Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1911

Spalte:

245-246

Autor/Hrsg.:

Knöpfler, Alois

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Kirchengeschichte. 5., verm. u. verb. Aufl 1911

Rezensent:

Ficker, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

245

246

Ich kann mich nicht entfchließen, aus ihm Mitteilungen
hier zu machen, weil aus ihnen fich der unglaublich
niedrige Bildungszuftand ergeben würde, der um 1875
noch in einer preußifchen Landfchule angetroffen werden
konnte. Ich möchte aber den Lefer ermuntern, ielbft
Einficht von diefem Beriche, der S. 124 fteht, zu nehmen.
Er wird ihn nicht ohne Ergötzung lefen können.
Göttingen. K. Knoke.

Knöpfler, erzb. geiftl. Rat Prof. D. Alois: Lehrbuch der
Kirchengefchichte. 5., verm. und verb. Auflage. Mit
einer (färb.) Karte: Orbis chriftianus Secc. I—VI. Freiburg
i. B., Herder 1910. (XXVIII, 849 S.) gr. 8"

M. 12—; geb. M. 13.50

Die neue Auflage von Knöpflers Lehrbuch hatmannich-
fache Verbefferungen erfahren; 2 Paragraphen find neu
hinzugefügt, mehrere umgearbeitet, faft alle verbeffert.
Die neuere Literatur ift in verftändiger Befchränkung nachgetragen
. Eine Bereicherung bedeutet die beigegebene
Karte: Orbis chriftianus saec. I—VI; man überzeugt fich
immer mehr davon, daß Karten dem kirchengefchicht-
lichen Studium vortreffliche Dienfte leiften; und ich hätte
nur gfewünfeht, daß diefem Lehrbuche nicht bloß die eine

erkennung ßnden kann. Ich bedaure das um fo mehr, als
er Werke proteftantifcher Theologen ganz unbefangen
,überaus bedeutungsvoll' oder .überaus intereffant' nennt.
Möge es ihm befchieden fein, diefes Lehrbuch noch öfter
in neuer Auflage ausgehen zu laffen.

Kiel. G. Ficker.

Titchener, Prof. Edward Bradford, D. Sc, Ph. D., LL.
D., Litt. D.: Lehrbuch der Psychologie. Überfetzt von
Priv.-Doz.O. Klemm. I.Teil. Mit 44 Figuren. Leipzig,
J. A. Barth 1910. (XVI, 315 S.) 8« M. 6 —; geb. M. 6.80

An guten Lehrbüchern der Pfychologie ift in der
deutfehen Literatur kein Mangel. Aber da das deutfehe
Volk mehr wie jedes andere das Bedürfnis zu haben
fcheint, möglichft alle wertvollen Erzeugniffe der Weltliteratur
in den Nationalbefitz überzuführen, fo durfte ein
fo vortreffliches Buch wie das Werk Titcheners nicht
unüberfetzt bleiben. Die Überfetzung rechtfertigt fich
aber auch dadurch, daß bisher kein von einem namhaften
Pfychologen verfaßtes, knappgehaltenes Lehrbuch der
Pfychologie in deutfeher Sprache vorlag, das außer den
Ergebniffen der experimentellen Forfchung, den daran
geknüpften Theorien und den allgemeinften methodifchen
Gefichtspunkten auch der experimentellen Technik ge-

, • o-gjjgfi worden wäre ' vjcnuiuspuiiMcii suui ua c.jjcumcniciicii i coinit. ge-

e'Srfie erfte Auflage erfchien 1895 ; da nach 15 Jahren fchon j nügend Rückficht zu tragen beabfichtigte. Der Hinweis

die 5. vorliegt, ift erfichtlich, daß das Lehrbuch gern benutzt
wird. In der Tat ift die Reichhaltigkeit des Stoffes und
die Durchfichtigkeit der Sprache anziehend. Weniger kann
ich mich mit der Gruppierung des Stoffes befreunden.
Zwar die Scheidung in 3 Hauptteile: das chriftliche Altertum
(bis zum Ende des 7. Jhs.), das Mittelalter (bis 1517)
und die Neuzeit ift fachgemäß, und ebenfo die Scheidung
der 3 Zeitalter in verfchiedene Perioden. Aber es erweckt
fchon eine falfche Vorftellup.g, wenn die Anfänge der Chrifti-
anifierung- der germanifchen Völker in den das Mittelalter
behandelnden Teil geftellt werden. Daß innerhalb der
einzelnen Perioden der Stoff nach fachlichen und nicht
nach chronologifchen Gefichtspunkten gegliedert wird (in
den Abfchnitten wird allerdings chronologifch verfahren),
ift ein Verfahren, das diefem Lehrbuch mit anderen ge-
meinfam ift

