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Ausgabe:

1911 Nr. 8

Spalte:

237-239

Autor/Hrsg.:

Graf, Georg

Titel/Untertitel:

Die Philosophie und Gotteslehre des Jahjâ ibn ‘Adî und späterer Autoren 1911

Rezensent:

Horten, Max

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237 Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 8. 238

theken, hrsg. vom Kgl. Preuß. Hiftorifchen Inftitut in
Rom. Bd. XIII, Heft 1. S. 217-223.) Rom, Loefcher
u. Co. 1910. Lex. 8» M. —80

Wer fich einmal mit dem Liber de rebaptismate
abgegeben, an dem fo fehr im argen liegenden Text
oftmals geftoßen und zu eigenen Konjekturen verfucht
gefühlt hat, freut fich, wenn er von einer neuen Handfchrift
diefes intereffanten Traktates hört. v. Soden berichtet darüber
in feiner kurzen, aber fchwierigen Studie. Die Handfchrift
ift Cod. 653 der Barberina (feit 1902 im Vatikan,
alte Nummer XIV 26) und entflammt dem Sammelfleiß
des Lukas Holftenius. Sie notiert am Rande des Traktates
mit dem Siglum R. Varianten aus der von Rigaltius
1648 beforgten editio princeps, ihr Text felber aber
weift auf eine Handfchrift zurück, die nicht etwa der
dem Rigaltius zugrunde liegende codex Remenfis, fei
es in der ihm feinerzeit von Sirmond gelieferten Abfchrift,
fei es in einer felbftändigen, vielmehr nur der vielgefuchte
Vaticanus gewefen fein kann, der nach der Angabe von
Labbe-Coffart den Traktat einem Urfinus monachus Afer
zufchrieb. Leider ift nun der Holftenfche Text nicht
eine bloße Abfchrift der von Labbe erwähnten Handfchrift
, fondern bereits eine erfte Rezenfion auf Grund
diefer Handfchrift und der Ausgabe von Rigaltius. Ein
Verfuch, die Lefungen des cod. Vatic. aus der Holften-
fchen Handfchrift zu gewinnen, ergibt eine nur geringe
Verfchiedenheit des cod. Vat. vom cod. Rem., von
dem wir in Cod. Vat. Reg. Lat. 324 noch eine Abfchrift

— die einzige bislang vorhandene Handfchrift des libellus

— befitzen. Somit ift auch aus der Holftenfchen Handfchrift
ein wefentlich verbefferter Text nicht zu gewinnen.

Drückt diefes Ergebnis die Freude über die Entdeckung
der Handfchrift ftark herab, fo tröftet es ander-
feits über den Verluft des cod. Vat., der nicht fo fchwer
ift, als man bisher glaubte. Hoffentlich legt uns v. Soden
bald eine neue Rezenfion des Traktates vor, wie er uns
vor kurzem mit einer textkritifchen Herftellung der
Sententiae LXXXVII episcoporum, des Protokolls der
Synode von Karthago vom 1. September 256, befchenkt hat.

München. Hugo Koch.

Graf, Ffr. Dr. Georg: Die Philolophie und Gotteslehre des
Jahja ibn 'Adi und fpäterer Autoren. Skizzen nach
meift ungedruckten Quellen. (Beiträge zur Gefchichte
der Philofophie des Mittelalters. Band VIII. Heft 7.)
Münfter, Afchendorff 1910. (VIII, 80 S.) gr. 8° M. 2.75

Die Veröffentlichung theologifcher und philofophi-
fcher Quellen hat weder auf dem Gebiete der chriftlich-
arabifchen noch der islamifchen Literatur mit der anderer
Gattungen des Schrifttums gleichen Schritt gehalten.
Befonders ftark tritt diefe Vernachläffigung in dem
Kreife der polemifchen Literatur der Muhammedaner
gegen die Chriften und der Chriften gegen die Muhammedaner
hervor. Noch manche kulturhiftorifch intereffanten
Geiftesfchätze aus diefen Gebieten harren, im Staube
der Bibliotheken begraben, der Veröffentlichung. Um
zu einer folchen zunächft auf chrifllichem Gebiete anzuregen
, greift derVerfaffer obiger Schritt zur Feder. Für
die behandelten Theologen, die zugleich auch Philofophen
find, ift die Religion kein rein fubjektives Erlebnis der
Gefühlswelt. Sie beherrfcht den ganzen Menfchen
und ift ihnen ebenfowohl wiffenfchaftliche Überzeugung
als Veredelung des Willens, Empfindens und Handelns.
Aus diefer Vorausfetzung geht ihr Streben hervor, fich mit
den muslimifchen Philofophen auseinander zu fetzen und
ihnen auf deren eigenftes Gebiet zu folgen. In dem
Kampfe zwifchen Wiffen und Glauben vertreten fie alfo
diefelbe Auffaffung, wie die intellektualiftifche Strömung
im Islam: Ein Widerfpruch zwifchen beiden ift nicht
möglich. Wenigftens kann ein folcher nicht nachge-

wiefen werden. Zwifchen Glauben und Wiffen befteht
keine Kluft, die beide Gebiete abfolut trennte.

