargeboten hätte und in
jeder Periode Text, Sprache, Verwendung des Gebetes
genau unterfucht hätte. Dann wüßte man z. B. nach
der Lektüre feines Buches genau, welche Rolle das Gebet
um 880 bei Rab Amram fpielt, welche Beftandteile es
damals aufweift, welchen Text man in jener Zeit anzunehmen
hat, welchen liturgifchen Sinn es bei Amram
hat, ufw. Ebenfo erführe man über das K. im jemeni-
fchen Ritus Genaueres, im Traktat Sopherim ufw. So
dankenswert alfo des Verfaffers reiche Materialfammlung
ift, fo wünfchenswert wäre es, wenn er fein Buch einer
durchgreifenden Umarbeitung unterzöge und uns auf diefe
Weife die Monographie über das K.-Gebet fchenkte, die
wir bedürfen. Die Textkritik, die Unterfuchung der
fprachlichen Formen des Gebetes, die liturgifche Seite
der Sache: alles dies kann nur dann zu voller Geltung
kommen, wenn man eine umfaffende .Gekhichte des
Kaddifch-Gebets' fchreibt und hier die einzelnen Perioden
gefondert behandelt, alfo die .hiftorifche Einführung' des
Verfaffers zur Hauptfache des Ganzen macht und bis
auf die Gegenwart fortführt.

Gotha. Fiebig.

Koch, P. Carl: Gleichniffe Jefu. Ausgelegt und beleuchtet.
Genehmigte Überfetzung aus dem Dänifchen von L. F.
Gütersloh, C. Bertelsmann 1910. (VII, 216 S.) 8°

M. 3.20; geb. M. 4 —

Eine für Laien beftimmte aber weniger auf religiös-
fittliche Erbauung als auf exegetifche Belehrung über Sinn
und Form von etwa 25 Gleichnisreden Jefu, darunter vor
allem die aus Mt. 13. 18-20. 2S;Lc. 10. 15. 16. iSbedachte,
in behaglich lebendigem Erzählerton dahinfließende Betrachtung
. Die neuere einfchlägige Literatur ift forgfältig
herangezogen; jüdifche Parallelen, Schilderungen paläfti-
nifcher Landfchaft und Lebensweife, lehrreiche Mißgriffe
aus der Gefchichte der praktifchen wie der gelehrten
Auslegung derjefusworte dienen dazu, den Grundgedanken
eines Gleichnifles verftändlich zu machen. Einer Ausdeutung
der einzelnen Züge der Bildrede ift der Vf.
abgeneigt; überall will er nur den .Kernpunkt' erfaffen.
Daß die .Auslegungen' in unfern Evangelien, z. B. Mt. 13,
36—43 dasjenige nicht einmal nennen, was doch der
Kernpunkt des Gleichnifles ift, verfchweigt er auch nicht;

wirklichen Opferakt, keine nuda commemoratio des Kreuzopfers
. 2) Die Opferhandlung Jefu in der Meffe ift ein
und diefelbe wie die auf Golgotha. Das in diefen Sätzen
fleckende dogmatifche Problem formuliert er nach meinem
Dafürhalten mehr gefchickt als gefchichtlich treu näher
fo: .Welche Opferhandlung des am Kreuze verblutenden
und fterbenden Chriftus findet fich auch im Euchariftie-
geheimniffe wieder?' Sein Ergebnis ift: Die Opferhandlung
Chrifti, wie er fie in der Euchariftie vor Gott übt,
befteht nicht darin, fich in Trennung der Geftalten von
Fleifch und Blut darzuftellen, fozufagen feinen einfügen
Tod vor Gott zu mimen, weil die Gottheit eines Erinnertwerdens
nicht bedarf, und befonders auch, weil ein bloßes
Mimen jenes einfügen Sterbens mit diefem Sterben durchaus
nicht identifch wäre. Vielmehr ift die euchariftifche
Feier ein Opfer und ganz das nämliche Opfer, welches
einft Jefus Chriftus beim Abendmahl und am Kreuz dargebracht
hat, .infofern dasfelbe gegenwärtig ift in den
gleichen Seelenakten gehorfamer und liebender Hingabe
an Gott, welche einft das Leiden und Sterben auf Golgotha
zu einem Opfer gemacht haben und auch feiner
jetzigen meffianifchen Tätigkeit ftetsfort ein und den-
felben Opfercharakter verleihen'. Diefe geläuterte Anficht
vom Wefen des Opfers in der Meffe und auf Golgotha
als .Selbfthingabe an Gott in geiftiger und zugleich
leiblicher Betätigung rückhaltlofen Liebesgehorfams gegen
ihn' ift, foviel ich fehe, aus dem dogmatikhen Anfatz nur
erhältlich infolge der klugen Formulierung des Problems.
Es wird der römifchen Meßopferlehre damit ein anderer,
tieferer Sinn unterlegt, als fie ihn zunächft bietet. Pell
trifft wohl das allgemein, aber nicht das gefchichtlich
Richtige. Wie das dem Dogmatiker flets leicht begegnet,
weil er mehr nach dem fragt, was fein foll, als was ge-
wefen ift (S. 15). Dem proteftantifchen Theologen ift
ferner diefe Opfertheorie nicht fo neu, wie fie Pell felber
erfcheint. Es muß aber jenem als ein bedeutfames Zeichen
der Zeit erfcheinen, daß ein römifch-katholifcher Dogmatiker
eine folche Theorie aufftellen kann, wonach ,die
actio sacrificans im Kreuz- und Meßopfer nicht die Dar-
ftellung eines Leichnams und vergoffenen Blutes, fondern
die Darbietung von gehorfamer, felbft Marter und Tod
überwindender Liebe' ift.

Bafel. Karl Gerold Goetz.