Der Standpunkt des Verfaffers ift ftreng katholifch;
der Ausdruck Reformation für die Reformation wird fo
gut wie immer vermieden und erfetzt durch .religiöfe
Neuerung'. Doch ift der Verf. bemüht, objektiv zu fein;
was ihm fubjektiv erfcheint, lehnt er ab; milde urteilt er
nicht. Von Mißbräuchen redet er, aber nicht von Mißbräuchen
der Kirche. Den Grund für die formelle Ausbreitung
der Reformation findet er wirklich darin, daß
der Anfchluß an fie Erleichterungen und Vergünftigungen
religiöfer wie materieller Art in Ausficht ftellte. Allerdings
hat er auch die natürlichen Urfachen für die wunderbar
rafche Verbreitung des Chriftentums im Imperium
Romanum aufgefucht. Er leugnet nicht, daß die katholifche
Kirche von der Reformation mannichfachen Nutzen und
Vorteil gehabt hat; er fchließt diefe Betrachtung mit den
Worten: .Endlich hatte die zentrifugale Bewegung des
Proteftantismus eine zentripetale katholifcherfeits zur Folge,
und das Band der Einheit wurde fefter gefchlungen'. Das
Schlußwort über die Gefahren, die der Gefellfchaft vom
Sozialismus drohen, ift fehr trübe gehalten; er fieht fchwere
Stürme voraus; doch ruft er den Feinden der Kirche in
Erinnerung: Ift diefes Werk von Menfchen, fo wird es
zerfallen; ift es aber von Gott, fo könnet ihr es nicht
zerftören.

Da diefes Lehrbuch in unferer Zeitung noch niemals
befprochen worden ift, fo glaubte ich es mit einigen Zügen
charakterifieren zu müffen; feinen Standpunkt zu kritifieren,
geht natürlich hier nicht an; aber ich muß es bedauern,
daß ein Mann von der ausgebreiteten Gelehrfamkeit Knöpflers
für den Proteftantismus nicht warme Worte der An-

des Überfetzers auf die Knappheit und Klarheit des Ausdrucks
bei Titchener ift ebenfalls als durchaus berechtigt
anzuerkennen und der damit angedeutete Vorzug des
Buches hat durch die Überfetzung nichts verloren.

In dem erften, bisher vorliegenden Teil werden außer
prinzipiellen Erörterungen über den Gegenftand der
Pfychologie, den vulgären Begriff des Geiftes, den pfy-
chophyfifchen Parallelismus, die Methode der Pfychologie
ufw. die Elemente des Seelenlebens und die Aufmerk-
famkeit behandelt.

Hinfichtlich des Prinzipiellen vertritt der Referent faft
durchweg andere Auffaffungen als der Verfaffer. Der Satz
Titcheners, ,daß alle Wiffenfchaften der Art nach ihren
Gegenftand gemeinfam haben', daß alfo ,auch kein wefent-
licher Unterfchied zwifchen dem Stoff der Phyfik und
dem der Pfychologie beliehen' kann, daß es fich nur um
Betrachtung desfelben Gegenftandes .unter verfchiedenem
Gefichtspunkt' handle, entfpricht zwar einer bis vor kurzem
faft überall in pfychologifchen Fachkreifen dominierenden
Auffaffung, ift aber deshalb doch kaum haltbar und wird
auch neuerdings entfehieden bekämpft von einigen Pfychologen
, die fich von dem Dogma, die Welt fei unfere
Vorftellung oder Objekte und Akte des Erfaffens feien
identifch, loszumachen vermögen. Die weitere Behauptung
Titcheners, .beharrende Gegenftände und fubftantielle
Dinge gehören nicht in die Welt der Wiffenfchaft, der
Phyfik oder Pfychologie, fondern in die des gemeinen
Menfchenverftandes', ift ebenfalls eine Lieblingsthefe der
pofitiviftifchen Pfychologie, die fich etwas darauf zu gute
getan hat, Pfychologie ohne Seele zu fein, die aber auch
mit diefer Wendung heute auf ernfthaften Widerftand
ftößt. Mag man fich das Sein felbft als etwas Zuftänd-
liches denken und einen abfohlten Gegenfatz zwifchen
Subftanzen und Gefchehniffen nicht anerkennen, fo fteht
doch außer Zweifel, daß der Unterfchied zwifchen beharrenden
und flüchtigen Teilbedingungen phyfifcher und
pfychifcher Gefchehniffe nicht einfach geleugnet werden
kann. Ein Stein kann in Bewegung oder in Ruhe fich
befinden. Wenn das, was der Laie das Sein des Steines
nennt, dem Phyfiker felbft als eine Art von Gefchehen,
als ein Syftem von Kräftefpannungen oder von fchwin-
genden Atomen oder von Energien fich darftellt, fo ift
es doch jedenfalls etwas anderes als das Gefchehen, das
im Fall oder in der Wurf bewegung des Steines vorliegt.
Und fo find die pfychifchen Dispofitionen auch etwas
anderes als die Vorftellungen, Gedanken und Gefühle.