1. Jahjä ibn cAdi, 974 geft., ein Schüler des Faräbi,
ift bei den Arabern als Überfetzer ariftotelifcher Schriften
bekannt. In feinen eigenen Abhandlungen verteidigt er
die chriftlichen Dogmen der Trinität und Menschwerdung
gegen muslimifche Beanftandungen. Die Lehre von den
Eigenfchaften Gottes will in der Dreiheit der Eigen-
fchaften den Trinitätsgedanken als widerfpruchlos hin-
ftellen (vgl. über diefe Tendenz meine Ausführungen:
Philofophifches Jahrbuch 1906, S. 146). Die ftarke Betonung
der Einheit Gottes hat dem Islam gegenüber
diefelbe apologetifche Tendenz. Die philofophifchen
Ausführungen, in denen Ariftoteles wefentlich mehr im
Vordergrunde fteht als die chriftlichen Kirchenväter,
(tehen durchaus auf der wiffenfchaftlichen Höhe der
damaligen Zeit. Daher konnte Jahjä der Gründer einer
nicht unbedeutenden Schule werden und der chriftlichen
Theologie einen neuen Auffchwung und neue Kraft
gegenüber der vom Islam her anftürmenden Macht verleihen
. In diefem Sinne ift er der Ehrenretter der chriftlichen
Theologie gegen die zu feiner Zeit mit Überlegenheit
auftretende nichtchriftliche Wiffenfchaft.

2. Abul Farag, 1043 geft., war ein Schüler des Jahja
, ift aber bemüht, den theologifchen Ideen des Chriften-
tums mehr gerecht zu werden und ihnen weniger Gewalt
anzutun als fein Vorbild Jahja.

3. Elias von Nifibis, geft. nach 1049. Auch ihm find
die drei Perfonen der Trinität drei Proprietäten der
Gottheit. Vielleicht ift der muslimifche Philofoph, der
ihn zu feinen apologetifchen Schriften anregte, Nifibini
(abu Ifhäk; ibn al Murtada: AI Mutazila ed. Arnold;
Leipzig 1902, S. 78).

4. Das Pfeudo-Athanafianifche ,Buch des Beweiles',
vor 1281 anzufetzen, gibt eine in denfelben Gedanken
verlaufende Begründung des chriftlichen Glaubens.

5. Die drei Brüder Abul Farag, Safi und abu Ifhäk
aus der Familie 'Affäl in Kairo gegen 1250. Abdallah
an-Näfchi, auf den fich Safi beruft, ift ein bekannter
liberaler Theologe des Islam (vgl. AI Mutazila 54 und
Brockelman I 123) und ibn al Hatfb der berühmte Räzi
der führende Denker in der fpekulativen Theologie des
Islam feit 1200 (Brockelm. I 506) während Warräk (gegen
900) der von Schahraftäni (kitab almilal 141) genannte
liberale Theologe ift. Safi lobt feinen muslimifchen
Gegner Räzi als den geiftvollften der fpäteren Schule
(feit + 900), ein fchönes Zeugnis für perfönliche Achtung
und Toleranz bei religiöfer Differenz.

6. Daniel ibn al Hattäb, 13. Jahrhundert, ift ebenfalls
ein gefchulter Denker. Das Gleiche gilt auch von
Petrus aus Sadmant (gegen 1260) und Petrus, den Sohn
des Mönches (gegen 1281).

In auffälliger Weife berühren fich die Schriften diefer
chriftlichen Theologen mit denen der muslimifchen1.
Mit den beften Hoffnungen kann die Wiffenfchaft den
weiteren von Graf in Ausficht geftellten Veröffentlichungen
aus feinem Spezialgebiete entgegenfehen. Sie werden

1) Wenn Elias von Nifibis, der mit Pfeudo-Athanafius und Paulus,
Daniel dem Prediger (Hattäb) und Petnis Sadmanti die neftorianifche
Gruppe bildet, die Trinität als Subfiftenz, Weisheit und Leben Gottes
auffallt, fo fteht er darin dem muslimifchen Theologen näher als Jahia,
der Führer der monophyfitifchen Gruppe (ibn Zur'a, Petrus der
Mönch und die Affal), der die drei Perfonen als Wiffen, Macht und
Gttte Gottes auffallt. Der Begriff der Güte Gottes ift unter platonifchem
Einfluffe bauptfächlich von chriftlichen Theologen ausgebildet worden,
während der des Lebens Gottes ein koraniicher Begriff ift. Das
Befte, was der Islam befttzt, den Gedanken der Liebe und Güte Gottes,
hat er ficherlich dem Chriftentume entlehnt. Die Trinitätslehre des
Jahja darf nicht als Nominalismus (S. 46) bezeichnet werden; denn der
Terminus madui bezeichnet nicht .fubjektive Ideen', fondern reale Eigenfchaften
, die einem Dinge der Aulicnwelt inhärieren.